Biografie über Herzog kann man "nur im Widerstand" gegen ihn schreiben

Moritz Holfelder im Gespräch mit Ute Welty |
Der Filmkritiker Moritz Holfelder hat mit "Werner Herzog - Die Biografie" das Leben des Filmemachers zwischen zwei Buchdeckel gepackt. Ein wichtiger Gesprächspartner dafür war Herzogs ältester Bruder, so Holfelder. Der Regisseur stand für Auskünfte nicht zur Verfügung.
Ute Welty: Ob Südpol, Höhle oder Todeszelle – es scheint Werner Herzog völlig egal zu sein, wo er die Filmkamera aufstellen lässt, und was nicht passt, das wird halt passend gemacht. Für verrückt hält sich der Regisseur deswegen noch lange nicht:

O-Ton Werner Herzog: "Ach, ich glaube, ich bin eigentlich eher normal, oder ich glaube auch, dass der Kinski ganz normal ist. Ich glaube nur viel mehr, dass der Rest der Welt geisteskrank sein muss. Ich bin ja jetzt lange Zeit in Peru gewesen und habe mich mit ganz, ganz realen Dingen beschäftigt: Bäume umsägen, eine Rampe durch Schlamm und Morast einen Berg hochzubauen und ein Riesenschiff über einen Berg zu wuchten, und wir haben in Hängematten gelebt und im Urwald und ich weiß nicht was alles, ganz konkretes, vitales, direktes Leben. Und wo ich wieder hierhergekommen bin dachte ich, ich habe irgendwie einen Knick in die Optik bekommen. Ich dachte, ich bin jetzt unter lauter Geisteskranken gelandet."

Welty: So Werner Herzog über "Fitzcarraldo", der 1982 in die Kinos kam und den natürlich auch Moritz Holfelder gesehen hat, Filmkritiker unter anderem beim Bayerischen Rundfunk und Autor der bisher einzigen Herzog-Biografie, die jetzt pünktlich zu dessen 70. Geburtstag heute erschienen ist. Guten Morgen, Herr Holfelder!

Moritz Holfelder: Guten Morgen!

Welty: Finden Sie "Fitzcarraldo" Herzogs besten Film?

Holfelder: Nein. Ich finde, "Fitzcarraldo" ist so ein bisschen ein Remake von "Aguirre, der Zorn Gottes". Das ist der Film, den er _72 gemacht hat mit Klaus Kinski zusammen, sein erster Film mit Klaus Kinski, und ich finde "Aguirre" als Film eindrücklicher und stärker als "Fitzcarraldo". Aber trotzdem: "Fitzcarraldo" ist ein großartiger Film.

Welty: Wer Herzog sagt, Sie haben es schon angesprochen, der muss auch Kinski sagen. Wie würden Sie das Verhältnis dieser beiden Legenden beschreiben?

Holfelder: Das haben jetzt Sie wiederum schon ganz richtig gesagt: der beiden Legenden. Legenden – das heißt ja, dass da auch viel dazugedichtet wurde beziehungsweise viel "inszeniert" wurde, Kinski der Wüterich und Herzog derjenige, der ihn bändigt. Das war ein tolles Marketing-Vehikel und auf die Frage hin, wer denn nun der Verrücktere war von beiden, ist von beiden – Kinski ist ja nicht mehr unter uns -, sagen viele, das war eigentlich Herzog. Ich denke, Kinski hat den Herzog benutzt sozusagen, um diese tollen Filme zu machen und sich ja doch in den Olymp der Schauspieler hineinzuspielen, und Herzog hat den Kinski benutzt, weil es keinen anderen so exaltierten Darsteller gab für diese ja oft auch sehr verrückten Filme, die er gemacht hat.

Welty: Sie sagen, Herzogs Filme scheinen nicht zu altern. Ich möchte ergänzen, ganz im Gegensatz zum Regisseur. Aber was macht die Alterslosigkeit des Werkes aus?

Holfelder: Im Grunde genommen, denke ich, sind es zwei Dinge. Zum einen: Herzog hat ja seine Filme eigentlich nie in Großstädten gedreht und auch oft in Zeiten, die weit zurückliegen. Das heißt, bei ihm kommt all das, was viele Filme ausmacht, also Telefonieren, Fahrten im Auto, Großstadt et cetera, kommt bei ihm überhaupt nicht vor und das sind natürlich Dinge, an denen sich die Zeit ablesen lässt, weil Autos werden älter oder Autos gibt es dann entsprechend nicht mehr, das Telefonieren hat sich sehr verändert. Und dadurch, dass das bei Herzog so gut wie nie vorkommt, haben die Filme schon von sich aus eine gewisse Alterslosigkeit.
Und das Zweite, was sehr entscheidend ist, das hat natürlich mit Herzogs Stil zu tun, mit seinen bevorzugten Themen. In der Grundlage hat er Themen, die zeitlos sind und die sich über die Jahrhunderte durch die Literatur, durch die Malerei ziehen. Hieronymus Bosch zum Beispiel ist ganz wichtig für ihn, Goya, und die sind ja heute auch noch gefragt in Ausstellungen et cetera, die sind auf eine Art auch zeitlos, und so ist es eben auch Herzog.

Welty: Es ist ja nicht so, dass der Biograf vom Biografierten besonders viel Unterstützung erhalten hat, genau genommen gar keine, denn Werner Herzog will aus seinem Geburtstag keine öffentliche Angelegenheit machen. Finden Sie es angemessen, einen solch ausdrücklichen Wunsch ausdrücklich nicht zu respektieren?

Holfelder: Ja, in diesem Fall schon. Werner Herzog hat seine gesammelten Filme immer gegen allergrößte Widerstände gemacht, und ich hatte irgendwann das Gefühl, man kann eine Biografie über Werner Herzog nur im Widerstand gegen Werner Herzog schreiben, weil man dann auch so ein bisschen den Kern seiner Arbeit erst versteht. Das ist das eine, und zum zweiten finde ich, Herzog ist eine großartige Figur, für mich wirklich einer der größten Regisseure aus Deutschland in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. So jemand hat es gewissermaßen verdient, auch gegen seinen Willen, dass mal ein fundiertes Buch über auch seine Kindheit und Jugend, wo er herkommt, wo seine Visionen, seine visionären Ideen fürs Filmemachen herkommen, wo das einfach mal dargestellt wird. Und ich muss immer dazusagen, dass mich in diesem Fall zwar Werner Herzog selbst nicht unterstützt hat, aber sehr maßgeblich sein ältester Bruder, der Tilbert Herzog, der in München lebt, der eigentlich nichts mit Film zu tun hat, aber den Werner Herzog natürlich sehr intensiv familiär mitbekommen hat.

Welty: Reden die beiden Brüder noch miteinander?

Holfelder: Ja, ja, absolut! Es ist auch so, dass der Tilbert Herzog diese Biografie autorisiert hat, zumindest die Kapitel, wo es um die Kindheit und Jugend geht. Trotzdem muss ich natürlich sagen, die Verehrung sozusagen, die in mir wohnt für ihn, die ist ja auch nur glaubhaft, wenn man ihn auch kritisch sieht.

Welty: Das Buch ist da, genau wie der Geburtstag. Was wünschen Sie Werner Herzog?

Holfelder: Zuerst einmal, dass sein nächstes Projekt – er dreht ja im Herbst seinen nächsten Film, eine große Hollywood-Produktion, quasi eine Paraphrase zu "Lawrence von Arabien" -, dass er diesen Film gut hinbekommt. Ich würde mich sehr, sehr freuen, wenn er noch mal einen großen Spielfilm inszenieren kann, der ähnlich legendär werden könnte wie zum Beispiel "Fitzcarraldo" oder "Aguirre, der Zorn Gottes" oder Nosferatu, auch ein Film, der in den USA sehr, sehr bekannt ist. Also ich würde ihm noch mal ein richtig großes Werk wünschen.

Welty: Moritz Holfelder gratuliert Werner Herzog zum 70. und Deutschlandradio Kultur schließt sich dem gerne an und dankt herzlich für das Gespräch, das wir aufgezeichnet haben.

Holfelder: Bitte schön!

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