Birkenstock-Sandalen
Das Design der Birkenstock-Sandalen im Stil des Brutalismus sei einmalig und deshalb Kunst, argumentiert der Schuhhersteller. © picture alliance / Snowfield Photography / D. Kerlekin / Snowfield Photography
Ist das Kunst oder „nur“ ein Schuh?
Die Gesundheitssandalen von Birkenstock sind Kult und bei vielen Stars beliebt. Jetzt will das Unternehmen seine Schuhe zu Kunst erklären lassen – doch die rechtlichen Hürden dafür sind hoch. Was hinter dem Rechtsstreit um die Ökotreter steckt.
Aus der Hippiekommune auf den Laufsteg – kaum ein Produkt hat in den vergangenen Jahrzehnten einen vergleichbaren Imagewandel vollzogen wie die Birkenstock-Sandale. Einst galten die Gesundheitsschuhe mit dem anatomischen Fußbett aus Kork als Inbegriff der Uncoolness, inzwischen sind sie Kult. Die einst ungeliebten Ökolatschen werden von Hollywood-Stars zur Oscar-Verleihung getragen und schmücken die Füße von Topmodels, auch im preisgekrönten „Barbie“-Film spielen die Treter eine Rolle.
Jetzt geht das Unternehmen einen in der Modewelt eher ungewöhnlichen Schritt: Mehrere Modelle von Birkenstock sollen als Werke der angewandten Kunst anerkannt werden. Der Bundesgerichtshof verhandelt derzeit in der Frage. Hinter den Plänen des Schuhherstellers steckt keine bloße Selbstüberhöhung. Es geht um die Rechte am charakteristischen Design der Sandalen.
Inhalt
Warum will Birkenstock seine Schuhe zur Kunst erklären?
2021 wurde Birkenstock an das Luxusgüterunternehmen LVMH verkauft, zu dem unter anderem auch Marken wie Louis Vuitton und Christian Dior gehören. 2023 folgte der Börsengang. Dadurch steht das Unternehmen unter dem Druck, Profite zu erzielen.
Bisher mit Erfolg: Durch die Etablierung als Trendschuh konnte Birkenstock seinen Umsatz innerhalb von fünf Jahren verdoppeln. Ein Paar Sandalen kostet mittlerweile zwischen 90 und 150 Euro. Seit den 1990er Jahren hat Birkenstock außerdem regelmäßig Kollaborationen mit Luxusmarken umgesetzt. Der Schuhexperte Philipp Kassel vermutet, dass LVMH die Strategie verfolgt, Birkenstock zur „Sandale für die betuchteren Menschen“ zu machen.
Doch wegen der hohen Preise gibt es inzwischen auch viele deutlich günstigere Nachahmungen. Das will Birkenstock in Zukunft unterbinden – was nicht so einfach ist. Nur, wenn die Schuhmodelle als kreative Leistungen anerkannt werden, kann Birkenstock für sie ein Urheberrecht geltend machen. Dann würde ein exklusives Nutzungsrecht für den Urheber bestehen – in diesem Fall also für Erfinder Karl Birkenstock – und zwar bis 70 Jahre nach dessen Tod. Andere Firmen dürften die Sandalen dann nicht ohne Erlaubnis kopieren oder nachahmen. Birkenstock würde dann der einzige Anbieter für diese Art von Sandalen und könne seine Schuhe noch besser zum Statussymbol entwickeln, erklärt Kassel.
Das Urheberrecht ist deutlich weitreichender ausgelegt als etwa das Patent- oder Designrecht. Ein Design kann für maximal 25 Jahre geschützt werden, ein Patent gilt maximal 20 Jahre lang. Da einige Modelle seit den 1970er Jahren nicht verändert wurden, sind diese Fristen längst verjährt.
Was ist bisher passiert?
Birkenstock hat drei Konkurrenzfirmen verklagt, weil diese Sandalen verkaufen, die den eigenen Modellen sehr ähnlichsehen. Laut dem Unternehmen wird dadurch das Urheberrecht verletzt, weil es sich bei den Schuhen um Kunstwerke handele.
Konkret geht es um vier Birkenstock-Modelle: „Arizona“, die Sandale mit zwei breiten Riemen, „Madrid“ mit nur einem Riemen), den Zehentrenner „Gizeh“ und den Clog „Boston“. Dem Unternehmen nach sind es die Klassiker, die Verbraucherinnen und Verbraucher typischerweise mit der Marke in Verbindung bringen.
Das Landgericht Köln gab den Klagen statt und erkannte die Sandalen damit als angewandte Kunst an. Im Berufungsverfahren entschied das Oberlandgericht dann aber anders: Es konnte keine künstlerische Leistung feststellen. Jetzt soll der Bundesgerichtshof final entscheiden. Wann das Urteil fällt, ist noch nicht klar.
Es ist nicht der erste Fall, in dem Birkenstock gegen Nachahmungen juristisch vorgeht. In der Vergangenheit berief sich der Schuhhersteller auf das Design- oder Wettbewerbsrecht. Im Urheberrecht sieht das Unternehmen nun augenscheinlich noch bessere Möglichkeiten, gegen die Konkurrenz vorzugehen.
Wie definiert man Kunst?
In der Debatte um die Birkenstock-Sandalen steckt auch die Frage, wann ein Objekt als Kunst angesehen werden kann. Die Klärung ist juristisch kompliziert. Ein Kunstwerk sei nur dann ein Kunstwerk, wenn es als eigenständige geistige Schöpfung des Urhebers anzusehen ist, so der vorsitzende Richter am Bundesgerichtshof, Thomas Koch. Im aktuellen Fall muss die Firma Birkenstock also beweisen, dass es sich bei den Sandalen um eine reine Schöpfung von Karl Birkenstock handelt.
Für Florentine Nadolni, Leiterin des Museums der Dinge in Berlin, sind Kunstwerke im Normalfall Unikate. Das stehe im Widerspruch zu einer massenhaften Herstellung.
Ein anderer Aspekt ist Nadolni zufolge der Nutzen eines Objekts. Ein Kunstwerk muss keinen fest vorgesehenen Zweck erfüllen, es ist kein Gebrauchsgegenstand und steht für sich. Es gibt aber auch den Begriff der angewandten Kunst, der sich auf die künstlerische Gestaltung von Alltagsgegenständen bezieht. Auf diesen beruft sich Birkenstock in seiner Argumentation.
Ob ein Alltagsgegenstand als Kunstwerk gewertet werden kann, lässt sich für Nadolni eigentlich nur im Nachhinein beurteilen – zum Beispiel, wenn dieser als charakteristisch für eine bestimmte Zeit aufgefasst werden kann.
Juristisch gesehen muss ein Design eine bestimmte „Gestaltungshöhe“ erreichen, um als Kunstwerk angesehen zu werden. Laut Philipp Kassel ist für die Beurteilung insbesondere die Absicht des Schöpfers wichtig, ein Kunstwerk zu schaffen. Die kreative Energie müsse dafür eingesetzt werden, „ein einmaliges oder originelles Werk zu schaffen“.
Was spricht dafür, dass Birkenstock-Sandalen Kunst sind?
Bisher haben es nur wenige Designobjekte geschafft, ein Urheberrecht zu erlangen. Dazu zählen die Wagenfeld-Leuchte von Bauhaus-Designer Wilhelm Wagenfeld, mehrere Möbelstücke von Le Corbusier und das Porsche-Modell 356.
Für die Sandale als Kunstwerk spricht die Beständigkeit, mit der Birkenstock an den ursprünglichen Designs festhält. Das immer gleiche Aussehen erzeugt einen hohen Wiedererkennungswert der Birkenstock-Sandalen. „Besonders deutlich wird das finde ich in den Modellen Arizona und Boston“, sagt die Kulturwissenschaftlerin Vera Klocke.
„Das Design hat in jedem Fall eine kulturelle Bedeutung, beeinflusst auch die Popkultur“, sagt Philipp Kassel. Deshalb könnten die „Birkis“ auch als ikonisch angesehen werden.
Birkenstock selbst argumentiert, sowohl einzelne Elemente wie Schnallen, Materialien oder die Riemenführung, als auch die Kombination dieser Elemente machten die Sandalenmodelle zu Werken der angewandten Kunst. Das Design von Erfinder Karl Birkenstock im Stil Brutalismus sei einmalig gewesen, als die Klassiker zuerst erschienen, so Birkenstock-Anwalt Konstantin Wegner.
Was spricht dagegen?
Kassel bezweifelt dennoch, dass die Sandalen wirklich als Kunstwerke gelten können – „weil das Design ja in erster Linie aus ergonomischen Gründen so ist, wie es ist, und nicht, weil man sich damals bei der Erfindung gedacht hat, da machen wir jetzt ein super Kunstwerk draus.“
Gegen die Anerkennung als Kunstwerk spricht auch, dass der Markenkern von Birkenstock seit jeher in der Funktionalität und Qualität liegt, nicht aber auf Schönheit. Birkenstock selbst hat seine Schuhe in der Vergangenheit als hässlich bezeichnet hat – etwa in einer selbstironischen Kampagne in den USA 2023. Sie trug den Titel „Ugly for a reason“ – „hässlich aus gutem Grund“.
Das impliziert, dass es bei Birkenstock-Sandalen gerade nicht ums Aussehen geht, sondern Faktoren wie Gesundheit und Bequemlichkeit im Vorderrund stehen. Aber kann ein Design, dass eigenen Angaben zufolge nicht auf ästhetischen Kriterien basiert, den Anspruch erheben, ein Kunstwerk zu sein?
kau