Biosicherheit

Die Grenzen der freien Forschung

Bio-Forschung: Gefahr aus dem Labor?
Bio-Forschung: Gefahr aus dem Labor? © dpa picture alliance / Michael Rosenfeld
Torsten Wilholt im Gespräch mit Marietta Schwarz |
In der Forschung wird auch mit gefährlichen Viren experimentiert. Darf die Veröffentlichung der Ergebnisse verboten werden, wenn Gefahr von Missbrauch zum Beispiel durch Terroristen besteht? Unter Umständen ja, sagt der Philosoph Torsten Wilholt. Die Entscheidung darüber dürfe aber nicht der Politik überlassen werden. Der Deutsche Ethikrat legt heute seine Stellungnahme zur Biosicherheit vor.
Marietta Schwarz: Das Szenario kennt man aus Science-Fiction-Filmen: Terroristen erschaffen tödliche Viren im Labor und setzen die dann für Biowaffenanschläge ein. Was aber, wenn andere, sprich redliche Forscher solche Viren erzeugen und diese dann in die falschen Hände geraten? Ein solches Virus, eine gefährliche Mutation des Vogelgrippevirus H5N1, ist vor einigen Jahren in Laboren erzeugt worden. Darauf entstand eine Grundsatzdebatte – auch, ob eine Veröffentlichung verhindert oder zensiert werden darf. Kritiker sehen darin nicht nur die Gefahr, dass Killerviren aus Laboren entfleuchen, sondern auch, dass Veröffentlichungen, also wissenschaftliche Publikationen als Bauanleitung von Terroristen missbraucht werden könnten. Heute legt der Deutsche Ethikrat seine Stellungnahme zur Biosicherheit vor, und einer der beratenden Sachverständigen ist jetzt am Telefon. Torsten Wilholt, Professor für Philosophie und Geschichte der Naturwissenschaften von der Leibniz-Universität in Hannover. Guten Morgen!
Torsten Wilholt: Guten Morgen, Frau Schwarz!
Schwarz: Herr Wilholt, vielleicht erst mal noch zur Erklärung in dieser etwas komplizierten Materie: Von welchen Forschungen reden wir eigentlich? Da fällt immer dieser Begriff Dual Use.
Wilholt: Unter Dual Use versteht man ja ganz allgemein Forschungen, die möglicherweise, also deren Ergebnisse möglicherweise zu üblen Zwecken verwendet werden können, die aber nicht unmittelbar immer auf diese üblen Zwecke ausgerichtet sind, also die auch möglicherweise gute Zwecke haben können.
Schwarz: Und ist zu Beginn eines Forschungsprojektes immer klar, dass neben dem Nutzen auch eine Gefahr lauert?
Gesetzliche Schranken bei Versuchen mit Menschen und Tieren
Wilholt: Na ja, das kann nicht immer klar sein. Wissenschaftliche Forschung ist eben das Vorstoßen in den immensen Bereich unseres Nichtwissens, und was am Ende herauskommt, ist eben kennzeichnenderweise für den wissenschaftlichen Prozess am Anfang nicht klar. Aber es gibt auch Fälle, wo von vornherein Risiken absehbar und erkennbar sind, so wie bei den Forschungen, von denen Sie jetzt gesprochen haben, man davon ausgehen darf, dass die Forscherinnen und Forscher, die daran beteiligt waren, auch das auf dem Radar hatten, dass ihre Ergebnisse auch zu schlechten Zwecken verwendet werden können.
Schwarz: Die große Frage, die die Deutsche Ethikkommission, den Ethikrat jetzt beschäftigt, ist ja die, ob solche Forschungen, die eine gewisse Gefahr bergen, unterbunden werden sollen, können, dürfen – wie ist da Ihre Meinung dazu?
Wilholt: Meine Meinung ist, dass es durchaus Umstände geben kann, bei denen als Ultima Ratio auch Verbote von Forschung und Verbote von Veröffentlichungen möglich sind. Es ist auch ja für uns nicht so undenkbar, weil es schon ohnehin klar ist, dass Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nicht alles machen dürfen, was zum Zweck der Wahrheitsfindung erforderlich wäre. Zum Beispiel, wenn man an Experimente mit menschlichen Probanden denkt, auch an Tierversuche. Dort gibt es gesetzliche Grenzen und Schranken, die eben darauf verweisen, dass die Freiheit der Wissenschaft zwar ein hohes Gut ist, aber keines, was nicht mit anderen hohen Gütern verglichen und abgewogen werden könnte.
Schwarz: Und an welche Fälle denken Sie da im Falle der Biosicherheit? Wann wäre die Grenze überschritten?
Festes Kriterium schwer zu formulieren
Wilholt: Grundsätzlich, wenn die Gefahr an irreversiblen und großen Schäden an Leib und Leben sehr groß ist. Ich glaube andererseits, dass es nicht möglich ist, jetzt von vornherein ein festes Kriterium zu formulieren, weil die eigentlich entscheidende Frage betrifft eben Abwägungen zwischen sehr hohen Gütern. Einerseits die Frage, welche Art von wissenschaftlichem Wissen brauchen wir, um die vielfältigen Zwecke, die die Wissenschaft für das Gemeinwohl erfüllt, nicht zu gefährden. Wollen wir ja auch weiter freie Forschung haben? Und andererseits: Wie wird dieses Gemeinwohl bedroht möglicherweise durch die Risiken. Und da wir als Gesellschaft ein sich immer wandelndes und von vielen Werteinflüssen betroffenes Verständnis des Gemeinwohls haben, und da es zu einer demokratischen Gesellschaft gehört, immer ein lebendiges – an einer gemeinsamen Konzeption dieses Gemeinwohls zu arbeiten, sind das halt Aushandlungsprozesse, die auch im Einzelfall getroffen werden müssen.
Schwarz: Jetzt ist natürlich die Frage, wenn Sie von dieser Ultima Ratio reden, wer wäre da derjenige, der das entscheidet? Wer würde sagen, ich schränke Deine Freiheit als Forscher ein, weil das nicht tragbar ist, was Sie da vorhaben. Die Politik kann das ja sicher nicht tun.
Wilholt: Das ist eine ganz schwierige Frage, und ich bin sehr gespannt darauf, wie der Ethikrat sie heute Mittag beantworten wird. Denn es ist in der Tat so, wie Sie sagen, dass es problematisch ist, solche Entscheidungen den politischen Gewalten, also der Regierung etwa selbst zu überlassen. Denn es ist ein hoher Wert, die Wissenschaft unabhängig von dem unmittelbaren Einfluss politischer Akteure zu halten. Denn wir dürfen nicht vergessen, dass Wissenschaft immer wieder auch eine wichtige Quelle von Informationen für Bürgerinnen und Bürger ist, und dass es auch einen hohen Wert für den demokratischen Prozess hat, eine politisch unabhängige Wissenschaft zu haben. Und wir wollen ja auf keinen Fall ein Instrument jetzt schaffen, mit dem man zum Beispiel missliebige Informationen unterdrücken könnte. Das scheint weit hergeholt, aber man darf nicht vergessen, dass es solche politischen Einflussnahmen etwa in den USA unter der Regierung George W. Bush durchaus gegeben hat. Und deshalb wäre für mich die naheliegendste Idee, eine unabhängige Stelle zu schaffen, die sowohl wissenschaftliche Kompetenz besitzt, die notwendige wissenschaftliche Kompetenz besitzt, aber in der auch zivilgesellschaftliche Vertreterinnen und Vertreter die Werte und Interessen der Bevölkerung vertreten und stark machen.
Schwarz: Torsten Wilholt, Professor für Philosophie und Geschichte der Naturwissenschaften von der Leibniz-Universität in Hannover. Herr Wilholt, danke für das Gespräch!
Wilholt: Ich danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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