Urheberrecht

Birkenstock-Sandalen sind keine Kunst

Birkenstock-Sandalen mit Fell in verschiedenen Farben. Sie sind Teil einer Winterkollektion des Herstellers.
Das Design der Birkenstock-Sandalen im Stil des Brutalismus sei einmalig und deshalb Kunst, argumentierte der Schuhhersteller. © picture alliance / Snowfield Photography / D. Kerlekin / Snowfield Photography
Die Firma Birkenstock wollte ihre gleichnamigen Gesundheitssandalen zu Kunst erklären lassen – und ist mit diesem Ansinnen vor dem Bundesgerichtshof gescheitert. Das Unternehmen wollte so einen Urheberrechtsschutz für die Schuhe erwirken.
Kaum ein Produkt hat in den vergangenen Jahrzehnten einen vergleichbaren Imagewandel vollzogen wie die Birkenstock-Sandale. Einst galten die Gesundheitsschuhe mit dem anatomischen Fußbett aus Kork als Inbegriff der Uncoolness, inzwischen sind sie Kult. Hollywood-Stars bei der Oscar-Verleihung, Topmodels und sogar Barbie tragen die Ökotreter.
Das beeindruckte den Bundesgerichtshof jedoch nicht. Denn der erklärte jetzt: Birkenstock-Sandalen sind keine Kunst. Als solche wollte Birkenstock die Schuhe aber deklarieren lassen, um so für sie ein Urheberrecht geltend machen zu können. Das schützt nämlich vor Nachahmern.

Wie begründet der BGH seine Ablehnung?

Der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe hat entschieden, dass Birkenstock-Sandalen keine urheberrechtlich geschützten Werke der angewandten Kunst sind. Für einen Urheberrechtsschutz reiche ein rein handwerkliches Schaffen mit formalen Gestaltungselementen nicht aus, betonte das Gericht. Vielmehr müsse ein Gestaltungsspielraum in einem bestimmten Maß künstlerisch ausgeschöpft werden. Das sei bei den Birkenstock-Sandalen nicht festgestellt worden.
Damit bestätigte der BGH ein Urteil des Oberlandesgerichts Köln aus dem Jahr 2024. Das hatte entschieden, dass die Sandalen nicht die Anforderungen an ein Werk erfüllten. Eine künstlerische Leistung sei nicht feststellbar. Gegen das Urteil des OLG war Birkenstock in Revision gegangen.

Warum wollte Birkenstock seine Schuhe zur Kunst erklären lassen?

2021 wurde Birkenstock an das Luxusgüterunternehmen LVMH verkauft, zu dem unter anderem auch Marken wie Louis Vuitton und Christian Dior gehören. 2023 folgte der Börsengang. Dadurch steht das Unternehmen unter dem Druck, Profite zu erzielen.
Bisher mit Erfolg: Durch die Etablierung als Trendschuh konnte Birkenstock seinen Umsatz innerhalb von fünf Jahren verdoppeln. Ein Paar Sandalen kostet mittlerweile zwischen 90 und 150 Euro.
Seit den 1990er-Jahren hat Birkenstock außerdem regelmäßig Kollaborationen mit Luxusmarken umgesetzt. Der Schuhexperte Philipp Kassel vermutet, dass LVMH die Strategie verfolgt, Birkenstock zur „Sandale für die betuchteren Menschen“ zu machen.
Die Grafik zeigt den weltweiten Umsatz von Birkenstock bis zum Jahr 2023.
Birkenstock konnte seinen Umsatz zuletzt innerhalb von fünf Jahren mehr als verdoppeln.© Statista
Doch wegen der hohen Preise gibt es inzwischen auch viele deutlich günstigere Nachahmungen. Um das zu unterbinden, wollte Birkenstock für sie ein Urheberrecht geltend machen. Denn dann würde ein exklusives Nutzungsrecht für den Urheber bestehen – in diesem Fall also für Erfinder Karl Birkenstock – und zwar bis 70 Jahre nach dessen Tod.
Andere Firmen hätten die Sandalen dann nicht mehr ohne Erlaubnis kopieren oder nachahmen dürfen. Birkenstock wäre dann der einzige Anbieter für diese Art von Sandalen und könnte seine Schuhe noch besser zum Statussymbol entwickeln, erklärt Kassel.
Das Urheberrecht ist deutlich weitreichender ausgelegt als etwa das Patent- oder Designrecht. Ein Design kann für maximal 25 Jahre geschützt werden, ein Patent gilt maximal 20 Jahre lang. Da einige Modelle seit den 1970er Jahren nicht verändert wurden, sind diese Fristen längst verjährt.

Klagen gegen Nachahmer

Birkenstock hatte drei Konkurrenzfirmen verklagt, weil diese Sandalen verkaufen, die den eigenen Modellen sehr ähnlichsehen. Laut dem Unternehmen wird dadurch das Urheberrecht verletzt, weil es sich bei den Schuhen um Kunstwerke handele.
Konkret geht es um vier Birkenstock-Modelle: „Arizona“, die Sandale mit zwei breiten Riemen, „Madrid“ mit nur einem Riemen, den Zehentrenner „Gizeh“ und den Clog „Boston“. Dem Unternehmen nach sind es die Klassiker, die Verbraucherinnen und Verbraucher typischerweise mit der Marke in Verbindung bringen.
Das Landgericht Köln gab den Klagen statt und erkannte die Sandalen damit als angewandte Kunst an. Im Berufungsverfahren entschied das Oberlandgericht Köln dann aber anders: Es konnte keine künstlerische Leistung feststellen.
Es war nicht das erste Mal, dass Birkenstock gegen Nachahmungen juristisch vorging. In der Vergangenheit berief sich der Schuhhersteller auf das Design- oder Wettbewerbsrecht. Im Urheberrecht sah das Unternehmen augenscheinlich noch bessere Möglichkeiten, gegen die Konkurrenz vorzugehen. 

Ein Gebrauchsgegenstand als Kunstwerk?

In der Debatte um die Birkenstock-Sandalen steckt auch die Frage, wann ein Objekt als Kunst angesehen werden kann. Ein Kunstwerk sei nur dann ein Kunstwerk, wenn es als eigenständige geistige Schöpfung des Urhebers anzusehen ist, so der vorsitzende Richter am Bundesgerichtshof, Thomas Koch. Im aktuellen Fall musste die Firma Birkenstock also beweisen, dass es sich bei den Sandalen um eine reine Schöpfung von Karl Birkenstock handelt.
Für Florentine Nadolni, Leiterin des Museums der Dinge in Berlin, sind Kunstwerke im Normalfall Unikate. Das stehe im Widerspruch zu einer massenhaften Herstellung.
Ein anderer Aspekt ist Nadolni zufolge der Nutzen eines Objekts. Ein Kunstwerk muss keinen fest vorgesehenen Zweck erfüllen, es ist kein Gebrauchsgegenstand und steht für sich. Es gibt aber auch den Begriff der angewandten Kunst, der sich auf die künstlerische Gestaltung von Alltagsgegenständen bezieht. Auf diesen berief sich Birkenstock in seiner Argumentation.
Ob ein Alltagsgegenstand als Kunstwerk gewertet werden kann, lässt sich für Nadolni eigentlich nur im Nachhinein beurteilen – zum Beispiel, wenn dieser als charakteristisch für eine bestimmte Zeit aufgefasst werden kann.
Juristisch gesehen muss ein Design eine bestimmte  „Gestaltungshöhe“ erreichen, um als Kunstwerk angesehen zu werden. Laut Philipp Kassel ist für die Beurteilung insbesondere die Absicht des Schöpfers wichtig, ein Kunstwerk zu schaffen. Die kreative Energie müsse dafür eingesetzt werden, „ein einmaliges oder originelles Werk zu schaffen“.
Bisher haben es nur wenige Designobjekte geschafft, ein Urheberrecht zu erlangen. Dazu zählen die Wagenfeld-Leuchte von Bauhaus-Designer Wilhelm Wagenfeld, mehrere Möbelstücke von Le Corbusier und das Porsche-Modell 356.
Der Clog mit dem Namen "Boston" von Birkenstock in dunkelbraun mit einer goldenen Schnalle an den Füßen eines Mannes.
Aktuell besonders im Trend: Das Modell "Boston" von Birkenstock.© picture alliance / Sipa USA / Richard B. Levine
Birkenstock selbst hatte argumentiert, sowohl einzelne Elemente wie Schnallen, Materialien oder die Riemenführung, als auch die Kombination dieser Elemente machten die Sandalenmodelle zu Werken der angewandten Kunst. Das Design von Erfinder Karl Birkenstock im Stil des Brutalismus sei einmalig gewesen, als die Klassiker zuerst erschienen, so Birkenstock-Anwalt Konstantin Wegner.

kau / abu
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