Jürgen Kaube:Max Weber. Ein Leben zwischen den Epochen
Rowohlt Berlin, Januar 2014
496 Seiten, 26,95 Euro, auch als ebook
Schillernde, widersprüchliche Persönlichkeit
Der Journalist Jürgen Kaube erzählt die geradezu sensationelle Geschichte des weltberühmten deutschen Soziologen Max Weber und entwirft zugleich ein fesselndes Zeitporträt der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert. Doch mit Webers Werk setzt er sich kaum auseinander.
Eine populärwissenschaftliche Biografie legt ein unfassbar ertragreiches Werk sowie ein verblüffend aufregendes Leben offen. Zugleich zeichnet Jürgen Kaube ein spannendes Porträt der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert. Nur mit dem Werk Max Webers setzt er sich kaum auseinander. Er beschreibt es – und erzählt vom Leben des einflussreichen Denkers der Moderne zwischen den Epochen.
"Der Industriekapitalismus erlebt seinen Höhepunkt, technische Innovationen wie der Telegraph, das Dampfschiff ohne Segel und die Nutzung von Elektrizität erschließen Raum und Zeit. […] Die großen Ideologien – Nationalismus, Liberalismus, Sozialismus und Kommunismus – werden ausgeformt und technische Utopien formuliert, die Zeitgenossen erleben den Aufstieg der Vereinigten Staaten von Amerika und der Sowjetherrschaft.
Der Kapitalismus zeigt sich zusammen mit der Massendemokratie, der in Disziplinen organisierten Wissenschaft sowie der Säkularisierung als bewegende Macht des Weltgeschehens, und sogleich versuchen verschiedene Gesellschaftsentwürfe und intellektuelle 'Projekte' sich aus dieser Welt zu verabschieden. Anonyme und dezentrale Kräfte treiben den gesellschaftlichen Wandel voran, was bei vielen das Bedürfnis weckt, die Geschichte gewaltsam wieder in den Griff zu bekommen." (Seite 13-14)
Den Sinn einer intellektuellen Biografie sieht der Wissenschaftsjournalist darin erfüllt, …
"… wenn sich an ihr etwas über die Fragen lernen ließe […], die für dieses Werk und dieses Leben die bedrängendsten waren." (Seite 17-18)
Spannungsreiches Verhältnis zwischen Werk und Leben
Unerschrocken und mit viel Geduld befasst er sich mit Webers Gedanken zu Industrialisierung und Urbanisierung, zu Kapitalismus, Börsen und Geldwirtschaft. Den Soziologen, Volkswirt, Juristen und Historiker bewegten auch Bismarcks Politik und die Möglichkeit einer deutschen Weltmachtstellung.
Innenpolitisch beschäftigte ihn das deutsche Großbürgertum und dessen kritikwürdige Distanz zur politischen Herrschaft; auch der "Kulturkampf" zwischen preußischem Staat und katholischer Kirche. Er kommentierte den Sozialismus, Russlands Revolutionen und Amerikas Rassismus, den Kampf um Frauenrechte und selbst die "Erotische Bewegung".
Jürgen Kaubes Erzählmethodik setzt auf das äußerst spannungsreiche Verhältnis zwischen Werk und Leben. Es ist eine Biografie. Mithin genießt Webers Privatleben große Aufmerksamkeit. Seine schillernde, widersprüchliche Persönlichkeit barg Brisanz. Sie war höchst reizbar und zugleich reflektierend, war rührend, zuweilen geplagt, ja führte bis zum Nervenkollaps des 35-jährigen Heidelberger Professors und hier wiederum zu einer Zäsur in dessen Ideengeschichte.
"Einer extrem anstrengenden und angestrengten Weise des Lebens seitens eines in vielen äußeren und inneren Konflikten stehenden Mannes folgten von 1898 bis 1903 fünf Jahre seines nahezu vollständigen Rückzugs aus der Welt gelehrter wie universitärer Kommunikation, Jahre, in denen er sich mitunter dem Irrewerden nahe fühlte, Jahre, in denen er mitunter weder lesen noch Besuch empfangen oder das Haus verlassen konnte, noch gar die geringsten Arbeit zu leisten vermochte.
Was wir außerdem wissen: Als Weber allmählich aus diesen Qualen wieder herauskommt – die Symptome seiner Krankheit ziehen sich bis ins erste Jahrzehnt des neuen Jahrhunderts -, beginnt fast schlagartig jene Produktion, die ihn berühmt machen wird, und in vielen Hinsichten scheint der genesende Weber in einer neuen Epoche angekommen. Sein biographisches Moratorium wirkt im Rückblick wie eine Zeitschleuse." (Seite 126-7)
Kaube findet keine klare Haltung zu seinem Helden
Max Webers Soziologie wird bereit aufgefächert – mit allen bekannten Begriffen Herrschaft, Charisma, Erlösung, Entzauberung, Rationalität, Wertfreiheit. Doch das populärwissenschaftliche Erzählformat vermag der seinerzeit ja so revolutionären Wissenschaft nicht gerecht zu werden. Viel zu deskriptiv, zum Teil zu ausufernd, wenig analytisch ist die Darstellung. Eine kritische Auseinandersetzung mit dem Werk hat kaum Platz.
Auch eine klare Haltung zu seinem Helden findet Jürgen Kaube nicht. Er bleibt ambivalent, als würde der Universalwissenschaftler selbst seinen Biografen überfordern. Am Ende sieht er Max Weber als "Bürger zweier Welten".
"Max Webers Größe bestand, diesseits seiner intellektuellen Fähigkeiten und Leistungen, gewiss mehr darin, seinen Lebenskurs zu ändern, so schwer gerade ihm das fiel, als an einem Programm festzuhalten." (Seite 438)
Ein Lebensmotto des Großdenkers des 20. Jahrhunderts wagt die Biografie zwar nicht zu formulieren, doch sie ist sehr gut recherchiert und mit leichter Hand geschrieben. Sie erzählt bunt und atmosphärisch nicht nur die geradezu sensationelle Geschichte eines weltberühmten deutschen Soziologen. Sondern ist auch ein fesselndes Zeitporträt, das ein unbeschwertes, ein verletzliches Lebensgefühl einer ganzen Generation offenlegt. Jener Generation, die auf den Ersten Weltkrieg hin "schlafwandelt".