Biologe Bernhard Kegel

Wie die Dinos wirklich waren

Grafische Darstellung eines Brontomerus
Grafische Darstellung eines Brontomerus © imago/ElenaxDuvernay/StocktrekxImages
Moderation: Frank Meyer |
Dinosaurier kennen wir eigentlich nur aus Filmen. Doch was dort gezeigt wird, entspringt in vielen Fällen der Fantasie der Filmemacher. Der Biologe Bernhard Kegel räumt mit diesen Mythen auf – im ersten Dino-Buch für Erwachsene.
Frank Meyer: Wer heute Kinder hat, der hat wahrscheinlich auch Dinosaurier als Gummifiguren oder auf T-Shirts oder Schlafanzügen oder in Kinderbüchern oder, oder, oder. Für Kinder gibt es jede Menge Dino-Bücher, aber für Erwachsene kaum, jedenfalls im deutschen Sprachraum ist das so, und diese Lücke füllt jetzt der Biologe und Romanautor Bernhard Kegel, das ist ein Spezialist für spannend erzählte Sachbücher und für bestens recherchierte Wissenschaftsromane, und jetzt ist er hier bei uns im Studio. Seien Sie willkommen, Herr Kegel!
Bernhard Kegel: Guten Tag!
Meyer: Wie kommt das denn überhaupt, dass Dinosaurier einerseits so allgegenwärtig sind in unseren Kinderzimmern eben, aber auch in der Populärkultur – "Jurassic Park" zum Beispie, die Filme –, aber dass es bei uns keine Erwachsenenbücher dazu gibt? Können Sie sich das erklären?

"Jurassic Park"-Filme erzeugen Pseudosicherheit

Kegel: Nicht wirklich. Also das war für mich sozusagen auch der auslösende Skandal, dass diese Situation so ist wie sie ist. Sie haben ganze Kinder- und Jugendbuchbibliotheken, aber wirklich nichts Aktuelles. Ich glaube, ich gebe ein bisschen Hollywood die Schuld. Also ich glaube, dass die "Jurassic Park"-Filme so eine Pseudosicherheit oder Gewissheit erzeugt haben, dass die Menschen gedacht haben, ja, so waren sie, so sahen sie aus, sie sind so lebensecht jetzt dargestellt, dass es ganz schwerfällt, da so einen Abstand zu gewinnen.
Meyer: Wir werden uns die Saurierbilder und die Saurierwahrheit vielleicht mal ein bisschen anschauen. Zuerst mal zu Ihrem Buch: Wenn man das in die Hand nimmt, dann sieht man da auf dem Umschlag zuerst eigentlich so vertraute Saurierbilder, so diese riesigen Pflanzenfressersaurier mit den massigen Körpern und diesen extrem langen Hälsen und kleinen Köpfen, glatte Haut. Wenn man Ihr Buch aber aufschlägt, dann erschrickt man ein bisschen, denn da sieht man so einen auf zwei Beinen stehenden Saurier, sieht aus wie ein gigantischer Truthahn mit riesigem roten Schnabel, Krallen an den Flügeln, die auch so Federn haben. Ein irres Wesen, sieht aus, als wäre das kranker Fantasie entsprungen. Was ist das denn für ein Tier?
Kegel: Das ist eigentlich mein Lieblingsdinosaurier (…) der Gigantoraptor, und der repräsentiert sozusagen eine ganze Gruppe oder Klasse von Dinosauriern, die eben in der Öffentlichkeit überhaupt nicht angekommen ist. Wir wissen seit den 90er-Jahren, dass es gefiederte Dinosaurier gegeben hat, dass die Feder eine viel ältere Erfindung der Evolution war als wir dachten. Wir bringen die Feder ausschließlich mit Vögeln in Verbindung, weil das sind die einzigen lebenden Wesen, die Federn haben, aber die Paläontologen wissen nun, dass die Feder mindestens 100 Millionen Jahre älter ist, in Vorläuferstadien, und dass sie ganz anderen Zwecken diente als dem Flug, und es gab eben viele wirklich mehr oder weniger groteske Gestalten, die also befiedert waren, und gerade der Gigantoraptor sieht besonders abstrus aus, wie so eine Mischung aus Papagei und Vogelstrauß, und ein bisschen Dinosaurier alter Prägung ist auch mit drin. Der hat seine Federn wahrscheinlich benutzt, um in einer sehr heißen Gegend die Eier und die Jungtiere zu befächeln mit Luft und um anzugeben damit, also um Rivalen abzuschrecken und um Partnerinnen zu gewinnen.

Dinosaurier können auch so groß sein wie ein Spatz

Meyer: Sie erzählen unter anderem auch, finde ich auch ein tolles Detail, dass man ein Stück Bernstein gefunden hat, in dem ein versteinertes Dinosaurierschwänzchen drin ist, und das hat Federn, dieses Schwänzchen.
Kegel: Genau. Das ist ein spatzengroßes Tier gewesen – also auch die Vorstellung, dass Dinosaurier immer nur riesig und groß sind ist ja völlig falsch –, und das war tatsächlich eine Sensation, dass man also ein Dinosaurierschanz in Bernstein findet. Die Wissenschaftler waren also völlig aus dem Häuschen darüber. Diese Federn, die an diesem Schwanz sind, sind eher diese urtümlichen Federn, die so mehr haarförmig sind, aber eindeutig, wenn sie sich genauer anguckt, also zu den Federn gehören.
Meyer: Ihr Buch, das ist auch eine Geschichte der Vorstellung, die wir uns gemacht haben von Dinosauriern im Verlauf der letzten 200 Jahre, mal so grob gesagt. Deswegen stehen wahrscheinlich diese Bilder auch so weit vorne, diese ganz gegensätzlichen. Wenn wir mal auf den Anfang schauen, als man sich eben im frühen 19. Jahrhundert die ersten Bilder gemacht hat von Dinosauriern, welche Informationen hatte man damals eigentlich über diese Tiere?
Kegel: Man hatte einige wenige Knochen, also von den Dinosauriern speziell, kein einziges vollständiges Skelett, und das war völlig rätselhaft. Es gab dann eine Frau, Mary Anning, die im Süden Englands die ersten vollständigen Skelette von Meeresechsen gefunden hat. Das sind keine Dinosaurier, aber natürlich Verwandte. Es gab andere Echsengruppen, große Echsengruppen, vor allen Dingen im Meer, und da setzte sich dann langsam die Erkenntnis durch, dass es da Lebensformen gegeben hat, reptilienartig, die ganz anders waren, als alles, was heute noch lebt, und vor allen Dingen spektakuläre Größe hatte.

Ein T-Rex konnte sehr behutsam auftreten

Meyer: Und von diesen einzelnen Knochen, die man sich ja erst mal erklären musste, zu welchen Wesen die überhaupt gehören, was für Bilder hat man sich damals von Dinosauriern gemacht, eben vor 200 Jahren?
Kegel: Man kann das sehr gut sehen, wenn man in London in den Crystal Palace geht, da sind nämlich anlässlich der Weltausstellung, ich glaube, 1851 war es, die ersten Dinosaurierskulpturen geschaffen worden unter fachlicher Beratung von Richard Owen. Das war damals die große Kapazität auf dem Gebiet.
Meyer: Der hat auch den Begriff Dinosaurier erfunden.
Kegel: Richtig, genau. Und die sehen aus wie … Man hat sich natürlich orientiert an dem, was man kannte – das haben übrigens auch schon die Urvölker getan, als sie diese Dinosaurierknochen fanden – und hat also rhinozerosartige, nilpferdartige große, plumpe, säugetierartige Echsen da konstruiert, die bis heute da noch zu sehen sind und die die Menschen aber ungemein fasziniert haben. Die sind zu Zehntausenden in den Park gepilgert.
Meyer: Sie haben ja jetzt schon die "Jurassic Park"- und "Jurassic World"-Filme angesprochen. Die Bilder von Dinosauriern, die wir von daher kennen und die eben unsere Vorstellung so stark prägen, was ist denn wahrscheinlich grundfalsch an denen?
Kegel: Also zuerst muss ich mal sagen, weil das alles sehr kritisch klingt, dass ich natürlich Fan dieser Filme war, muss ich sagen. Ich werde zunehmend enttäuscht, weil sie ignorieren standhaft alle neuen Erkenntnisse, was eben auch deutlich macht, dass das sich hier um Kino handelt und nicht um Wissenschaftsfeuilleton oder wie man das sonst bezeichnen will. Nun, falsch ist wahrscheinlich in erster Linie das Verhalten der Tiere, wie sie dargestellt werden. Also wir haben ja … Der Fokus ist immer auf die Fleischfresser gerichtet, und dieses ewige Gebrülle und diese ewige Angriffslust …
Meyer: Wenn der T-Rex sich hinstellt und losbrüllt.
Kegel: Genau. Also welches Raubtier verhält sich denn so? Er würde ja sämtliche Beutetiere verschrecken. Auch dieses Donnern, wenn die auftreten, ist natürlich Fantasie. Das erzeugt natürlich einen Nervenkitzel im Kino, weil man spürt das also regelrecht im Bauch, aber ein großer T-Rex hatte etwa das gleiche Gewicht wie ein großer Elefantenbulle, und Elefantenbullen könne sehr behutsam auftreten, und das ist auch von einem Raubtier wie T-Rex zu erwarten, der ja seine Beute wahrscheinlich überraschen musste.
Meyer: Also hat sich wahrscheinlich eher auf leisen Sohlen angeschlichen.
Kegel: Absolut.

"Wir kennen den größten Teil aller Dinosaurierarten nicht"

Meyer: Macht aber nicht so viel her im Film. Jetzt ist Ihr Buch eben ein Durchgang durch verschiedene Phasen auch der Dinosaurierbegeisterung, wovon Sie erzählt haben. Diese Ausstellung in England, das war eben so eine frühe Hochphase der Dino-Begeisterung. Wie erklären Sie sich das eigentlich, dass diese Tiere so anhaltend und so immer wiederkehrend die Menschen so sehr faszinieren? Was sehen wir in Ihnen?
Kegel: Also da spielen bestimmt ganz viele Aspekte rein. Der prominente amerikanische Paläontologe Robert Becker, der hat das mit einer Infektionskrankheit verglichen. Man wird irgendwie meistens im Kindesalter infiziert, und dann ist es kurz und heftig, die Infektion oder sie ist chronisch und hält ein Leben lang an. Also sicher spielt die Größe dabei eine entscheidende Rolle, weil der Fokus ist ja nun mal auf die großen Dinosaurier. Die Tatsache, dass sie ausgestorben sind, dass sie sich also nicht unbeliebt machen können, indem sie heutzutage noch Menschen fressen, das würde ihnen sicherlich nicht gut bekommen in unserem Ansehen. Viel mehr kann man dazu eigentlich gar nicht sagen.
Dann spielt natürlich diese Bilderwelt eine ganz entscheidende Rolle, denn es sind ja nicht die Knochen, also das, was wir sozusagen als Hardware wirklich in der Hand haben, was das Bild in der Öffentlichkeit prägt, sondern es sind die Bilder, die daraus konstruiert werden, im besten Fall unter Beratung von Wissenschaftlern, von begabten Künstlern, im schlechteren Fall von Leuten, die einfach ihrer Fantasie freien Lauf lassen. Das ist das, was letzten Endes bei den Leuten ankommt.
Meyer: Die Wissenschaft ist noch heftig am Erforschen der Dinosaurier, man liest auch bei Ihnen, dass 85 Prozent aller heute bekannten Dinosaurierarten ihren Namen erst nach 1990 bekommen haben, also dass die erst in jüngster Vergangenheit entdeckt wurden. Kann es also sein, dass wir den größten Teil der Dinosaurier, die mal gelebt haben, noch gar nicht kennen?
Kegel: Ja, das ist definitiv so. Also es gibt Schätzungen über die Zahl der Dinosaurierarten, die es insgesamt gegeben hat, die liegt zwischen 2.000 und 2.500 Arten ungefähr. Das würde bedeuten, dass wir über die Hälfte, weit über die Hälfte der Dinosaurier noch gar nicht entdeckt haben.
Meyer: Und Ihr Buch heißt ja nun "Ausgestorben, um zu bleiben: Dinosaurier und ihre Nachfahren", die Nachfahren der Dinosaurier sind ja die Vögel, oder muss man jetzt eigentlich sagen, nicht Nachfahren, sondern Vögel sind Dinosaurier, sie leben eigentlich mitten unter uns?
Kegel: Genau. Also ich meinte das so ein bisschen doppeldeutig, weil Sie haben virtuelle Nachfahren in unseren Kinos und Computern, und Sie haben die realen Nachfahren, die Vögel. Sie haben völlig recht, Vögel sind Dinosaurier so wie wir Säugetiere sind. Wir stammen sozusagen von Säugetiervorfahren ab und sind deswegen selbst Säugetiere, und Vögel stammen von Dinosauriervorfahren ab und sind deshalb selbst Dinosaurier.
Meyer: Da kann man dann anders auf den Spatz auf der Straße gucken, wenn man das weiß, dass der mit dem – wie hieß dieser großartige Vogel, Dinosaurier, den Sie uns am Anfang vorgestellt haben aus Ihrem Buch?
Kegel: Gigantoraptor.
Meyer: Der Gigantoraptor. Muss man sich unbedingt angucken. Bernhard Kegel, "Ausgestorben, um zu bleiben: Dinosaurier und ihre Nachfahren", so heißt dieses Buch mit 270 Seiten, 50 Abbildungen, die auch sehr interessant sind in diesem Buch aus dem DuMont-Verlag, 22 Euro ist der Preis. Danke Ihnen für das Gespräch!
Kegel: Sehr gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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