Georg von Wallwitz: Meine Herren, dies ist keine Badeanstalt.
Berenberg Verlag, Berlin
256 Seiten, 25 Euro
Der Mann, der Einstein in Mathematik übersetzte
Er formulierte Einsteins Relativitätstheorie mathematisch aus, ebnete den Weg für die Entwicklung des Computers und den für die Atombombe. Nun erscheint erstmals eine Biografie über den Mathematiker David Hilbert auf Deutsch.
"Mathematik ist etwas, was man verstehen kann. Es ist kein Hexenwerk, es ist keine schwarze Magie oder so."
Während Georg von Wallwitz das sagt, macht er einen Bogen um das Charlottenburger Schloss. Sein Ziel: der Schlosspark mit dem Teich. Im Sommer 1884 spazierten drei Mathematiker regelmäßig zum Teich des Königsberger Schlosses, um im Gehen über die reine Mathematik zu diskutieren. Privatdozent Adolf Hurwitz und seine Doktoranden Hermann Minkowski und David Hilbert legten damals wohl schon gedanklich so etwas wie den Grundstein für die Mathematik des 20. Jahrhunderts:
"Es waren drei magere Gestalten, die gewaltige Schnauzbärte und eng geschnittene Anzüge aus schweren Stoffen trugen, ganz nach der Mode ihrer Zeit. Sie waren tief in ihr Gespräch versunken und die Konzentration, mit der ein jeder von ihnen dem anderen zuhörte, um auch nicht eine Nuance des Mitgeteilten zu verpassen, wirkte, als liefen sie unter einer unsichtbaren Käseglocke, die sie von der Welt um sie herum weitgehend isolierte." (Auszug aus der Biografie)
Einer der größten Mathematiker des 20. Jahrhunderts
Dass der Doktorand David Hilbert einmal der größte Mathematiker des 20. Jahrhunderts werden würde, zu dem Studenten und die besten Kollegen nach Göttingen geradezu pilgern würden, ahnte damals allerdings noch keiner.
"Bedeutend war er nicht von Anfang an. Also viele Mathematiker sind so Jugendgenies, die schon mit 16 irrsinnige Sachen machen. So einer war der nicht. Der war eher ein langsamer Entwickler und auch ein langsamer Versteher. Also in den Seminaren später, als er schon bedeutender Professor war, mussten eigentlich immer alle auf ihn warten, bis er es dann auch verstanden hatte."
Hilbert verstand langsamer, aber gründlicher
Georg von Wallwitz kann das nur zu gut nachvollziehen. Er selbst verstand in der ersten Veranstaltung seines eigenen Mathematikstudiums erst einmal rein gar nichts. Bis zum Examen kämpfte er sich regelrecht durch. Heute arbeitet der promovierte Philosoph als Fondsmanager und schreibt nebenher Bücher. David Hilbert verstand zwar langsam, aber so gründlich und grundsätzlich wie wohl kein ein anderer Mathematiker seiner Zeit.
Hilbert hatte die Idee, die ganze Mathematik auf ein System von Axiomen, also Grundsätzen, die man nicht mehr beweisen muss, fußen zu lassen. Er formalisierte die Mathematik und schuf die Grundlage für die Entwicklung des Computers und letztlich auch für die Atombombe. Anwendungen und Realität interessierten Hilbert, den theoretischen Mathematiker, aber kaum.
Der Blick des Mathematikers
Im Sommer 1915 kam Albert Einstein an die Universität Göttingen, um seine Allgemeine Relativitätstheorie vorzustellen. Einstein wohnte tagelang bei Hilbert. Und die beiden durchdachten und besprachen die Zusammenhänge von Physik und Mathematik, während sie spazierten.
"Hilbert und Einstein sahen aus unterschiedlichen Richtungen auf die Gravitationstheorie, als sei sie der Braten in der Mitte eines Wirtshaustisches, an dem die beiden einzigen Menschen Platz genommen hatten, die wirklich verstanden, welche Kräfte das Universum zusammenhielten. Der eine hatte den Blick des Mathematikers, dem es um die Entwicklung eines Axiomensystems für die Physik ging. Der andere hatte als Physiker den Blick auf die Erklärung konkreter Phänomene wie die Umlaufbahn des Merkur um die Sonne gerichtet. Beide rochen zwar denselben Braten, hatten aber ganz unterschiedliche Vorstellungen von seinem Geschmack." (Auszug aus der Biografie)
David Hilbert aber war es, lernt man aus dem überzeugenden, anspruchsvollen wie unterhaltsamen Buch, der zuerst die Allgemeine Relativitätstheorie mathematisch ausformulierte, weshalb Einstein kurz sehr eifersüchtig auf Hilbert war.
Selten Gefühle gezeigt
Den wiederum zeichnet von Wallwitz im Buch als einen Menschen, der wie Einstein Pazifist war, der aber selten Gefühle zeigte. Als Hilbert in Göttingen Emmy Noether, die beste Mathematikerin ihrer Zeit, zu einer Professur verhelfen wollte und die Philologen das verhinderten, weil sie eine Frau war, wurde Hilbert allerdings doch sehr emotional:
"Da ist dann in der Fakultätssitzung dem Hilbert die Hutschnur hochgegangen. Und er hat eben ausgerufen: ‚Meine Herren, dies ist eine Fakultät und keine Badeanstalt!‘ In der Mathematik kommt es eben nicht aufs Geschlecht an, sondern nur auf das richtige Ergebnis."
Georg von Wallwitz hat spazierend das Ende des Karpfenteichs im Park des Charlottenburger Schlosses erreicht und hier wie auch in seinem Buch nicht nur David Hilbert gewürdigt, sondern zugleich dessen Zeit lebhaft gespiegelt und vor allem Neugier auf Mathematik geweckt. Auf die sogenannte reine Mathematik, in der Hilbert wie von Wallwitz schon oft Schönheit entdeckt haben:
"Dieses Thema Ästhetik kommt immer wieder vor. Auch durchaus als Kriterium, ob man einen Beweis so stehen lassen kann oder nicht. Weil wenn der nicht schön ist, wenn der nicht eine bestimmte schlichte Klarheit hat, dann sind Mathematiker misstrauisch. Wenn das so ein Monster ist, wo man seitenlang rechnen muss oder so – das findet keiner schön, finden auch Mathematiker nicht schön."