Birgit Lahann: "Als endete an der Grenze die Welt"
Verlag J.H.W. Dietz Nachf., Bonn 2020
312 Seiten, 27 Euro
Hartnäckig fragen, nie urteilen
12:22 Minuten
Ob Stasi-Agenten, DDR-Oppositionelle oder Künstler: Die Reporterin Birgit Lahann hat mit allen gesprochen. Einfühlsam erzählt sie Geschichten aus einem untergegangenen Land und von den Freundschaften, die dabei entstanden sind.
Direkt nach dem Mauerfall ist die Stern-Reporterin Birgit Lahann losgezogen, um Geschichten aus der DDR zu sammeln. Geschichten einer untergegangenen Gesellschaft: Drei Tage nach dem Mauerfall trifft sie den Schauspieler Ulrich Mühe in seiner Wohnung im Berliner Nikolaiviertel, der seinen neuen Armani-Anzug trägt und vor seinem Bücherregal grübelt, welchen Platz darin Anna Seghers und Christa Wolf noch haben sollen.
Sie trifft den SED-Diplomaten, der nach New York reist, um bei den Vereinten Nationen die DDR abzumelden – und für das abgemeldete Land nicht mal eine Quittung bekommt. Sie trifft den Lyriker Günter Kunert, der von dem Zettel am Briefkasten erzählt, er möge sich doch bitte zur Klärung eines Sachverhalts bereithalten, bis keiner der Nachbarn mehr mit ihm sprechen wollte.
"Die Fotos durften keine Wünsche wecken"
All diese Geschichten erzählt Lahann in ihrem Buch "Als endete an der Grenze die Welt". Etliche Bilder darin stammen von der früheren DDR-Fotografin Ute Mahler, mit der Lahann 20 Jahre lang zusammengearbeitet hat. Mahler habe ihr auch erzählt, wie schwierig es mit der Modefotografie in der DDR gewesen sei: "Die Fotos durften keine Wünsche wecken." Deshalb waren Fotos in Potsdam am Schloss Sanssouci verboten – der Anblick der Palmen hätte die Sehnsucht nach Italien wecken können.
Selbst ein Trabi im Bildhintergrund war verboten, "weil die Wartezeiten so lang waren". Wichtig sei es ihr immer gewesen, bei aller Leichtigkeit ihrer Reportagen immer auch die Verfolgung durch die Stasi, die Zersetzung und den Verrat durch Freunde aufzuschreiben – diese Themen ziehen sich wie ein roter Faden durch die Gespräche und Porträts der Reporterin.
Lahanns Art bringt Menschen zum Sprechen
In der Lesart erzählt Birgit Lahann von ihren Treffen mit Künstlern, mit Oppositionellen und mit Stasi-Agenten. Auch von den Freundschaften, die dabei entstanden seien, und von der Offenheit, mit der sie als Westdeutsche stets empfangen worden sei. Es sei ihr stets wichtig gewesen, zwar hartnäckig zu fragen, aber nie zu verurteilen.
Selbst der SPD-Politiker und langjährige Stasi-Spitzel Ibrahim Böhme habe deshalb Vertrauen gefasst. Nach diesem Porträt habe ihr der Schriftsteller Jürgen Fuchs einen Satz gesagt, der sie erschreckt habe: "Sie waren für ihn wie ein Führungsoffizier: Wenn das Tonband lief, dann redete er."