Vielfältige Lebensmodelle: Kinderlos zu sein, ist nicht egoistisch Kinderlose Frauen haben es schwer: Entweder gelten sie als bemitleidenswert oder sie sind Egoistinnen, zumindest stimme etwas nicht mit ihnen. Eine antiquierte und eindimensionale Vorstellung, findet die Journalistin Nicola Schubert.
Besseres Klima durch weniger Menschen?
29:43 Minuten
Manche Frauen entscheiden sich wegen des Klimaschutzes gegen Kinder, anderen ist die eigene Freiheit und Selbstentfaltung wichtiger. Noch immer stehen beide Gruppen aber unter gesellschaftlichem Rechtfertigungsdruck.
Verena Brunschweiger sitzt in Regensburg vor ihrem Laptopbildschirm, zu der Zeit unseres Gesprächs verbietet der Corona-Lockdown noch ein persönliches Treffen: Deshalb reden wir über Skype miteinander. Verena Brunschweiger, wilde Lockenmähne mit grauen Strähnen, keine Schminke, ist Autorin von "Kinderfrei statt kinderlos" und "Die Childfree-Rebellion", mit dem für sich sprechenden Untertitel: "Warum zu radikal gerade radikal genug ist". Wegen der Thesen, die sie in ihren Büchern vertritt, musste die 40-Jährige sogar ihren Arbeitsplatz wechseln. Denn die Regensburgerin ist Lehrerin, Gymnasialstufe.
"Weil da waren auch einige Kollegen, die fanden das nicht so toll, das ist ja auch ok, aber ich lasse mich nicht von Kollegen auf dem Gang vor Schülern anfahren, das fand ich krass daneben, mit so jemandem kann man nicht mehr gut und vertrauensvoll zusammenarbeiten."
Was ihre Kritikerinnen und Kritiker so aufregt: In ihren Büchern vertritt Verena Brunschweiger die These, dass Kinder schlecht für das Klima sind, richtige CO2-Schleudern quasi. Etwa 58 Tonnen CO2 pro Jahr könnte man pro ein Kind einsparen, das nicht geboren wird, rechnet sie darin vor. Das ist natürlich nicht nur auf den CO2-Verbrauch eines Kindes bezogen, sondern auf dessen gesamte Lebensdauer. Denn aus Kindern werden Erwachsene, die Plastik verbrauchen, vielleicht ein Auto fahren, in den Urlaub fliegen und Nahrung und Kleidung brauchen, sagt Verena Brunschweiger:
Was ihre Kritikerinnen und Kritiker so aufregt: In ihren Büchern vertritt Verena Brunschweiger die These, dass Kinder schlecht für das Klima sind, richtige CO2-Schleudern quasi. Etwa 58 Tonnen CO2 pro Jahr könnte man pro ein Kind einsparen, das nicht geboren wird, rechnet sie darin vor. Das ist natürlich nicht nur auf den CO2-Verbrauch eines Kindes bezogen, sondern auf dessen gesamte Lebensdauer. Denn aus Kindern werden Erwachsene, die Plastik verbrauchen, vielleicht ein Auto fahren, in den Urlaub fliegen und Nahrung und Kleidung brauchen, sagt Verena Brunschweiger:
"Ich kann nicht sagen, wir essen nur weniger Fleisch. Nein, wir brauchen weniger Leute. Dann entspannt sich alles komplett. Und ich halte nichts von Ressourcenverbrauch, denn ich habe dann weniger Müll. Ich habe weniger Umwelt- und Luftverschmutzung. Da muss man irgendwann, gerade jetzt mit dieser Pandemie die Bremse reinhauen, und auch die Zeichen der Zeit erkennen und nicht so tun, als wäre alles in Butter."
Provokante Studie: Schluss mit dem Kinderkriegen
Keine Kinder zu haben, das heißt für die Regensburgerin: dem Klimawandel durch Reduzierung der Bevölkerungszahl zu trotzen. Alles andere sei verantwortungslos, ja sogar: Unmoralisch, schreibt sie. Verena Brunschweiger betrachtet sich als Mitglied der "Birth-Strike-Movement" – der "Gebärstreik-Bewegung", die von der britischen Sängerin Blythe Pepino angestoßen wurde. Mit einem BBC-Interview im Jahr 2019 machte die damals 33-Jährige weltweit Schlagzeilen:
"Die Welt kollabiert und das passiert gerade jetzt. Ich bin so enttäuscht und mache mir solche Sorgen, dass ich beschlossen habe, keine Kinder in die Welt zu setzen."
Blythe Pepino, Verena Brunschweiger und die anderen Anhänger:innen der Birth-Strike-Bewegung berufen sich auf eine populäre schwedisch-kanadische Nachhaltigkeitsstudie aus dem Jahr 2017: In 39 Einzelstudien wurden 148 Szenarios zum Einsparen von Emissionen in zehn Industrieländern untersucht. Weil, so Zitat aus der Studie, "der Einzelne keinen Überblick hat, welche Handlungen für den Klimaschutz wirklich effektiv sind", haben die Forscher:innen die gängigsten Ratschläge aus Umweltratgebern untersucht, also: Fleisch- und Benzinverbrauch reduzieren, Recycling, Wäsche mit kaltem Wasser waschen und keinen Trockner benutzen. Und sie kamen zu dem Schluss, dass das alles wenig bringt.
Im Vergleich, so das Fazit der Forschenden, sei die beste Maßnahme für die Zukunft des Planeten: keine weiteren Menschen in die Welt zu setzen. Ein konkretes Beispiel aus der Studie: Der Verzicht aufs Auto spare bis zu 5,3 Tonnen CO2-Äquivalent-Ausstoß pro Jahr, der Verzicht auf ein Kind hingegen bis zu 117,7 Tonnen CO2-Äquivalent-Ausstoß pro Jahr. Zahlen, die Kritikerinnen und Kritiker anzweifeln. Sie sagen, die Macherinnen der Studie argumentierten unsauber, weil sie auch den CO2-Ausstoß der Kinder, Enkel und Urenkel des geborenen Kindes, also der kommenden Generationen bis ins Jahr 2400 hinzurechnet hätten und die Zahlen deshalb so hoch ausfallen würden.
Verena Brunschweiger hat die Studie allerdings überzeugt.
"Mein bester Freund mit seinen zwei Kindern, das ist okay, das ist Replacement. Damit kann ich leben. Aber wenn er fünf hätte, weiß ich nicht, ob das noch mein Freund wäre, ehrlich gesagt, weil ich's krass finde. Und das kann man sich eigentlich heutzutage nicht mehr leisten. Das finde ich tatsächlich."
Die Weltbevölkerung wächst
Um etwa ein Drittel soll die Weltbevölkerung laut Vereinten Nationen bis zur Jahrhundertmitte wachsen. Wir wären dann etwa zehn Milliarden Menschen auf diesem Planeten. Bis 2100 kommen laut Statistischem Bundesamt noch mal weitere 1,3 Milliarden hinzu. Hat Verena Brunschweiger also recht? Müssen gerade Frauen in Industrienationen, in denen die Geburtenraten ja sowieso schon sinken, ganz auf Nachwuchs verzichten?
"Wenn ich in Burundi 500 Leute habe, die nichts haben und zusammen so viel verbrauchen wie ich oder Sie alleine hier, dann sollte mir das schon einiges sagen. Und dann weiß ich, dass ich da überhaupt nicht anzusetzen brauch, sondern eher bei uns im viel verbrauchenden westlichen Bereich, es sind ja unsere Industrienationen. Wir produzieren den Klimawandel, den dann afrikanische und asiatische Leute ausbaden."
Wegen ihrer radikalen Haltung wurde die Autorin auch schon auf der Straße beschimpft, sie bekam Hassmails, in verschiedenen Medien wurden ihr Einseitigkeit und Mütter-Bashing vorgeworfen. Was zeigt: Das Thema Kinder ist emotional aufgeladen. Das bestätigt auch die Sozialwissenschaftlerin und Genderwissenschaftlerin Sarah Speck. Sie lehrt an der Hochschule Frankfurt am Main.
"Das ist eine interessante Weise der Thematisierung, es ist aber nicht die einzige Weise, wie die Frage der Reproduktion mit Klimaschutz in Zusammenhang gebracht wird, gegenwärtig. Man kann ja genauso gut sagen, weil ich einen Kinderwunsch habe und in dieser Welt leben möchte und auch möchte, dass meine Kinder hier leben, bin ich für einen radikalen Wandel der Politik, man muss sofort eingreifen, damit auch meiner Generation es möglich ist, Kinder hier großzuziehen in einer gesunden Umwelt. Der Zusammenhang wäre ja genauso zu ziehen.
Klimaschutz, kontert Verana Brunschweiger, sei ja nicht ihr einziges Argument gegen Kinder.
"Meine drei Hauptgründe sind die ökologische Geschichte. Für mich ist es halt der größte Umweltschutzbeitrag, den ich leisten kann, der Reproduktionsverzicht. Dann als Radikalfeministin immer auch, dass ich nicht patriarchale Imperative erfüllen mag. Ich meine, ich färbe mir nicht die Haare, wieso soll ich dann andere patriarchalische Imperative befolgen, die noch vieltausendmal schlimmer sind? Kommt für mich das prinzipiell nicht infrage. Und der philosophische Punkt mit dem Antinatalismus, die uns hier sagt, dass jegliches Existieren immer auch mit Leid verbunden ist. Und wenn ich niemandem kreiere, dann bin ich nicht schuld daran, dass jemand Neues leidet wie wir."
Die philosophische Strömung des Antinatalismus, also der "Gegen-Geburtsbewegung" liegt die "Anthropodizee-Frage" zugrunde, nach der zufolge das Leid nicht von Gott, sondern vom Menschen selbst gemacht ist: Wie ist das menschliche Leben zu rechtfertigen, wenn es doch immer auch zu Leid führt? Der belgische Antinatalist und Philosoph Théophile de Giraud sagte dazu in einem Interview: "Glücklich ist nur, wer nicht geboren wird." Denn der Schmerz, den man im Leben erleide, sei immer intensiver und anhaltender als das Wohlgefühl. Hinzukomme das Leid, das man als Mensch anderen Menschen und der Welt antue.
Die Klimakrise fügt der Überzeugung der Antinatalist:innen jetzt ein neues Argument hinzu – und eine neue Dringlichkeit.
"Los komm, wir sterben endlich aus
Denn das ist besser für die Welt
Der letzte Drink, der geht aufs Haus
Unsere Stunden sind gezählt
Alles ist besser, als ein weiterer Tag
An dem wir den Planeten ruinieren
Los komm, wir sterben endlich aus
Was Besseres kann der Erde nicht passieren"
(Die Ärzte – Abschied)
Denn das ist besser für die Welt
Der letzte Drink, der geht aufs Haus
Unsere Stunden sind gezählt
Alles ist besser, als ein weiterer Tag
An dem wir den Planeten ruinieren
Los komm, wir sterben endlich aus
Was Besseres kann der Erde nicht passieren"
(Die Ärzte – Abschied)
"Ich bin 30 Jahre alt, ich wohne in Berlin."
Rebecca, ihren Nachnamen will sie lieber nicht im Radio hören, ist auch Antinatalistin. In ihrem Wohnzimmer, in einem Berliner Altbau-Hinterhaus, schweben noch zwei blaue Heliumballons unter der Decke, eine Drei und eine Null, von ihrem 30. Geburtstag. Eine Wand ist komplett mit Spiegeln verkleidet, davor eine Ballettstange. Rebecca tanzt gerne. An einer anderen Wand: Familienfotos.
"Hast Du zufällig Kinderfotos von dir hier? / Ja, das bin ich. / Cool. / Wie alt bist du? / Sieben oder acht vielleicht. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, wann das war."
Geboren und aufgewachsen ist Rebecca in den USA, in Dallas/Texas. Als Kind hatte sie immer die Vorstellung, später selbst Kinder zu haben, einfach, weil alle ihre Freundinnen das auch so wollten. Mit 18 las sie viel über Umweltverschmutzung, den Klimawandel und die Zukunftsprognosen des "Club of Rome". Düstere Zukunftsprognosen. Und je mehr Rebecca las, desto sicherer wurde sie sich: Kinder? Will keine.
"Ich will keine Kinder haben, wenn ich diesen Kindern kein besseres Leben als meins versprechen kann und ich weiß, dass das unmöglich ist. Wir tun der Erde so viele schreckliche Dinge an. Es würde mir einfach das Herz brechen zu denken, die Welt, die mein Kind kennen wird, wird es gar nicht mehr geben. Sie werden nicht so bequem leben wie ich."
Radikale Entscheidung gegen ein Kind
Mit dem Muttersein verbindet sie ein sehr klassisches Frauenbild: Die Frau stillt, wechselt Windeln, kann nicht mehr arbeiten gehen. Die 30-Jährige ist überzeugt: Seit den 50er-Jahren hat sich in puncto Mutterrolle eigentlich nicht so viel geändert.
"Ja, es ist unfair, wie die Frauen die Mehrheit der Arbeit machen müssen. Ich finde es auch nicht schön, dass die Idee der Frau so eng verbunden ´mit-Kinder-haben` ist, und ich will halt nicht daran teilnehmen."
Mit 28 Jahren entschied sich Rebecca dann für einen radikalen Schritt.
"Ich dachte okay, wenn ich nie Kinder haben möchte, dann macht das eigentlich viel Sinn, mich sterilisieren zu lassen. Und es kam mir so vor, dass das die einfachste Lösung wäre. Weil warum soll ich Hormone nehmen oder fremde Objekte in mich reinstecken lassen? Wenn ich einfach eine einmalige OP haben könnte und es schien mir, als ob es das für mich war."
Mehrere Ärztinnen und Ärzte wiesen Rebecca damals ab mit dem Argument, sie sei noch zu jung für diese Entscheidung, vielleicht wolle sie später ja doch Kinder.
"Ich weiß nur, dass ich irgendwann angefangen hab zu weinen. Ja, ich habe mich halt so beobachtet gefühlt, ja entmündigt. Und als ob keiner Vertrauen in mich als Erwachsenen hatte. Ich wusste, was ich wollte. Und dann dachte ich, ist vielleicht was nicht richtig mit mir. Ja."
Am Ende fand sie doch eine Ärztin, die den Eingriff durchführte. Aus ihrer Erfahrung der gefühlten Entmündigung heraus schloss sich Rebecca der Birth-Strike-Bewegung an und machte mit bei dem Internetprojekt "We are childfree". Die Fotografin Zoe Noble porträtiert auf der Website Frauen, die sich bewusst gegen Kinder entschieden haben. Rebecca schrieb unter ihrem Foto, dass sie sich auch aus politischen Gründen sterilisieren ließ, und "für die Bewegung", damit mehr Frauen sich trauen, es ihr gleichzutun.
"Ich will, dass alle Frauen sich wohlfühlen, weil sie kinderfrei sind und nicht fremd oder böse oder anders."
Das bestätigt auch die Soziologin Sarah Speck:
"Das heißt, man wird schräg angeguckt. Es wird oftmals nicht unkommentiert stehen gelassen, dass man selbst keine Kinder bekommen hat oder keine Kinder bekommen möchte. Vielleicht ist das sozusagen ein Mutterschaftsideal, was alle Frauen in gewisser Weise berührt."
Kinderlose fühlen sich diskriminiert
Die Studie "Gewollte und ungewollte Kinderlosigkeit 2020" des Delta-Instituts für Sozial- und Ökologieforschung im Auftrag des Bundesfamilienministeriums kommt zu dem Schluss: Rund ein Viertel der mehr als 3000 Befragten gaben an, sich wegen ihrer Kinderlosigkeit diskriminiert zu fühlen.
Um gegen die Stigmatisierung der gewollt Kinderlosen ein Zeichen zu setzen, spricht Verena Brunschweiger lieber von "kinderfrei" statt von "kinderlos".
"Und um dagegen anzukämpfen, ist diese Differenzierung wichtig, damit man sich als kinderfreie Frau eben nicht diesen Schuh anzieht. Ich bin das bemitleidenswerte Hascherl, die kinderlose, die leider keine Kinder bekommen können, obwohl sie alles dafür tut. Tausend teure Hormonbehandlungen sonst was, nein. Es geht mir vor allem um diese Gruppe dieser kinderfreien Frauen, die sich aus freien Stücken entschieden haben, keine Kinder zu haben, weil das für sie als einer Myriade Gründe einfach die schönere, bessere Lebensform darstellt."
Auch Jana Herzog ist bewusst kinderlos, aber nicht aus politischen Gründen.
"Kinderfrei. Wenn ich das höre, habe ich eine ganz andere Assoziation, nämlich dass Eltern sagen: Wow, super, wir haben heute Kinder frei, weil die Oma auf die Gören aufpasst. Das ist für mich kinderfrei. Kinderlos, ich habe damit kein Problem. Ich bin ohne Kinder. Ich bin kinderlos. Ich mit Sippe und Kinderwagen, so ungefähr? Nein. Das kann ich mir überhaupt nicht vorstellen."
Jana Herzog – eigentlich heißt sie anders – ist 57 Jahre alt und arbeitet in einem Medienberuf. Die kleine drahtige Frau ist selbstbewusst. Wer mit ihr spricht, merkt, sie hat keine Scheu vor klaren Ansagen.
"So in dem Alter 28 wurde meine beste Freundin damals das erste Mal schwanger. Ich fand das super, mit diesem Baby zu spielen. Ich war ja dann auch noch die Patentante, aber das hat mir so ganz deutlich gezeigt: Das ist nicht meine Welt, dass sich alles nur noch um dieses Baby oder das Kind dreht, ich keinerlei Freiheiten mehr habe. So habe ich das bei ihr gesehen: Du kannst nicht mehr weggehen. Du kannst dir keine Freundin einladen, weil irgendwie ständig was mit dem Kind ist. Und dieses Kreisen um einen anderen und so ausschließlich und bedingungslos. Das war für mich sehr schnell klar, das ist nicht meins."
Viele Menschen auch aus Jana Herzogs Umfeld, zum Beispiel Kolleginnen und Kollegen, Verwandte, Bekannte finden das egoistisch. Immer wieder werde sie auf ihre Kinderlosigkeit angesprochen – und bewertet.
"Da schwingt immer so mit: Du verpasst doch was. Du weißt es bloß nicht. Also leidest du doch darunter. Sag doch. Also dieses Lauern, so empfinde ich, das steckt da immer so ein bisschen mehr drin."
Kinder zu haben, wird "symbolisch überhöht"
Vor allem nervt die 57-Jährige die ständige Frage, warum sie keine Kinder habe, als ob sie sich dafür rechtfertigen müsste. Eltern würde man ja auch nicht fragen, warum sie Kinder haben. Ab einem bestimmten Alter gelte es einfach als normal und wünschenswert, Kinder zu bekommen. Der Kulturhistoriker und Sozialwissenschaftler Daniel Hornuff hat zum Thema Schwangerschaft und Mutterkult seine Dissertation geschrieben. Seine These: Während in früheren Zeiten Kinder ganz praktisch dazu dienten, die Familie am Leben zu erhalten und ihre Eltern im Alter zu unterstützen, wird in westlichen Industriegesellschaften das Kinderhaben "symbolisch überhöht".
"Da ist es fast schon eine Geste, eine Triumphgeste bedeuten kann, Kinder zu bekommen, Kinder zu kriegen, dass sich schwangere Frauen als ja fast Siegerfiguren in Szene setzen, weil sie nun endlich schwanger geworden sind. Und das zeigt, dass große Distinktionshoffnungen auf das Thema ´Kinder haben und bekommen` gerichtet sind."
Wer wie Jana Herzog keine Kinder will und da auch keine Zweifel hat, bricht also ein gesellschaftliches Tabu, beobachtet auch Daniel Hornuff:
"Die Kinderlosen stehen in unserer Gesellschaft unter Verdacht, weil sie sich einem Paradigma unserer Gesellschaft entziehen, nämlich das Kind zur Ausstattung des eigenen Glücks und der eigenen Vollendung, sozusagen des Lebensplans einzuplanen, einzubauen. Was stimmt mit diesen Menschen nicht? Warum verweigern sie sich diesem Glücksparadigma? Sind das nicht auch Menschen, die sich besonders egoistisch gegenüber unserer Gesellschaft verhalten, weil sie sozusagen nur auf ihr eigenes Wohl achten und nicht sozusagen am Erhalt an der Stabilisierung der Gesellschaft mitwirken, durch das in die Welt setzen, von Kindern also? Diese Verdachtsmomente werden immer wieder vorgetragen, und sie sind natürlich aus einem diskriminierenden Geist sozusagen formuliert, weil man von einer ganz bestimmten normierten Vorstellung des Guten, des vollständigen, des glücklichen Lebens ausgeht."
In Deutschland gibt es mit die höchste Kinderlosigkeit
Dabei ist keine Kinder zu haben kein seltenes Randphänomen. Im Gegenteil. In Deutschland hat etwa jede fünfte Frau über 49 Jahren keine eigenen Kinder. Bei den Männern sind es mit 23 Prozent noch etwas mehr. Damit gehört Deutschland neben der Schweiz, Italien und Finnland zu den Ländern mit der höchsten Kinderlosigkeit in Europa. In der Stadt haben weniger Menschen Kinder als auf dem Land. In Westdeutschland sind es weniger als im Osten. In Thüringen gibt es mit 13 Prozent die wenigstens kinderlosen Frauen. Hamburg dagegen führt das Ranking an, mit 31 Prozent. Einige können keine Kinder bekommen, andere haben sich bewusst dagegen entschieden.
Wie viele davon aus klimapolitischen oder antinatalistischen Gründen, dazu gibt es zu Deutschland keine Studien. Für Jana Herzog etwa spielen solche Argumente jedenfalls keine Rolle.
"Das Kind kauft sich doch nicht ein SUV, weil es Kind war, sondern es kauft sich einen SUV, weil Werbung und Wirtschaft uns suggeriert, wir müssen das haben. Das ist doch das Pferd von hinten aufgezäumt. Es geht um die Bedürfnisse, die geweckt werden, die wir nicht brauchen und ob ich nun ein Kind habe oder ich selber von dem Bedürfnis angefasst werde. Das ist doch völlig wumpe!"
Deutliche Ansage. Und was sagt sie zu dem antinatalistischen Argument, dass Kinder in eine schlechte Welt hineingeboren würden und man ihnen daher, automatisch, Leid zufügen würde?
"Dann kann ich nur sagen, dann fasst dir an die eigene Nase, warum hast du nicht die Zukunft eines Kindes bereits verändert und engagierst dich gegen all die Probleme, die du kennst und die du deinem Kind zumuten willst?
Es geht auch um Selbstbestimmung und Freiheit
Aber es gibt durchaus auch Punkte, die vereinen Jana Herzog, Rebecca und Verena Brunschweiger mit den anderen Vertreterinnen der Birth-Strike-Bewegung. Denn wenn Jana Herzog sagt, sie hätte sich aus Gründen der Freiheit gegen Kinder entschieden, dann meint sie auch die Freiheit, als Frau ihren Job weitermachen zu können.
"Es wäre klar gewesen damals, ich wäre zu Hause geblieben. Mein Mann hätte das Geld verdient, und ich hätte mich um die Kinder kümmern müssen. Und ich hatte Bock zu arbeiten. Freiheit, Unabhängigkeit. Ich verdiene mein eigenes Geld. Keiner kann mir reinreden, ich muss nicht betteln, das war für mich eine Albtraumvorstellung."
Die Hamburgerin ist selbstständig in der Medienbranche. Keine festen Arbeitszeiten, kein festes Gehalt, keine sichere Zukunft. Wenn Jana Herzog nicht arbeitet, verdient sie nichts. Ein Kind hätte den Job gekostet, das ist ihre Überzeugung, damals wie heute.
"Kind und Karriere ist theoretisch möglich, praktisch nicht. Da bleibt sie zu Hause. Männer werden nicht eingespannt. Da wird viel an die Frauen weitergegeben. Außerdem kommt dazu, dass es im Job immer noch schwierig ist, weil in den Köpfen der Arbeitgeber immer noch dieses Bild ist, Mütter sind nie da, weil das Kind krank ist. Da spielt ein altes Rollenbild in den Köpfen der Arbeitgeber eine Rolle. Das ist so meine Erfahrung."
Auch im 21. Jahrhundert würden Frauen immer noch in Rückkopplung zu Kindern gedacht, bestätigt auch Kulturwissenschaftler Daniel Hornuff.
"Warum kann die Frau acht Stunden, zehn Stunden hier im Büro sitzen? Wo ist das Kind? Bei einem Mann stellt sich tendenziell diese Frage nicht. Und damit einhergeht natürlich die Frage ja, was ist denn eigentlich mit dieser Frau los? Wenn sie zehn Stunden im Büro sitzen kann und kein Kind bekommen hat, hat sie kein Kind bekommen, weil sie zehn Stunden im Büro sitzen muss? Oder sitzt sie zehn Stunden im Büro, weil sie kein Kind bekommen kann? Das sind die Fragen, die jetzt vielleicht auf einen Mann so erst mal nicht adressiert werden, sondern wird einfach selbstverständlich davon ausgegangen. Naja, der muss halt arbeiten."
Auch kinderlose Frauen werden im Job benachteiligt
Dass kinderlose Frauen mehr arbeiten als Mütter, das ist wissenschaftlich belegt. Und sie verdienen auch mehr. Die Entscheidung für ein Kind führt einer Studie der Bertelsmann Stiftung von 2020 zufolge bei Frauen durchschnittlich zu Einbußen von rund 40 Prozent, bei drei oder mehr Kindern sogar von bis zu 70 Prozent. Diese massiven Unterschiede ergeben sich laut Studie dadurch, dass viele Mütter nach der Geburt oft längere Zeit gar nicht und auch nach der Elternzeit oft in Teilzeit weiterarbeiten.
Eine Befragung der englischen Wissenschaftlerin Dr. Caroline Gatrell von 2009 zeigt: Auch kinderlose Frauen werden im Job benachteiligt. Die befragten Frauen berichteten, dass sie bei Beförderungen übergangen würden, weil ihre Chefs sie für "kalt und emotional fehlerhaft" halten, oder ihnen wegen ihrer Kinderlosigkeit das Fehlen "grundlegender Menschlichkeit" attestierten.
Gründe, sich bewusst gegen Kinder zu entscheiden, gibt es viele. Einige Frauen haben Angst, die Verantwortung für ein Kind nicht stemmen zu können oder es sich finanziell nicht leisten zu können. Sie fürchten, ihren Job aufgeben zu müssen. Einige hatten selbst keine gute Kindheit. Und wieder andere sagen, sie könnten in diese Welt aus ihrem starken Umweltbewusstsein heraus keine Kinder setzen.
Es gibt ihn also nicht, den EINEN Grund, sich gegen Kinder zu entscheiden. Bei vielen kommt eins zum anderen, auch bei Aktivistinnen wie Verena Brunschweiger.
"Viele unterstellen mir ja immer, ich hatte nie den Wunsch. Das stimmt aber gar nicht. Ich habe mir das sehr wohl überlegt, immer wieder auch sehr ernsthaft. Ende 30 erst war ich mir 100 Prozent sicher, als ich diese Studie fand. Mit diesem größten Beitrag zum Umweltschutz habe ich mir gedacht okay, jetzt ist es fix, das überzeugt mich komplett. Ich ging in die Richtung, aber es war nie so, dass ich gesagt habe, das bin ich auf gar keinen Fall."
Bis Ende 30 war es für Rebecca Brunschweiger also schon eine Option, Kinder zu bekommen. Und wenn man genauer nachfragt, dann waren auch bei Rebecca, die sich mit 28 sterilisieren ließ, nicht nur politische Gründe ausschlaggebend, sondern auch persönliche.
Bis Ende 30 war es für Rebecca Brunschweiger also schon eine Option, Kinder zu bekommen. Und wenn man genauer nachfragt, dann waren auch bei Rebecca, die sich mit 28 sterilisieren ließ, nicht nur politische Gründe ausschlaggebend, sondern auch persönliche.
"Ich denke, ich bin keine besonders gute Mutter. Ich finde, das passt nicht so gut mit meiner Persönlichkeit. Ich brauche viel Zeit alleine und ach so, ich habe eine Katze und selbst die Katze ist mir manchmal zu viel. Zu wissen, dass ein anderes Wesen ständig etwas von mir will, das ist ein riesiges Druck, das sich von einem Kind nicht haben möchte."
"Da war für mich auch klar ich, ich will keine eigenen Kinder"
Jana Herzog war mit Ende 20 einmal schwanger. Mit Zwillingen. Sie spürte deutlich, dass sie die Kinder nicht bekommen wollte. Damals sei viel in ihr hochgekommen, erzählt die Hamburgerin.
"Das war so eine Phase, da haben mein Bruder und ich unseren Eltern immer Vorwürfe gemacht, was sie für Scheiße gemacht haben und wo sie uns vernachlässigt haben. Und da war für mich auch klar ich, ich will keine eigenen Kinder. Ich mache vielleicht nicht die Fehler meiner Eltern – in Anführungszeichen ´Fehler`. Aber ich werde andere machen. Und ich hatte da keine Lust mehr drauf."
Es stimmt ja auch nicht, das ist Jana Herzog wichtig zu betonen, dass man als kinderlose Frau ganz ohne Kinder lebt. Es sind nur nicht die eigenen. Die Hamburgerin sagt, sie hatte in den letzten Jahrzehnten immer Kinder um sich, ihre Patentöchter sind inzwischen erwachsen. Mit beiden hat sie sich immer gut verstanden, eher als große Schwester oder Freundin und nicht als Autoritätsperson.
"Das hat nie Muttergefühle in mir ausgelöst, sondern das war immer, das hört sich albern an, aber ich konnte mit denen meine Kindlichkeit austoben. Wenn wir Einkaufen gefahren sind, war unser Wagen voll mit Süßigkeiten. Und wir haben abends zu Hause Bugs Bunny und so Sachen geguckt, und ich konnte mit denen herrlich albern sein und hatte keine Verantwortung. Perfekt."
Es ist schon verrückt. Manche freiwillig Kinderlosen werfen Eltern vor, es wäre unmoralisch, Kinder in diese Welt zu setzen, weil es rücksichtlos gegenüber dem Planeten sei. Manche Eltern wiederum diskriminieren Kinderlose als unvollständig und moralisieren, dass Menschen ohne Kinder sich nicht um den Fortbestand der Menschheit kümmern würden.
Jana Herzog wünscht sie sich, dass alle, Eltern wie Kinderlose, entspannter mit dem Thema umgehen würden.
"Wertesysteme, sind bei diesem Thema einfach nicht angebracht. Keiner ist besser oder schlechter, nur weil jemand ein Kind hat oder weil er kein Geld hat, weil jemand ein Kind in eine schlechte Zukunft setzt oder nicht. Das hat nichts miteinander zu tun."
Die Childfree-Rebellion- Anhänger:innen würden dem natürlich sofort widersprechen. Und nun? Einfache Antworten funktionieren nicht. Eigene Kinder können Innigkeit und Nähe bedeuten, bedingungslose Liebe, großes Lebensglück. Oder auch nicht. Kinder können, wenn sie groß sind, den Planeten retten oder zerstören. Wer keine Kinder hat, schützt nicht zwangsläufig das Klima, wenn sie oder er lieber häufiger in den Urlaub fliegt oder auf große Autos steht. Kinderlosigkeit kann zu Einsamkeit im Alter führen, oder zu größter Freiheit und beruflicher Selbstverwirklichung. Aber auch das kann schiefgehen.