Biotechnologie

Werden wir alle bald Cyborgs?

Ein Star-Trek-Fan hat sich als "Borg" verkleidet.
Sieht so die Zukunft aus? Ein Star-Trek-Fan, verkleidet als Cyborg © LEON NEAL / AFP
Stefan Lorenz Sorgner im Gespräch mit Miriam Rossius |
Brauchen wir Gehirn-Computer-Schnittstellen, Stimulation im Kopf, verbesserte Gene? Der Philosoph Stefan Lorenz Sorgner plädiert für die Optimierung des Menschen durch neue biotechnische Möglichkeiten.
Der Philosoph Stefan Lorenz Sorgner verteidigt den Einsatz technischen Fortschritts zur Verbesserung des Menschen und fordert ein neues Menschenbild, um die neuen Möglichkeiten auch auf rechtlicher Ebene realisieren zu dürfen.
Die Verschmelzung von Mensch und Maschine "birgt ein enormes Potenzial, das funktioniert heute schon", sagte Sorgner. Als Beispiel für sogenannte Enhancement-Technologien nannte er die tiefe Hirnstimulation ("'Deep Brain Stimulation"), populärwissenschaftlich auch als "Hirnschrittmacher" bezeichnet. Diese Technik, bei der feine Elektroden an betroffene Stellen tief im Gehirn eingesetzt werden, werde bei der Behandlung von Parkinson-Symptomen, aber auch bei Depressionen bereits erfolgreich angewendet.
Im Silicon Valley oder in Südkorea herrscht eine technik-optimistische Grundhaltung
Allerdings träfen Überlegungen wie das Hochladen einer Persönlichkeit in den Computer oder genetische Verbesserungen insbesondere im deutschsprachigen Raum auf Vorbehalte. Hier herrsche eine "bio-konservative, eine fast technikfeindliche Haltung" kritisierte Lorenz. Dagegen werde in den USA etwa im Silicon Valley aber auch in Südkorea Technik besonders stark bejaht, so Sorgner, der sich als Metahumanist bezeichnet und als Dozent an der Universität Erfurt über Transhumanismus lehrt.
Eugenik im Rahmen einer liberalen Grundhaltung
Kritik, genetisches Enhancement legitimiere eine neue Eugenik, weist Sorgner zurück: Die Entscheidung, ob der Einzelne seine Erbanlagen verändern lasse, werde nicht, wie im Dritten Reich, vom Staat getroffen, sondern durch einzelne persönliche Entscheidungen. Der Begriff des genetischen Enhancement entspreche zwar der Eugenik, die neuen Möglichkeiten einer genetischen Verbesserung würden aber heute "im Rahmen einer liberalen Grundhaltung" diskutiert: "Das heißt, entweder jeder entscheidet selbst, welche Erbanlagen er verändern möchte, (...) oder Eltern treffen für ihr Kind da möglicherweise eine Auswahl."
Rechtliche Bedingungen schaffen
Um die neuen technischen Möglichkeiten auch anwenden zu können, müsse sich allerdings das vorherrschende Menschenbild verändern, forderte Sorgner. "Das ist noch das Denken wie in der Christenheit, im kantischen Denken, wie vor 200, 500, 1000 Jahren der Mensch konzeptioniert wurde." Es präge das Grundgesetz etwa im Begriff der Menschenwürde. Danach komme nur Menschen eine kategoriale Sonderstellung zu, während Tiere wie Sachen behandelt würden. "Ein Menschenbild, das von vielen von uns nicht mehr geteilt wird. Auch der Mensch muss in die Kette der natürlichen Wesen eingeordnet werden. Auch wir unterscheiden uns nur graduell zu allen anderen Wesen", sagte Sorgner. Der vorherrschende Humanitätsbegriff verhindere aber, dass wir uns "mit bestimmten Möglichkeiten des Menschseins auseinandersetzen können und sie auch auf rechtlicher Ebene realisieren dürfen."

Das vollständige Interview im Wortlaut:
Miriam Rossius: Neue Technik und die Furcht davor haben uns die ganze Woche über beschäftigt. Zum Abschluss der Reihe haben wir ein Thema ausgesucht, das die Menschen schon seit Jahrhunderten umtreibt, nämlich die Verschmelzung von Mensch und Technik. E. T. A. Hoffmann hat sie in seiner Novelle "Der Sandmann" beschrieben, wir kennen "Frankenstein", "Jekyll and Hyde" oder den "Blade Runner". Alles keine glücklichen Wesen! Das wäre wahrscheinlich anders, wenn der Philosoph und Transhumanist Stefan Lorenz Sorgner diese Geschichten geschrieben hätte! Er lehrt an der Universität Erfurt und er plädiert für Techniken, die den Körper direkt beeinflussen oder zum Beispiel eingepflanzt werden. Ich grüße Sie, Herr Sorgner, einen schönen guten Morgen!
Stefan Lorenz Sorgner: Einen schönen guten Morgen!
Rossius: Viele Leute finden die Vorstellung eher gruselig, dass wir durch implantierte Technik optimiert werden. Warum glauben Sie, dass solche Entwicklungen gut für die Menschheit sind?
Sorgner: Ich glaube, alleine diese Aussage müssten wir relativieren. Viele Menschen stehen den Techniken auch sehr positiv gegenüber. Ich glaube, das unterscheidet sich sehr stark von Land zu Land und von der Tradition, wie sie in dem jeweiligen Land eine vorherrschende ist. Ich weiß, dass wir gerade im deutschsprachigen Raum – Österreich und Deutschland sind da besonders noch mal herauszuheben – eine besonders biokonservative, eine besonders Technik fast feindliche Haltung gegenüber einnehmen. Und das entspricht aber mit Sicherheit nicht der weit verbreiteten Haltung, wie sie etwa im Silicon Valley oder in den Vereinigten Staaten im Allgemeinen gegeben ist. Ein anderes Beispiel wäre auch Südkorea, wo ich mich in den letzten Jahren häufiger aufgehalten habe. Dort ist fast jeder als eine Art Transhumanist zu bezeichnen, als jemand, der Techniken besonders stark bejaht und auf sie zurückgreift und eine ganz große Hoffnung mit ihnen in Verbindung sieht.
Rossius: Woran liegt denn das, dass Ihre Ideen zum Beispiel in den USA oder in Südkorea viel verbreiteter sind als bei uns?
Sorgner: Die Ideen an sich sind in Südkorea noch nicht verbreitet, es ist mehr diese technikoptimistische Grundhaltung. Es liegt mit Sicherheit daran, dass in Deutschland eine sehr große Technikfeindschaft oder eine große Vorsicht bezüglich von neuesten Techniken vorhanden ist, mit der Geschichte in Deutschland, insbesondere mit den Ereignissen im Dritten Reich, wo man auch Eugenik praktiziert hat, wo man lebensunwertes Leben vernichtet hat. Und auch gerade der Eugenik-Begriff ist natürlich einer, der in den letzten Jahrzehnten wieder aufgekommen ist, heutzutage wird aber dann auf genetisches Enhancement verwiesen, also die Möglichkeiten der genetischen Verbesserung. In der Bedeutung des Begriffs entspricht der Begriff des genetischen Enhancements genau dem der Eugenik. Deshalb ...
Rossius: Warum sollen wir dann davor keine Angst haben?
Sorgner: Weil die Vorgänge, die in diesem Zusammenhang geschehen, auf der politischen Ebene radikal andere sind. Eugenik thematisiert immer die Veränderung der Gene auf der Basis von allgemeinen politischen Standards. Hier hat der Staat, der Führer bestimmt, nach welchen Richtlinien ... was lebenswerte Gene sind oder welche Menschen vernichtet werden sollen. Heutzutage werden die Entscheidungen darüber ... oder die ganze Debatte zum genetischen Enhancement findet vor einer liberalen Grundhaltung statt. Das heißt, entweder der Mensch entscheidet für sich selbst, ich möchte meine eigenen Erbanlagen verändern, oder es betrifft die besondere Mutter-Kind- oder Eltern-Kind-Beziehung, dass Eltern für ihre Kinder möglicherweise eine Auswahl treffen können oder dürfen.
Rossius: Sie setzen, was technische Entwicklungen, implantierbare Technik angeht, auf einen Hirnschrittmacher. Was ist das?
Sorgner: Der Hirnschrittmacher ist sozusagen der populäre Ausdruck für die Deep Brain Stimulation, also für die tiefe Hirnstimulation. Das ist eine Technik, die bereits heute sehr erfolgreich ist. Sie wird gegenwärtig insbesondere bei Parkinson-Krankheit angewandt, dort ist sie enorm erfolgreich in der Behandlung von Symptomen. Es wird aber auch bereits daran gearbeitet, dass also diese Hirnschrittmacher so eine Wirkung erzielen sollen, dass das Gehirn wieder letztendlich normal funktionieren kann. Gegenwärtig bekämpft es nur sehr erfolgreich die Symptome. Es wird auch schon eingesetzt – dort ist es aber noch im Erprobungsstadium – bei stark depressiven Patienten, das heißt, bei solchen, die ansonsten alle anderen Formen von Psychotherapie, von Behandlung mit Pharmazeutika austherapiert sind, die immer noch täglich damit kämpfen, selbstmordgedankengequält sind und auch häufig schon Selbstmordversuche unternommen haben. Auch bei denen wurden solche tiefen Hirnstimulationsgeräte eingesetzt und auch dort zeigte sich, dass die Behandlung eine enorm erfolgreiche ist. Hieran wird deutlich, dass diese Verschmelzung auch zwischen Mensch und Maschine ein enormes Potenzial birgt, und an diesen beiden Beispielen alleine wird deutlich, dass es sich nicht um Hirngespinste oder Visionen handelt, die für die weite Zukunft einmal realisiert werden können, sondern das funktioniert heute schon. Es ist eben eine Frage der Zeit, wann noch weitere Möglichkeiten dort realisiert werden könnten.
Rossius: Die Technologie ist auf jeden Fall noch nicht ausgereizt, was die Möglichkeiten angeht. Aber wie sieht das denn mit unserer Vorstellung, unserem gängigen Menschenbild aus? Müssen wir das erst mal über Bord werfen, bevor der Weg frei ist für solche Technologien? Sie haben ja zum Beispiel auch die Vision von Persönlichkeiten, die im Computer hochgeladen sind!
Sorgner: Genau, das ist eine ganz wichtige Fragestellung. Das vorherrschende Menschenbild ist immer noch so, dass wir so denken wie im Christentum, im Kantschen Denken, wie vor 200, vor 500, vor 1.000 Jahren der Mensch konzeptionalisiert wurde. Und das ist übrigens ein Menschenbild, was heute auch auf rechtlicher Ebene in Deutschland noch immer das vorherrschende ist. Das Grundgesetz beruht auf dem Menschenwürde-Paragrafen. Der Menschenwürde-Paragraf impliziert ein Menschenverständnis, nach dem nur dem Menschen Würde zukommt. Tiere werden zwar nicht als Sachen angesehen, aber sollen rechtlich wie Sachen behandelt werden. Das heißt, wir haben hier immer noch ein Bild, nur der Mensch hat diese kategoriale Sonderstellung in der Welt, alles andere sind reine Dinge, sind reine Objekte. Und das ist ein Menschenbild, das von vielen von uns heute nicht mehr geteilt wird. Auch der Mensch muss in diese Kette der natürlichen Wesen eingeordnet werden, auch wir unterscheiden uns nur graduell zu allen anderen Wesen. Damit verhindern wir natürlich auch den Einsatz, uns mit bestimmten Möglichkeiten des Menschseins auseinandersetzen zu können und sie auch auf rechtlicher Ebene realisieren zu dürfen.
Rossius: Wir sollten keine Angst haben vor der Verschmelzung von Mensch und Technik, sie ist eine Chance, meint der Philosoph und Transhumanist Stefan Lorenz Sorgner. Haben Sie vielen Dank für das Gespräch!
Sorgner: Danke schön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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