Alfred Polgar: Marlene. Bild einer berühmten Zeitgenossin
Zsolnay Verlag, Wien 2015
157 Seiten, 17,90 Euro
Marlenes erster Fanclub
Alfred Polgar knüpft in dieser Biografie, die er nie gedruckt sah, an seine große feuilletonistische Kunst aus den 20er-Jahren an: augenzwinkernd, ironisch und leicht frivol blickt er auf Marlene Dietrich – die Film- und Stilikone.
Diesem leicht und elegant geschriebenen schmalen Büchlein merkt man nicht an, unter welchen Umständen es entstanden ist. Alfred Polgar, der berühmte Feuilletonist, der seine größte Zeit in der zweiten Hälfte der 20er-Jahre in Berlin hatte, musste im März 1933 als Jude und Künstler Hals über Kopf fliehen, im Alter von 60 Jahren, und hielt sich mit seiner Frau nur mit Mühe in Prag, Wien und Paris über Wasser, angewiesen auf Geldzuwendungen von Freunden.
Die berühmteste Freundin war Marlene Dietrich, in den dreißiger Jahren die glamouröseste Hollywood-Diva. 1937 erklärte sie sich bereit, für ein autorisiertes Porträt und ein Interview zur Verfügung zu stehen. Der nach vielen Hürden erlangte Vorschuss von 3000 Schilling, gezahlt vom Wiener Frick-Verlag, erleicherte Polgar eine Zeitlang das Leben. Als er das Manuskript fertiggestellt hatte, im März 1938, erfolgte allerdings der "Anschluss" Österreichs an Hitlers Deutsches Reich. Polgar gelang auf abenteuerlichen Wegen die Flucht nach New York – und erst im Jahr 1984 entdeckte der Wiener Autor Ulrich Weinzierl die vergessenen Blätter im Nachlass von Polgars Stiefsohn in New York. Polgar selbst war 1955 in Zürich gestorben.
Weinzierl, ein skrupulöser Herausgeber, entschloss sich, den Text nicht unkommentiert und erst nach genauerer Kenntnis der Umstände der Entstehung abzudrucken. Deshalb besteht das jetzt erschienene, handliche und sehr schön ausgestattete Buch zur Hälfte aus Polgars Text und zur Hälfte aus dem informativen Nachwort Weinzierls samt Anmerkungen.
Erstes Treffen 1927 in Wien
Polgar knüpft in diesem Marlene-Porträt, das er nie gedruckt sah, an seine große feuilletonistische Kunst aus den zwanziger Jahren an: etwas Augenzwinkerndes, leicht Frivoles, den "Sex Appeal" Marlene Dietrichs suggestiv beschreibend und gleichzeitig aus ironischer Distanz als Phänomen analysierend. Wie er seine erste Begegnung mit der noch unbekannten Marlene in Wien 1927 darstellt, ist geeignet, die Sehnsucht nach jenem wunderbaren, verspielten Feuilleton zu wecken, das es heute nicht mehr gibt: Marlene war die Revuetänzerin Ruby im Kriminalstück "Broadway" an den Wiener Kammerspielen.
Und Polgar bekennt, damals zusammen mit dem Psychoanalytiker A.J. Storfer Mitglied der "ersten kleinen Marlene Dietrich-Gemeinde" geworden zu sein – heute würde man sagen: Fanclub. Über Marlenes durchschlagenden Erfolg mit dem Film "Der blaue Engel" 1930 und seine Wirkung auf die Psychoanalytiker schreibt Polgar dann einen süffissanten, großartigen Absatz, für den allein sich schon die Lektüre dieses Bändchens lohnt.
"Widerschein eines sehr fernen Lichts"
Es kommen hinzu: leichtfüßige Anmerkungen über Marlenes Beine, über ihr Gesicht, über den erkennenden Blick des Regisseurs Josef von Sternberg sowie kurze, präzise Skizzen über Preußentum, Disziplin und Weltruhm. Das Geheimnis Marlene Dietrichs wird durch diese sublime Formulierungskunst nur noch größer:
"Dieses merkwürdige Antlitz lockte stärker noch als mit dem, was es verriet, mit dem, was es verschwieg, mit Helligkeit und Schatten, die wie Widerschein und Störung eines sehr fernen Lichts über das Gesicht hingingen, mit Zeichen schicksalhafter Bestimmung, von der die Trägerin selbst nichts zu wissen oder nichts wissen zu wollen schien."