Hans Woller: "Gerd Müller oder Wie das große Geld in den Fußball kam"
C.H. Beck, München 2019
352 Seiten, 22,95 Euro
Die Scheu des Torjägers vor dem Glamour
12:09 Minuten
Gerd Müller kickte in den 70er-Jahren in der ersten Riege des deutschen Fußballs. Doch der gefeierte Torschützenkönig stürzte tief. Sein Biograf Hans Woller zeigt einen Mann aus einfachen Verhältnissen, dem der Glamour des Sports stets fremd blieb.
Er war ein Fußballer, dessen Name zum Verb wurde: Wenn es in den 1970er Jahren "müllerte", wusste jeder, wer und was gemeint war: Gerd Müller hatte wieder einen Ball versenkt. In 14 Jahren Bundesliga traf der Ausnahmestürmer 365 Mal. Ein Rekord wohl für die Ewigkeit, bislang kam kein zweiter Spieler nur annähernd an diese Marke heran. Mit der deutschen Nationalmannschaft wurde er 1972 Europa- und 1974 Weltmeister. Allein in der Bundesliga wurde er sieben Mal Torschützenkönig.
Der Historiker Hans Woller erzählt in seiner Biographie anhand von Müllers Laufbahn auch davon, "wie das große Geld in den Fußball kam", so der Untertitel seines Buches. "Ich wollte die Sozialgeschichte eines Fußballspielers schreiben, im Übergang vom Amateur- zum Profifußball", sagt Woller.
FC Bayern überfordert vom Erfolg
Als der FC Bayern München 1964 mit Spielern wie Müller, Franz Beckenbauer und Torhüter Sepp Maier den Aufstieg in die Bundesliga schaffte, sei der Verein vom eigenen Erfolg überfordert gewesen, Spieler mussten monatelang auf ihr Geld warten. "Das erscheint, wenn man den strahlenden, steinreichen FC Bayern München von heute vor Augen hat, völlig undenkbar", so Woller. Doch dafür habe es einen ganz einfachen Grund gegeben:
"Die Mannschaft war, nachdem sie in die Bundesliga aufgestiegen war, außerordentlich erfolgreich und damit außerordentlich teuer. Und das Geld, das die Mannschaft forderte, konnte der FC Bayern München auf den normalen, legalen Wegen niemals auftreiben."
Freundschaftsspiele, deren Erlöse mit Wissen des bayerischen Finanzministers an der Steuer vorbei den Spielern zuflossen, seien zunächst ein probates Mittel gewesen, den Erfolgsclub im Spiel zu halten. In welches "Dickicht von Amigo-System" seine Recherche ihn führen würde, das habe er in diesem Ausmaß nicht erwartet, sagt Woller: Die "Achse Sepp Maier, Franz Beckenbauer und Gerd Müller" sollte zusammenbleiben, "das war ein Anliegen der bayerischen Staatsregierung und der CSU, die aber andererseits auch erwartet hat, dass diese Spieler sich für die Zwecke der CSU einsetzen." Durch Fototermine mit Politikern etwa oder Empfehlungsschreiben kurz vor einer Wahl.
Dem Alkohol verfallen
Was ihn gerade an Gerd Müllers Biographie interessiert habe, sei "eine Art sozialer Seelenverwandtschaft", die er zu dem Spieler verspürte: Wie Gerd Müller komme auch er selbst "aus kleinen Verhältnissen" und habe, lange bevor er die Schriften des Soziologen Pierre Bourdieu las, erfahren, was "feine Unterschiede" seien:
"Wie man in der akademischen Gesellschaft aufgenommen wird beziehungsweise auch nicht aufgenommen wird, wenn man Dialekt spricht, wenn man Bildungsdefizite hat und so weiter: Dinge, auf die Gerd Müller in ganz anderen Dimensionen auch gestoßen ist als ein sozialer Aufsteiger par excellence."
Als Müller nach dem Ende seiner Profilaufbahn dem Alkohol verfiel, habe sich der FC Bayern von einer menschlichen Seite gezeigt, so Woller. Frühere Spielerkollegen wie Beckenbauer und Uli Hoeneß unterstützten ihn bei einer Entziehungskur und eröffneten ihm eine berufliche Perspektive als Trainer.
An Demenz erkrankt
Hans Woller konnte für seine Biografie nicht mit Gerd Müller selbst sprechen, der an Demenz erkrankt ist und heute in einem Pflegeheim lebt. Auf der Basis zahlreicher Stimmen aus Müllers Umfeld und intensiver Archivrecherchen zeichnet er jedoch das sehr persönliche Porträt eines Mannes, der aus seiner Sicht immer wieder unterschätzt wurde, weil er weniger weltläufig aufzutreten wusste als manche seiner Weggefährten:
"Fußballerisch wird er ja nur als Abstauber gesehen, dabei war er, glaube ich, auch ein genialer Kombinationsspieler. Und er wird häufig als etwas einfältig dargestellt, auch da, denke ich, tut man ihm sehr Unrecht. Bloß weil er nicht diese perfekte Performance darbieten konnte, wie das ein Franz Beckenbauer und andere taten, ist ein Mensch noch lange nicht eindimensional oder einfältig, wie manche Zeitgenossen gesagt haben. Ich denke, das habe ich ein bisschen geradegerückt."
(fka)