Birthler: Ex-Stasi-Offiziere wollen Tatsachen verdrehen

Moderation: Jürgen König |
Marianne Birthler, Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR, sieht in dem verstärkten Auftreten ehemaliger Stasi-Offiziere in der Öffentlichkeit einen "Kampf um die Köpfe". Die alten Kader versuchten, die DDR und besonders die Rolle der Stasi zu schönen. Politik und Gesellschaft müssten verhindern, dass ehemalige Opfer des MfS von ihren Peinigern beleidigt und verhöhnt werden.
Jürgen König: Die Stasi-Offiziere von einst haben sich organisiert, sie treten mehr als selbstbewusst in der Öffentlichkeit auf, sie werden, wie die Neue Osnabrücker Zeitung schrieb, "immer schamloser, immer unerträglicher. 16 Jahre nach dem schmählichen Ende der DDR verunglimpfen die Täter öffentlich ihre Opfer, gebärden sich wie Unschuldslämmer".

Ein Beispiel dafür konnte man vor einigen Wochen in der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen erleben, als etwa 200 Alt-Kader des Ministeriums für Staatssicherheit bei einer öffentlichen Veranstaltung die frühere Haftanstalt unter anderem als "Gruselkabinett" verhöhnten.

"Die Stasi lebt wieder auf" schrieb die Rostocker Ostsee-Zeitung, "es liegt was in der Berliner Luft", hieß es im Tagesspiegel, während die Süddeutsche Zeitung prophezeite: "Die richtigen Stasidebatten stehen uns noch bevor". Der Bundestag schweigt zu alledem.

Marianne Birthler als Bundesbeauftragte für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR schweigt nicht, sondern warnt inständig vor einem Wiedererstarken der alten Stasi-Verbände. Marianne Birthler ist zu Gast im Studio - guten Morgen… Wie gut organisiert sind die Stasileute von einst?

Marianne Birthler: Ja, wir kennen drei Organisationen, in denen sie sich regelmäßig treffen, in denen sie ihre Ziele formulieren, die werden beherrscht überwiegend von den älteren Stasi-Offizieren, auch den höheren Diensträngen, die haben ja, nach dem was ich höre, nach wie vor Geltung, also wer bei der Stasi was war, ist auch jetzt was in diesen Organisationen. Und nach meiner Wahrnehmung geht es ihnen vor allen Dingen darum, das Ansehen der DDR im Allgemeinen, und der Stasi im Besonderen zu schönen, die Tatsachen umzulügen und damit auch Punkte zu machen, ich sag's jetzt mal etwas pathetisch, im Kampf um die Köpfe. Denn noch gibt es keinen breiten, gesellschaftlichen Konsens zu dem, was die DDR war, was sie auszeichnete als Diktatur. Das ist noch heftig umstritten. Und da versuchen die alten Herren Punkte zu machen. Es sind wirklich überwiegend die älteren Kader, die Stasi-Offiziere, die noch im berufsfähigen Alter jetzt sind, sind auffällig zurückhaltend.

König: Dieser Kampf um die Köpfe, wie Sie es nennen, dieser Versuch, die Geschichte zu den eigenen Gunsten umzudeuten, warum findet der gerade jetzt statt?

Birthler: Nun, der fand natürlich auch in den vergangenen 15 Jahren statt. Aber es gibt immer Phasen, in denen diese Debatte besonders sichtbar ist, oder besonders offensiv geführt wird, wie jetzt. Und da muss ich schon sagen, gibt es seit zwei, drei, vielleicht vier Jahren eine andere Qualität, während sie früher eher verschämt und verdruckst agierten, im Hintergrund saßen und dann irgendwelche verdrehten Fragen gestellt haben, treten sie jetzt wirklich kaltschnäuzig und offensiv auf, scheuen nicht davor zurück, Opfer zu beleidigen.

Und ich möchte da besonderes Augenmerk drauf legen, für jemand, der im Stasi-Knast gelitten hat, dessen Leben auch zerstört wurde, ist das nicht nur eine politische Empörung, die man da empfindet. Wenn diese Leute erleben, dass diese ehemaligen Stasi-Offiziere jetzt aufstehen und die Lufthoheit im Saal beanspruchen, dann werden auch die alten Verletzungen und Kränkungen wieder mobilisiert, für die ist das noch mal eine ganz andere Erfahrung als für uns, die wir uns zu Recht politisch darüber ärgern.

König: Aber ich habe schon den Eindruck, konzertierte Aktionen, wenn ich lese, dass viele ehemalige Stasi-Mitarbeiter in Brandenburg Schulleiter davor warnen, Stasi-Gedenkstätten zu besuchen, weil dort nur die DDR verleumdet werde, es hat Briefe an Kultur- oder Bildungsminister oder -senatoren gegeben, inhaltlich in die gleiche Richtung zielend, man liest von gezielten Störaktionen einzelner Veranstaltungen bei Gedenkstätten, was sagen Sie da dazu?

Birthler: Das ist auch so. Also das gehört offenbar zu den Aktivitäten, die man sehr genau beobachten muss. Man muss ja ein bisschen Maß halten, einerseits wollen wir sie natürlich auch nicht aufwerten, ich würde mich also nicht öffentlich mit einem von diesen Genossen da streiten, das wäre einfach zu viel der Ehre. Aber wir müssen sehr sorgfältig darauf achten, dass wir, erreichbar für alle, sachgerechte Information dagegen setzen und vor allen Dingen, dass sie gehindert werden, Opfer zu beleidigen, also das finde ich ganz besonders unerträglich. Und ich finde, wir müssen im Bundestag, in den politischen Parteien da auch noch einiges für tun, dass da unzweideutig Stellung genommen wird.

König: Das wäre meine nächste Frage gewesen. Warum kommt aus dem Bundestag letztlich nicht wirklich etwas?

Birthler: Ja doch, das gibt schon Bundestagsabgeordnete, die an dieser Stelle sehr entschieden reagieren, aber es gibt eben auch andere, auch in den Ländern übrigens, die verhalten bis gleichgültig sind, ....

König: ... Entschuldigung, ich habe immer den Eindruck, dass sind letztlich einzelne, engagierte Abgeordnete, aber dass man wirklich sagt, hier wird versucht Geschichte umzudeuten, dagegen stehen wir, das Parlament auf und sagen nein. Die Deutungshoheit darf man diesen Menschen nicht überlassen.

Birthler: Also das, was ja in den letzten Wochen die Gemüter bewegt hat, spielte sich in Berlin ab, war ein Berliner Ereignis und ich war sehr froh, dass das Abgeordnetenhaus unter der Leitung von Momper da sehr angemessen mit einer Veranstaltung reagiert hat. Ich gehe davon aus, dass der Bundestag dem Grunde nach dazu auch bereit wäre, vielleicht fehlte der Anlass in der letzten Zeit. Natürlich wünschte ich mir, dass es mehr als einzelne Stimmen, auch aus dem Bundestag gäbe, die hier ganz eindeutig sind. Aber wir finden leider in allen Parteien nach wie vor auch Leute die entweder für "Entkrampfung" sind, was immer sie darunter verstehen, oder sie sind der Meinung, man müsse nach 15 Jahren nun endlich mit diesem Thema abschließen. Das zieht sich übrigens durch die Parteien durch. Also die Äußerungen von Herrn Bullerjahn aus Sachsen-Anhalt unlängst haben mich deutlich erinnert an das, was vor wenigen Wochen Herr Gauweiler zu dem Thema gesagt hat.

König: Nämlich?

Birthler: Also da gibt es in jeder Partei Leute, die sagen, das müsse man jetzt entspannter sehen, oder man müsse einen Schlussstrich drunter ziehen. Also die Auseinandersetzung mit der Vergangenheit ist anstrengend, sie tut auch weh und das fürchten offenbar manche. Die möchten lieber so mit dem Campari in der Hand ganz locker über die alten Zeiten reden und keinen Unterschied machen zwischen Opfern und Tätern.

König: Die alten MFS-Kader betonen ja auch immer gerne, es habe von den 30.000 Ermittlungsverfahren, die es gegeben hat, hätten nur ungefähr 20 zu Verurteilungen geführt und ziehen daraus den Schluss, so schlimm könne es nicht gewesen sein. Die bundesdeutsche Justiz habe das MFS letztlich rehabilitiert. Das ist natürlich nicht so, aber muss man nicht den Schluss ziehen, dass es mit der juristischen Aufarbeitung tatsächlich so weit nicht her ist?

Birthler: Das ist absolut zynisch, eine solche Bemerkung. Denn uns stehen auch für die Verfolgung von Verbrechen einer Diktatur nur die Instrumente des Rechtsstaats zur Verfügung, die ja nicht für diesen Zweck entwickelt worden sind. Und im Rechtsstaat gilt, dass Taten nicht bestraft werden dürfen, die zum Zeitpunkt ihrer Verübung legal waren. Das ist für eine Demokratie ein gutes Prinzip, wenn man sich aber vor Augen hält, dass es in Diktaturen massenhaft rechtsförmiges Unrecht gibt, also dass dort Gesetze gemacht werden, nach denen Unrecht geschieht, wird schnell klar, dass man mit diesem Rückwirkungsverbot natürlich an Grenzen stößt bei der Aufarbeitung von Diktaturen. Es gibt die Ausnahme von schweren Verbrechen, Tötungsdelikten, deshalb konnten ja auch die Schüsse an der Mauer vor Gericht verhandelt werden, aber das, was Menschen im Gefängnis passiert ist, das was Menschen passiert ist, die Opfer von Zersetzung waren oder langjährigen Haftstrafen, das ist leider in der Bundesrepublik nicht justiziabel. Daraus nun aber zu schließen, dass es kein Unrecht sei, das ist der Gipfel des Zynismus.

König: Deutschlandradio Kultur, wir sprechen mit Marianne Birthler, der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR. "Die richtigen Stasi-Debatten stehen uns noch bevor", schreibt die Süddeutsche Zeitung, was wäre die richtige Stasi-Debatte, welches die falsche?

Birthler: Ja, gemeint ist wohl, dass die Stasi-Debatte nicht zu Ende ist, sondern auch künftig noch heftig darüber diskutiert werden wird. Diese Auffassung teile ich, obwohl es auch in der Vergangenheit schon intensive Debatten gegeben hat. Es könnte sein, dass damit, dass zum Ende dieses Jahres die gesetzliche Frist für Überprüfungen im öffentlichen Dienst abläuft, der Fokus sich jetzt ein wenig verändert. Bis jetzt ging es ja in der Öffentlichkeit häufig um die inoffiziellen Mitarbeiter der Stasi und die hauptamtlichen Mitarbeiter standen ein bisschen im Schatten dahinter. Vielleicht entwickelt jetzt die Öffentlichkeit auch ein Interesse daran zu schauen, wer waren eigentlich die Leute, die diese inoffiziellen Mitarbeiter geführt haben, eine Debatte, die wirklich dran ist.

König: Was ist jetzt Ihr Eindruck, oder welche Erfahrung haben Sie vielleicht auch gemacht, auf welche Resonanz stoßen jetzt die Versuche einzelner früherer MFS-Leute, die Geschichte in ihrem Sinne neu zu deuten?

Birthler: Also ich will die Zahl derer nicht unterschätzen, die das begrüßen, was da geschieht. Die alten Stasi-Obristen haben ja auch ein mediales Sprachrohr, ironischerweise handelt es sich dabei ausgerechnet um die "Junge Welt", also ein übrig gebliebenes Blättchen aus der DDR, im "Neuen Deutschland" müssen sie immer schon mal mit Widerspruch rechnen, wenigstens was. Ansonsten haben sie natürlich im Blätterwald, auch in den elektronischen Medien keinen rechten Zugang und versuchen das in ihren Milieus. Und die sind noch ziemlich stabil. Also in den Wohngebieten in Berlin, wo sie einst wohnten, sind sie ja auch jetzt noch zu finden, und da versuchen sie auch beispielsweise über Bezirkspolitik und andere Wege ihre Lufthoheit zu sichern. Ich glaube, man darf den Einfluss, den sie haben, nicht überschätzen, aber auch nicht unterschätzen. Im Selbstlauf ergibt es sich nicht, dass die Menschen Bescheid wissen, man muss dem schon was entgegen setzen.

König: Da wünsche ich Ihnen bei dieser Sisyphosarbeit gutes Gelingen. Ein Gespräch mit Marianne Birthler, der Bundesbeauftragen für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR.