Biografie über den Bundestrainer

Löw, den Ungreifbaren, greifbar machen

05:40 Minuten
Ein Portraitfoto Joachim Löws vor einem dunklen Hintergrund, er schaut ernst in die Ferne
Blieb stets unnahbar: Bundestrainer Joachim Löw © Alexander Hassenstein/Getty Images
Stefan Osterhaus im Gespräch mit Jörg Degenhardt |
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Seit fast 15 Jahren trainiert Joachim Löw inzwischen die deutsche Nationalmannschaft. Doch wer ist der Mann an der Seitenlinie? Eine Biografie will das nun beantworten. Und es gelingt, urteilt unser Kritiker, weil der Autor Löw seit Jahren kennt.
!Jörg Degenhardt:!! Wie tickt der Mann an der Seitenlinie? Matthias Schneider hat "Löw. Die Biographie" geschrieben. Das Buch könnte uns weiterhelfen. Stefan Osterhaus hat es gelesen. Boateng, Hummels, Müller raus – bleiben wir gleich bei der etwas unorthodoxen Personalpolitik. Gab es da Vorläufer?
Stefan Osterhaus: Ja, die ist in der Tat originell, wenn man schaut, was Löw da in den vergangenen Wochen getan hat. Es gibt tatsächlich schon ein paar Indizien in der Vita von Löw, die darauf hinweisen, dass da immer mal was passieren kann. Wenn wir zum Beispiel zurückdenken, damals das Duo Frings und Michael Ballack, das Mittelfeldduo war irgendwann in die Jahre gekommen, passte Löw auch nicht mehr bei seiner Spielidee, und da hat er sich relativ schwer getan, das zu lösen. Wenn wir uns zurückerinnern, das ist am Ende gelöst worden durch ein Foul von Kevin-Prince Boateng in England damals, als seine Mannschaft gegen Ballacks Chelsea gespielt hat. Dadurch konnte Ballack nicht zur Weltmeisterschaft fahren. Da hat er sich immer schwergetan in der Vergangenheit, und möglicherweise erklärt sich daraus jetzt auch diese Radikalität. Das ist eigentlich ziemlich untypisch für Löw. Er hat ja auch Leute, die ja teilweise als Maskottchen verspottet wurden, wie Lukas Podolski, was völlig ungerechtfertigt war, muss man dazu sagen, der hat einen großen Wert für diese Mannschaft gehabt, die hat er auch immer noch lange mitgenommen, weil er wusste, dass sie einen Wert für diese Mannschaft haben. Aber dass er sich jetzt dazu entschließt, das zeigt auch, dass so ein kleiner Autoritätsverlust da ist, dass er um diesen auch weiß und ihn fürchtet, wenn das so weitergeht.

"Löw blieb stets unangreifbar"

Degenhardt: Löw, der Zauderer, der Mann ist schon so lange Bundestrainer, man meint ihn gut zu kennen, nur weil man ihn oft auf dem Bildschirm sieht. Gewinnt man beim Lesen ein neues Bild von Löw?
Osterhaus: Ein neues Bild würde ich nicht sagen, allerdings hat er die Vita von Löw tatsächlich sehr detailliert nachgezeichnet. Mathias Schneider begleitet auch die Nationalmannschaft schon recht lang. Das ist keines dieser Bücher, die einfach mal so eben zwischen Tür und Angel geschrieben werden. Er hat auch in der Heimat von Löw recherchiert, er hat nachgezeichnet seine fußballerischen Stationen, und herausgekommen ist das interessante Bild eines Mannes, der auf der einen Seite sehr gerne zu Hause ist, sich dann aber wiederum sehr weltläufig gibt. Löw ist jemand, der die Mode der großen weiten Welt gerne in Freiburg vorführt. So kann man das, glaube ich, sagen. Ich denke, das ist das Bild, das ihn, glaube ich, auch am nächsten kommt, denn es ist ja auch eine Leistung von Löw, über die ganzen Jahre hinweg nicht greifbar gewesen zu sein und auch nach wie vor nicht wirklich greifbar zu sein. Das hat ihn auch ein Stück weit immer unangreifbar gemacht. Selbst bei diesen harten Attacken des Boulevards hat ihm das immer noch so einen kleinen Panzer verliehen. Der bröckelt jetzt allerdings.
Degenhardt: Inwiefern?
Osterhaus: Wenn jemand nichts preisgibt, überhaupt nichts preisgibt, ist er natürlich offen für viel Spekulation. Die kann er natürlich von sich weisen letzten Endes, und das hat Löw natürlich auch immer ganz gerne getan. Er hat nie wirklich eine Flanke gezeigt, und deswegen ist natürlich diese aktuelle Entwicklung gerade bei ihm besonders interessant, weil das eine der Entscheidungen ist, die wirklich kritisiert werden können. Also da kommt er gar nicht drumherum. Die wird ihm möglicherweise auf die Füße fallen, allerdings ist natürlich auch die Chance da, dass es funktioniert.

Löws Stil wurde in vielen Ländern bewundert

Degenhardt: Löw hat ja auch nie in seiner Karriere einen großen Club trainiert. Hat Schneider denn eine Erklärung dafür?
Osterhaus: Ja, die hat er tatsächlich. Zwar nicht so ganz explizit, aber man liest raus, dass Joachim Löw sein Badener Milieu also auch sehr gerne mag und dass er auch den Komfort, den ihm die Nationalmannschaft bietet, sehr schätzt und dass er niemand ist, der wirklich in dieser täglichen Trainingsarbeit aufgeht. Es gibt ja Leute, die sind einfach nur dafür geschaffen. Wenn man jetzt an Pep Guardiola denkt oder Thomas Tuchel denkt – absolute Detailfanatiker, die, glaube ich, anders gar nicht können. Die würden verzweifeln mit einem Nationalteam. So ist zumindest mein Eindruck. Bei Löw ist das anders. Löw ist jemand, der bisher immer, mit einer einzigen Ausnahme, und zwar die letzte Weltmeisterschaft, den Fokus immer gelegt hat auf eine hervorragende Vorbereitung. Man konnte sich darauf verlassen, dass die Deutschen unter Löw zum Turnierstart körperlich und auch mental da waren. Das ist nicht mehr so, und da muss er justieren.
Degenhardt: Löw hat sich ja selber mal – das ist noch gar nicht so lange her – als Visionär bezeichnet. Gibt es in dem Buch Anhaltspunkte, die diese ja nicht gerade unbescheidene Selbsteinschätzung decken?
Osterhaus: Das hat er ganz früh schon gesagt, Löw. Also wenn man zurückdenkt, er ist damals ja mit Jürgen Klinsmann angetreten als dessen Assistent, und man wollte den deutschen Fußball von Grund auf modernisieren. Kleiner Aspekt am Rande ist, also gerade sagt Klinsmann von außen die gleichen Sätze, die er damals gesagt hat: den Laden müsste man umkrempeln, aber sie sind damals mit dieser Idee, da rangegangen, wollten auch die Spielanlage komplett neu aufstellen. Als Löw dann damals mal gefragt wurde – ich erinnere mich, das war in einem Interview des "Spiegel" –, welche Mannschaften so spielen, wie er es sich vorstellt, da nannte er Barcelona und damals die brasilianische Nationalmannschaft. Damals klang das fast schon ein bisschen vermessen oder utopisch oder man konnte ihn wirklich belächeln, aber er hat natürlich eine Menge davon erreicht. Zwischen 2010 und 2014 waren die Deutschen ja die tonangebende Mannschaft mit den Spaniern, die natürlich noch dominanter waren, aber letztlich ist dieser Stil, den Löw mit der Nationalmannschaft praktiziert hat, ja in vielen anderen Ländern bewundert worden. Insofern kann man ihn tatsächlich auch als einen Visionär sehen, der diese Vision auch erfolgreich umgesetzt hat.

Ein Buch, das schlauer macht

Degenhardt: Und wie steht der Autor, wie steht Herr Schneider zu diesen Visionen, zu diesen Ideen, die Löw möglicherweise entwickelt hat? Zweifelt er daran?
Osterhaus: Ich würde sagen, das ist eine respektvolle Reserve, die Schneider da an den Tag legt. Also er mag sich da nicht festlegen, was ich gut verstehen kann, denn wir lernen Joachim Löw in diesem Buch ja auch kennen als jemanden, dem zwar auf dem ersten Blick gar nicht so viel zuzutrauen ist, der dann aber eine ganze Menge erreichen kann. Wenn wir uns noch mal zurückerinnern, da ist es eben, er ist als Assistent von Klinsmann damals angestellt worden beim DFB, und er war damals noch nicht mal erste Wahl. Also damals sollte Holger Osieck, der damals bei Franz Beckenbauer Co-Trainer war, sollte damals eigentlich der Co von Klinsmann werden, dann wurde es Joachim Löw. Das hat natürlich einem Gerhard Mayer-Vorfelder im DFB gepasst, der sie natürlich alle aus dem Schwabenland noch kannte. Insofern war das prima, aber niemand hatte Joachim Löw damals auf dem Zettel, erstens nicht als Nationaltrainer in zwei Jahren und von da an erst recht nicht als jemanden, der den Fußball gründlich umkrempelt und dann noch Weltmeister wird, garantiert nicht.
Degenhardt: Stefan Osterhaus, ein Wort noch zum Autor. Woher hat Mathias Schneider diese ganzen Informationen, die er da in dem Buch versammelt hat?
Osterhaus: Mathias Schneider war langjähriger Redakteur bei der "Stuttgarter Zeitung" und ist jetzt seit vielen Jahren beim "Stern". Er hat die Nationalmannschaft da auch über etliche Jahre begleitet. Das ist Anschauung schon aus erster Hand, die man da bekommt, und das hebt dieses Buch wirklich ganz wohltuend ab von vielen anderen Biografien, die ihren Gegenstand dann meistens nur mit dem Fernglas zu sehen bekommen. Schneider hat auch enorm viele Weggefährten von Löw vernommen. Er hat enorm viele Eindrücke über die Jahre sammeln können. Da ist schon, wie ich finde, ein sehr gründliches Bild entstanden, ein sehr stimmiges Bild entstanden.
Degenhardt: Also abschließendes Urteil, ein Buch mit Gewinn zu lesen, ein Buch, das schlauer macht?
Osterhaus: Unbedingt, ja, würde ich sagen.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Mathias Schneider: "Löw. Die Biographie"
Ullstein Verlag, Berlin 2019
334 Seiten, 20 Euro

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