Biografie von Judith Kerr

Schauen war für sie das Wichtigste

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Die Schriftstellerin Judith Kerr wird am 17.05.2013 im Roten Rathaus ihrer ehemaligen Heimatstadt Berlin empfangen.
Judith Kerr bei einem Empfang 2013 in Berlin. © picture alliance/dpa/Ole Spata
Von Peter Kaiser |
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Judith Kerr starb am 22. Mai mit 96 Jahren. Das Kinderbuch "Als Hitler das rosa Kaninchen stahl" war ihr größer Erfolg. Darin erzählt sie von Repressionen in und der Flucht ihrer Familie aus Nazi-Deutschland. Nun erscheint die erste Biografie über sie.
"Die Zeitzeugen sind weitgehend tot, und damit verstummt, sie war eine der Allerletzten."
Astrid van Nahl ist Autorin, Fachübersetzerin und Lehrbeauftragte für isländische Sprache und Sprachgeschichte an der Universität Bonn.
"Insofern sehe ich die Biografie als eine gewisse Chance, im ganz Kleinen nochmal an die Botschaften dieser Zeitzeugen anzuknüpfen, und vor allem zu lernen, dass wir uns nicht einfach auf dem Erreichten ausruhen können, sondern dass wir Frieden immer wieder neu erringen müssen."

Das rosa Kaninchen wird geboren

Am 22. Mai dieses Jahres starb die weltweit bekannte Autorin und Buchillustratorin Judith Kerr. Sie wurde 96 Jahre alt, und lebte seit der Flucht ihrer Familie im Jahr 1933 nach England in London. Ihr Vater war der gefürchtete spitzzüngige Theaterkritiker Alfred Kerr. Vor allem durch ein Buch wurde Judith Kerrs Geschichte Millionen Menschen vertraut. Astrid van Nahl erinnert sich daran.
Alfred Kerr und seine Familie auf einem Foto, das um 1928 aufgenommen wurde. Von links nach rechts Michael Kerr auf dem Schoß von Theaterkritiker Alfred Kerr, seinem Vater; Kerrs zweite Frau Julie, die Tochter Anna Judith, die später "Als Hitler das rosa Kaninchen stahl" schrieb.
Alfred Kerr und seine zweite Frau Julie, die Kinder Michael und Judith, auf einem Foto aus den späten 1920er Jahren.© picture-alliance / akg-images
"Der Roman vom rosa Kaninchen erschien genau während meiner Studentenzeit in England 1971. Anfang der 70er Jahre lag der Zweite Weltkrieg nicht so weit zurück wie heute, und das Thema Flucht und Vertreibung war mir durch meine Familie immer sehr präsent. Aber es war das erste Mal, dass ich überhaupt ein erzählendes Kinderbuch zu diesem Thema las. Und ich kann mich noch richtig gut erinnern, wie spannend ich es fand, die Geschichte von Anna und ihren Erfahrungen, und auch wie sie mit dem Verlust von Heimat zum Beispiel umging. Und ich habe das instinktiv mit den Erlebnissen meiner Großeltern und anderer Verwandter verglichen. Das heißt, irgendwie war damals das rosa Kaninchen für mich ein Anstoß, mehr wissen zu wollen, und das ist auch anderen damals so gegangen."
Das Jugendbuch "Als Hitler das rosa Kaninchen stahl", in dem die zehnjährige Anna – ein Alter Ego der Autorin – die Nazi-Machtergreifung und die Flucht der Familie in die Schweiz, dann nach Frankreich und England beschreibt, berührte Millionen nicht nur jugendliche Leser. Judith Kerr sagt selbst zu ihrem Buch:
"Ich wollte meinen Kindern erzählen, wie das damals bei uns war. Ich habe darüber nachgedacht, ob ich das in der ersten Person schreiben soll, dann müsste alles ganz wahr sein, genau. Denn sonst finde ich es schrecklich, wenn die Leute eine Autobiografie schreiben, die nicht ganz wahr ist."
Weitere Bücher der ungewöhnlichen Frau folgten. Doch sie selbst sah sich nicht in erster Linie als Autorin, meint ihr Buchillustrator Axel Scheffler, der ebenfalls in London wohnt.
"Ich habe natürlich öfter mit ihr über ihre Geschichte gesprochen, und was ich sehr interessant finde, ist, dass sie sich immer in erster Linie als Illustratorin gesehen hat, und nicht als Autorin. Das war in Deutschland ganz anders. Sie hat ja durch ihre Bilderbücher eine Millionenfangemeinde gehabt."

Die erste Biografie

Jetzt ist die erste Biografie über Judith Kerr erschienen, ihr Name ist der Buchtitel. Die Autorin Astrid van Nahl sagt zu ihren Erfahrungen beim Verfassen der Biografie:
"Ich habe natürlich versucht, sie immer innerhalb ihrer Zeit zu sehen. Judith Kerr hat immer betont, dass das Schauen der für sie wichtigste Faktor im Leben war. Und sie hatte wirklich Zeit ihres Lebens ein großes Talent, genau zu schauen. Deswegen spiegelt sich auch vieles von diesem Geschauten in ihren Büchern, Bildern, und in ihren Bilderbüchern, die sie später geschrieben hat. Und für mich war es sehr faszinierend, ihre Schau der politischen und auch gesellschaftlichen Probleme sichtbar werden zu lassen, weil sie ja auch die Ideen und Weltsichten der Zeit allgemein waren."
Wann immer sie auch angesprochen wurde auf die furchtbare NS-Zeit, stets antwortete sie ohne Hass, ohne Verbitterung: "Es war ein unglaublich erfülltes und glückliches Leben, aber es hätte so leicht nicht so sein können. Wenn da nicht die Voraussicht meiner Eltern gewesen wäre, wenn dieses Land uns keinen Schutz gegeben hätte."

Versäumte Achtung vor dem Leben

Astrid van Nahl versteht es, leicht, eindringlich und emphatisch die Lebensstationen Judith Kerrs dem Leser vor Augen zu führen. Unbestreitbar ist: für die, die von Annas Geschichte, der Hitler das rosa Kaninchen stahl, berührt wurden, ist die Biografie ein "Must read".
"Es hat eine Zeit gegeben, da war das Rosa Kaninchen Pflichtlektüre in den Schulen gewesen. So etwa Mitte der 70er Jahre bis weit in die 80er hinein. Dann hat das Interesse nachgelassen. Da ist meiner Meinung nach in einer ganzen Generation etwas schiefgelaufen. Und es hat in meinen Augen auch mit mangelndem Interesse und mit Aufklärung zu tun, und letzten Endes auch mit dem Desinteresse so mancher Erziehenden, die versäumen, Kindern Werte und Achtung vor dem Leben zu vermitteln."

Astrid van Nahl: "Judith Kerr: Die Frau, der Hitler das rosa Kaninchen stahl"
wbg Theiss in Wissenschaftliche Buchgesellschaft 2019
256 Seiten, 25 Euro

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