Biologe: Der Mensch braucht Fleisch
Ohne Fleischverzehr hätte sich aus dem Affen kein Mensch entwickeln können, sagt der Naturhistoriker Josef Reichholf. Grund dafür sei vor allem der Protein-Bedarf des menschlichen Gehirns.
Katrin Heise: Heute wie an jedem Tag in dieser Woche im "Radiofeuilleton" interessieren uns Fragen rund ums Fleischessen. Wie kommt es eigentlich, dass wir Menschen überhaupt Fleisch essen? Hätten wir nicht als Vegetarier auch werden können, was wir sind? Das möchte ich von Josef Reichholf wissen, dem bekannten Naturhistoriker, Ökologen und Evolutionsbiologen. Er klärt mit seinen Büchern beispielsweise darüber auf, wie der Mensch sesshaft wurde. Das hat nämlich auch unter anderem mit seinem Fleischkonsum zu tun. Wir erfahren durch Reichholf aber auch, dass, wenn wir alle in Deutschland gehaltenen Rinder und Schweine auf eine Waage stellten, sie fünfmal schwerer wären als die menschliche Bevölkerung. So viel nur zur Menge der verspeisten Tiere. Schönen guten Tag, Herr Reichholf!
Josef H. Reichholf: Guten Tag!
Heise: Seit wann, Herr Reichholf, in der Entwicklung des Menschen verspeist er eigentlich Tiere?
Reichholf: Nun, das liegt so etwa fünf Millionen Jahre zurück und bezieht sich auf die Übergangszeit, in der sich die fernen Vorfahren unserer Stammeslinie, die zum Menschen geführt hat, von ihrer, wenn ich das so despektierlich sagen darf, äffischen Verwandtschaft getrennt haben. Unsere nächsten Verwandten, Schimpansen, Gorillas, bei denen ist es ganz ausgeprägt, und die Orang-Utans sind ja weitestgehend oder ausschließlich Pflanzenesser, also Vegetarier.
Heise: Das heißt genau an dem Punkt haben wir uns sozusagen getrennt. Warum eigentlich, was bietet der Fleischverzehr?
Reichholf: Ein sehr großes Gehirn. Unser Gehirn ist auf unsere Körpermasse bezogen etwa dreimal so groß wie das der Schimpansen oder Gorillas. Also die Vergrößerung des Gehirns ist etwas, was ja den Menschen zum Menschen gemacht hat, und dazu bedarf es Stoffe, die dem Körper die Möglichkeit geben dieses übergroße Gehirn aufzubauen und zu betreiben. Beim Aufbau ist es notwendig, die entsprechenden Proteine und die flüchtigen Fettsäuren zu haben, die die Gehirnmasse bilden. Und zwar ziemlich schnell, weil nachgeburtlich unser Gehirn ja gleich sehr stark wächst und keine nennenswerte Anzahl von Gehirnzellen mehr dazukommen.
Also dieses rasche Wachstum des Gehirns ist notwendig, dass es sich so differenzieren kann, dass wir eben als Menschen denken und fühlen und lernen können und uns dadurch eben auch von unseren nächsten Verwandten unterscheiden. Der Betrieb des Gehirns nimmt ungefähr ein Fünftel unseres gesamten Energiehaushalts in Anspruch, und das Gehirn ist aber nur ungefähr in der Größenordnung von zwei Prozent der Körpermasse. Also es ist ein sehr, sehr teures Organ.
Heise: Wie hätte sich der Mensch eigentlich entwickelt, wäre er Vegetarier gewesen? Wären wir da Schimpansen, Affen geblieben?
Reichholf: Aller Wahrscheinlichkeit nach, denn die nächsten Verwandten, die Schimpansen nehmen ja gelegentlich Fleisch zu sich, immer dann, wenn akuter Proteinmangel aufgetreten ist, dann werden sie aus unserer Sicht geradezu bestialisch, sie überfallen Paviane oder unter Umständen auch ihresgleichen und zerreißen die Beute mit einer Blutgier, dass also selbst die Schimpansenforscher wie Jane Goodall erschrocken waren, als sie das zum ersten Mal erlebten. Als Ausdruck dafür, dass eben akuter Eiweißmangel sie dazu gezwungen hat, weil die Pflanzen zu wenig hergeben.
Heise: Hatte der Mensch eigentlich an irgendeiner Stelle mal irgendeinen Ekel vor Fleisch oder gibt es da irgendwelche Hemmschwellen?
Reichholf: Es gibt natürlich die ganz wichtige Hemmschwelle, und zwar ist das der Geruch, wenn das Fleisch verdorben riecht. Dann tun wir ja gut daran, weil unsere Verdauung nicht auf eine gleichsam Vollwertfleischnahrung eingestellt ist wie bei echten Raubtieren, tun wir gut daran, dieses Fleisch zu meiden. Das Braten und das Kochen ist ja eine Art Versicherung gegen schädliche Infektionen, die tödlich sein können, weil Fleisch ja außerordentlich schnell verdirbt.
Heise: Über die Bedeutung des Fleischkonsums für die Evolution des Menschen spreche ich mit dem Evolutionsbiologen Josef Reichholf. Herr Reichholf, in seiner Entwicklung brauchte der Mensch also Fleisch, also um das Hirn überhaupt erst mal auf diese Größe zu bringen, auch entwicklungsgeschichtlich. Der moderne Mensch, braucht der auch Fleisch oder braucht der eigentlich kein Fleisch mehr?
Reichholf: Also so eine Entweder-Oder-Situation ergibt sich nur ganz selten. Wenn wir die Menschheit als Ganzes betrachten, also nicht nur die westversorgten hoch zivilisierten Regionen wie unsere, dann ist es klar, dass der Mensch Fleisch braucht. Wir könnten uns theoretisch leisten, ausschließlich auf der Basis von pflanzlichen Proteinen unseren Proteinbedarf zu decken, aber es ist eine gefährliche Angelegenheit, weil die pflanzlichen Proteine der Menge nach in der Nahrung geringer vorhanden sind und in der Zusammensetzung auch nicht so automatisch das Ideal dessen liefern, was der Körper benötigt.
Deswegen kann es sein – und bei ausgeprägten Veganerinnen ist das ja auch immer wieder passiert –, dass sie dann nicht in der Lage sind Kinder zu bekommen. Der Körper kann dann nicht die nötigen Überschüsse an Proteinen ansammeln, die er braucht, um ein Baby zur Entwicklung zu bringen. Also wir sind bei wirklich gut ausgestatteter vegetarischer Nahrung an der Grenze des Möglichen und es muss sehr gut kontrolliert werden. Wenn man aber mit etwas zusätzlichem Fleischkonsum tierischer Herkunft, vor allen Dingen mit Fischfleisch sich ernährt, dann ist man auf der sicheren Seite. Was aber bedeutet, dass wir vom gegenwärtigen Fleischkonsum, von mehr als 80 Kilogramm pro Kopf im Jahr bei uns in Deutschland natürlich locker um zwei Drittel herunterkommen könnten und immer noch ein sehr gutes Leben führen würden.
Heise: Sie haben sich vor Jahren ja schon in Ihrem Buch "Der Tanz ums goldene Kalb" mit intensiver Tierhaltung beschäftigt und auf die Folgen hingewiesen. Das ist ja ein Plädoyer gegen die Massentierhaltung, auch gegen das Zuviel. Oder gehen Sie vielleicht auch inzwischen weiter und empfehlen den Fleischverzicht oder die ganz starke Einschränkung?
Reichholf: Nein, ich betrachte mich da durchaus als ganz normalen Menschen mit auch den normalen Schwächen, die die Menschen haben. Ich esse ja ganz gerne Fleisch, das gebe ich ja durchaus zu. Es ist wirklich eine Frage der Menge und welche Art von Fleisch man zu sich nimmt. Die Massentierhaltung ist eben wirklich das Problem, und nicht der Fleischkonsum als solcher. Würde – um das plakativ auszudrücken – das Rindfleisch, das wir essen wollen, auf der Pampa heranwachsen, dann ist das weit weniger problematisch als bei einer Erzeugung in der Massenviehhaltung bei uns in Ställen, wenn die Futtermittel dazu aus Südamerika importiert werden müssen.
Das ist die Übersteigerung, um die es geht, und nicht um das Grundsätzliche, ob wir jetzt Fleisch essen sollen oder nicht. Das hat sehr viel mit Aspekten des Tierschutzes, der Verantwortung anderen Lebewesen gegenüber, auch mit artgerechter Haltung … Das sind eigene Bereiche, die absolut ihre Berechtigung haben, aber die grundsätzliche Frage, ob Fleisch essen oder nicht, halte ich für den Menschen von seiner Herkunft her gelöst: Er hat Bedürfnis nach Fleisch, er braucht Fleisch und er sollte das in Maßen zur Verfügung haben.
Heise: Wissenschaftler haben errechnet, dass die Produktion von einem Kilo Rindfleisch 36 Kilogramm Kohlendioxyd verursacht und damit das Klima so stark belastet wie 250 Kilometer Autofahrt. Irgendwo habe ich auch den Satz gelesen: Wenn alle Menschen auf der Welt so lebten wie wir Deutschen, dann bräuchten wir bald zwei Planeten. In diese Richtung mal weitergedacht jetzt auch als Evolutionsbiologe: Stirbt der Mensch irgendwann vielleicht wegen seines übersteigerten Fleischkonsums dann auch aus?
Reichholf: Aussterben wird er nicht, sondern er wird einfach durch die Ansprüche der Nachrückenden und ja bereits existierenden Massen von Menschen, die nicht diesen hohen Konsum von Fleisch und anderen Luxusgütern sich leisten können, gezwungen werden zum Maßhalten, auf ein vernünftiges Maß herunterzukommen. Wir sind ja gegenwärtig so, dass wir sagen können, ungefähr eine Milliarde Menschen – ist eine große Menge ja – hat Zugang zu ausreichenden oder im Überfluss genossenen Mengen von Fleisch; aber fünf Milliarden haben es nicht. Und wenn die das eben auch möchten – und die Wunschvorstellungen, die sie haben, sind ja legitim, weil wir es ihnen ja vormachen –, dann bedeutet das wirklich, dass wir eine zweite Erde brauchen würden oder eben, dass dort, wo der Konsum übermäßig hoch ist, dieser zurückgefahren wird.
Heise: Ja, wenn man sich da dann mal zu durchringen könnte. Was werden – jetzt mal gedanklich vorausgesetzt, die gibt es dann überhaupt noch – Naturhistoriker, Evolutionsbiologen in Jahrtausenden eigentlich finden über den Fleischkonsum unserer Tage, wie werden die den bewerten?
Reichholf: Wahrscheinlich als eine Art kurzfristige Welle, die durchgelaufen ist und sich als nicht dauerhaft tragfähig erwiesen hat, wie das in anderen Fällen ja auch der Fall war. Es hat ja immer wieder so Phasen gegeben, wo also zum Beispiel die alten Römer, um ein für uns naheliegendes Beispiel zu zitieren, die schwelgten ja auch in Luxus, und wir können uns heute nicht vorstellen, dass man Abendessen mit Nachtigallenzungen gemacht hatte.
Heise: Nee!
Reichholf: Da würde heute jeder die Hände überm Kopf zusammenschlagen und sagen, solche Barbaren, Nachtigallen in dieser Masse umzubringen, nur um die Zungen zu essen! Das geht nicht mehr, damals ging es. Man schöpfte in der Vogelwelt noch aus dem Vollen. Und insofern denke ich, dass vieles, was für uns heute gleichsam selbstverständlich scheint, mit dem Abstand von Jahrhunderten oder gar Jahrtausenden als eine vorübergehende Marotte eingestuft werden wird.
Heise: Da muss man ja immer auch sehen, auf welchen Teil der Erde man da gerade guckt.
Reichholf: Ja.
Heise: Gedanken von Josef Reichholf, Ökologe, Naturhistoriker, Evolutionsbiologe, über das Fleischessen. Herr Reichholf, ich danke Ihnen ganz herzlich für dieses Gespräch!
Reichholf: Ich bedanke mich auch!
Heise: In unserer Reihe hören wir morgen Argumente, die noch weiter gehen. Nicht nur durch Fleischessen versündigen wir uns an den Tieren, auch durch Eier, Milch, Honigproduktion beuten wir Tiere aus, Vegetarier haben zu Unrecht ein besseres Gewissen! Dazu hören Sie mehr morgen, zehn nach elf.
Dieser Beitrag ist Teil des Programmschwerpunkts "Tiere essen" im Radiofeuilleton, in dem wir uns noch bis zum 22. Januar täglich mit dem Thema Fleischverzicht und Fleischeslust befassen.
Josef H. Reichholf: Guten Tag!
Heise: Seit wann, Herr Reichholf, in der Entwicklung des Menschen verspeist er eigentlich Tiere?
Reichholf: Nun, das liegt so etwa fünf Millionen Jahre zurück und bezieht sich auf die Übergangszeit, in der sich die fernen Vorfahren unserer Stammeslinie, die zum Menschen geführt hat, von ihrer, wenn ich das so despektierlich sagen darf, äffischen Verwandtschaft getrennt haben. Unsere nächsten Verwandten, Schimpansen, Gorillas, bei denen ist es ganz ausgeprägt, und die Orang-Utans sind ja weitestgehend oder ausschließlich Pflanzenesser, also Vegetarier.
Heise: Das heißt genau an dem Punkt haben wir uns sozusagen getrennt. Warum eigentlich, was bietet der Fleischverzehr?
Reichholf: Ein sehr großes Gehirn. Unser Gehirn ist auf unsere Körpermasse bezogen etwa dreimal so groß wie das der Schimpansen oder Gorillas. Also die Vergrößerung des Gehirns ist etwas, was ja den Menschen zum Menschen gemacht hat, und dazu bedarf es Stoffe, die dem Körper die Möglichkeit geben dieses übergroße Gehirn aufzubauen und zu betreiben. Beim Aufbau ist es notwendig, die entsprechenden Proteine und die flüchtigen Fettsäuren zu haben, die die Gehirnmasse bilden. Und zwar ziemlich schnell, weil nachgeburtlich unser Gehirn ja gleich sehr stark wächst und keine nennenswerte Anzahl von Gehirnzellen mehr dazukommen.
Also dieses rasche Wachstum des Gehirns ist notwendig, dass es sich so differenzieren kann, dass wir eben als Menschen denken und fühlen und lernen können und uns dadurch eben auch von unseren nächsten Verwandten unterscheiden. Der Betrieb des Gehirns nimmt ungefähr ein Fünftel unseres gesamten Energiehaushalts in Anspruch, und das Gehirn ist aber nur ungefähr in der Größenordnung von zwei Prozent der Körpermasse. Also es ist ein sehr, sehr teures Organ.
Heise: Wie hätte sich der Mensch eigentlich entwickelt, wäre er Vegetarier gewesen? Wären wir da Schimpansen, Affen geblieben?
Reichholf: Aller Wahrscheinlichkeit nach, denn die nächsten Verwandten, die Schimpansen nehmen ja gelegentlich Fleisch zu sich, immer dann, wenn akuter Proteinmangel aufgetreten ist, dann werden sie aus unserer Sicht geradezu bestialisch, sie überfallen Paviane oder unter Umständen auch ihresgleichen und zerreißen die Beute mit einer Blutgier, dass also selbst die Schimpansenforscher wie Jane Goodall erschrocken waren, als sie das zum ersten Mal erlebten. Als Ausdruck dafür, dass eben akuter Eiweißmangel sie dazu gezwungen hat, weil die Pflanzen zu wenig hergeben.
Heise: Hatte der Mensch eigentlich an irgendeiner Stelle mal irgendeinen Ekel vor Fleisch oder gibt es da irgendwelche Hemmschwellen?
Reichholf: Es gibt natürlich die ganz wichtige Hemmschwelle, und zwar ist das der Geruch, wenn das Fleisch verdorben riecht. Dann tun wir ja gut daran, weil unsere Verdauung nicht auf eine gleichsam Vollwertfleischnahrung eingestellt ist wie bei echten Raubtieren, tun wir gut daran, dieses Fleisch zu meiden. Das Braten und das Kochen ist ja eine Art Versicherung gegen schädliche Infektionen, die tödlich sein können, weil Fleisch ja außerordentlich schnell verdirbt.
Heise: Über die Bedeutung des Fleischkonsums für die Evolution des Menschen spreche ich mit dem Evolutionsbiologen Josef Reichholf. Herr Reichholf, in seiner Entwicklung brauchte der Mensch also Fleisch, also um das Hirn überhaupt erst mal auf diese Größe zu bringen, auch entwicklungsgeschichtlich. Der moderne Mensch, braucht der auch Fleisch oder braucht der eigentlich kein Fleisch mehr?
Reichholf: Also so eine Entweder-Oder-Situation ergibt sich nur ganz selten. Wenn wir die Menschheit als Ganzes betrachten, also nicht nur die westversorgten hoch zivilisierten Regionen wie unsere, dann ist es klar, dass der Mensch Fleisch braucht. Wir könnten uns theoretisch leisten, ausschließlich auf der Basis von pflanzlichen Proteinen unseren Proteinbedarf zu decken, aber es ist eine gefährliche Angelegenheit, weil die pflanzlichen Proteine der Menge nach in der Nahrung geringer vorhanden sind und in der Zusammensetzung auch nicht so automatisch das Ideal dessen liefern, was der Körper benötigt.
Deswegen kann es sein – und bei ausgeprägten Veganerinnen ist das ja auch immer wieder passiert –, dass sie dann nicht in der Lage sind Kinder zu bekommen. Der Körper kann dann nicht die nötigen Überschüsse an Proteinen ansammeln, die er braucht, um ein Baby zur Entwicklung zu bringen. Also wir sind bei wirklich gut ausgestatteter vegetarischer Nahrung an der Grenze des Möglichen und es muss sehr gut kontrolliert werden. Wenn man aber mit etwas zusätzlichem Fleischkonsum tierischer Herkunft, vor allen Dingen mit Fischfleisch sich ernährt, dann ist man auf der sicheren Seite. Was aber bedeutet, dass wir vom gegenwärtigen Fleischkonsum, von mehr als 80 Kilogramm pro Kopf im Jahr bei uns in Deutschland natürlich locker um zwei Drittel herunterkommen könnten und immer noch ein sehr gutes Leben führen würden.
Heise: Sie haben sich vor Jahren ja schon in Ihrem Buch "Der Tanz ums goldene Kalb" mit intensiver Tierhaltung beschäftigt und auf die Folgen hingewiesen. Das ist ja ein Plädoyer gegen die Massentierhaltung, auch gegen das Zuviel. Oder gehen Sie vielleicht auch inzwischen weiter und empfehlen den Fleischverzicht oder die ganz starke Einschränkung?
Reichholf: Nein, ich betrachte mich da durchaus als ganz normalen Menschen mit auch den normalen Schwächen, die die Menschen haben. Ich esse ja ganz gerne Fleisch, das gebe ich ja durchaus zu. Es ist wirklich eine Frage der Menge und welche Art von Fleisch man zu sich nimmt. Die Massentierhaltung ist eben wirklich das Problem, und nicht der Fleischkonsum als solcher. Würde – um das plakativ auszudrücken – das Rindfleisch, das wir essen wollen, auf der Pampa heranwachsen, dann ist das weit weniger problematisch als bei einer Erzeugung in der Massenviehhaltung bei uns in Ställen, wenn die Futtermittel dazu aus Südamerika importiert werden müssen.
Das ist die Übersteigerung, um die es geht, und nicht um das Grundsätzliche, ob wir jetzt Fleisch essen sollen oder nicht. Das hat sehr viel mit Aspekten des Tierschutzes, der Verantwortung anderen Lebewesen gegenüber, auch mit artgerechter Haltung … Das sind eigene Bereiche, die absolut ihre Berechtigung haben, aber die grundsätzliche Frage, ob Fleisch essen oder nicht, halte ich für den Menschen von seiner Herkunft her gelöst: Er hat Bedürfnis nach Fleisch, er braucht Fleisch und er sollte das in Maßen zur Verfügung haben.
Heise: Wissenschaftler haben errechnet, dass die Produktion von einem Kilo Rindfleisch 36 Kilogramm Kohlendioxyd verursacht und damit das Klima so stark belastet wie 250 Kilometer Autofahrt. Irgendwo habe ich auch den Satz gelesen: Wenn alle Menschen auf der Welt so lebten wie wir Deutschen, dann bräuchten wir bald zwei Planeten. In diese Richtung mal weitergedacht jetzt auch als Evolutionsbiologe: Stirbt der Mensch irgendwann vielleicht wegen seines übersteigerten Fleischkonsums dann auch aus?
Reichholf: Aussterben wird er nicht, sondern er wird einfach durch die Ansprüche der Nachrückenden und ja bereits existierenden Massen von Menschen, die nicht diesen hohen Konsum von Fleisch und anderen Luxusgütern sich leisten können, gezwungen werden zum Maßhalten, auf ein vernünftiges Maß herunterzukommen. Wir sind ja gegenwärtig so, dass wir sagen können, ungefähr eine Milliarde Menschen – ist eine große Menge ja – hat Zugang zu ausreichenden oder im Überfluss genossenen Mengen von Fleisch; aber fünf Milliarden haben es nicht. Und wenn die das eben auch möchten – und die Wunschvorstellungen, die sie haben, sind ja legitim, weil wir es ihnen ja vormachen –, dann bedeutet das wirklich, dass wir eine zweite Erde brauchen würden oder eben, dass dort, wo der Konsum übermäßig hoch ist, dieser zurückgefahren wird.
Heise: Ja, wenn man sich da dann mal zu durchringen könnte. Was werden – jetzt mal gedanklich vorausgesetzt, die gibt es dann überhaupt noch – Naturhistoriker, Evolutionsbiologen in Jahrtausenden eigentlich finden über den Fleischkonsum unserer Tage, wie werden die den bewerten?
Reichholf: Wahrscheinlich als eine Art kurzfristige Welle, die durchgelaufen ist und sich als nicht dauerhaft tragfähig erwiesen hat, wie das in anderen Fällen ja auch der Fall war. Es hat ja immer wieder so Phasen gegeben, wo also zum Beispiel die alten Römer, um ein für uns naheliegendes Beispiel zu zitieren, die schwelgten ja auch in Luxus, und wir können uns heute nicht vorstellen, dass man Abendessen mit Nachtigallenzungen gemacht hatte.
Heise: Nee!
Reichholf: Da würde heute jeder die Hände überm Kopf zusammenschlagen und sagen, solche Barbaren, Nachtigallen in dieser Masse umzubringen, nur um die Zungen zu essen! Das geht nicht mehr, damals ging es. Man schöpfte in der Vogelwelt noch aus dem Vollen. Und insofern denke ich, dass vieles, was für uns heute gleichsam selbstverständlich scheint, mit dem Abstand von Jahrhunderten oder gar Jahrtausenden als eine vorübergehende Marotte eingestuft werden wird.
Heise: Da muss man ja immer auch sehen, auf welchen Teil der Erde man da gerade guckt.
Reichholf: Ja.
Heise: Gedanken von Josef Reichholf, Ökologe, Naturhistoriker, Evolutionsbiologe, über das Fleischessen. Herr Reichholf, ich danke Ihnen ganz herzlich für dieses Gespräch!
Reichholf: Ich bedanke mich auch!
Heise: In unserer Reihe hören wir morgen Argumente, die noch weiter gehen. Nicht nur durch Fleischessen versündigen wir uns an den Tieren, auch durch Eier, Milch, Honigproduktion beuten wir Tiere aus, Vegetarier haben zu Unrecht ein besseres Gewissen! Dazu hören Sie mehr morgen, zehn nach elf.
Dieser Beitrag ist Teil des Programmschwerpunkts "Tiere essen" im Radiofeuilleton, in dem wir uns noch bis zum 22. Januar täglich mit dem Thema Fleischverzicht und Fleischeslust befassen.