Bis die Wände wackeln
Einst als rebellische Geste gegenüber dem Kunstmarkt und der Enge des Bildformats verstanden, gehören temporäre Wandarbeiten längst zum Repertoire zeitgenössischer Kunstproduktion. Eine reizvolle Doppelausstellung wirft einen Blick in die Vergangenheit und Gegenwart der Wandmalerei.
Zwei Wochen lang, zum Teil bis tief in die Nacht, pinselte der Maler Helmut Middendorf im Frühjahr 1983 ein 60 Meter langes Panorama auf die Wände im großen Saal der Baden-Badener Kunsthalle. "Die Um-armung der Nacht" hieß das dunkelblau grundierte Riesenbild, ein pulsierender Höllentanz aus wilder, expressiver Malerei. Nur 14 Tage lang war es zu sehen, dann wurden die Wände wieder überstrichen. Ein Kunstwerk auf Zeit.
An gleicher Stelle hat jetzt der Karlsruher Kunstprofessor Franz Ackermann die gut 200 Quadratmeter mit einer abstrakten Bildergeschichte dekoriert. Die Tragfläche eines Flugzeugs ist zu sehen, eine gigantische Sanduhr oder ein Gewirr von Kabeln – angeblich ein aktueller Hinweis auf die Abhörpraktiken der Geheimdienste. Und wenige Millimeter darunter schlummern unter dem Putz noch immer die Wandbilder von anderen Künstlern, sagt Kunsthallenchef Johan Holten.
"Wir haben uns auch nicht entschieden, Arbeiten freizulegen für diese Ausstellung, sondern die Geschichte, die in den Wänden steckt, als Ausgangspunkt zu nehmen, um dem ein weiteres Kapitel über Wandarbeiten und Wandmalereien im weitesten Sinne hinzuzufügen."
Mit Fotos, Zeichnungen und Modellen hat man jetzt in einem Raum mehr als 20 dieser Wandarbeiten dokumentiert, zum Beispiel die Arbeit von Blinky Palermo. Der hatte 1970 einen blauen Streifen rundum unterhalb der Decke in den Saal gemalt – ein damals revolutionärer "Ausstieg aus dem Bild", der heute völlig selbstverständlich ist.
Der Franzose Pierre Huyghe hat die Geschichte dieser Wandmalereien an einer Stelle gleichsam wie ein Archäologe aus den Wänden geschält und sie Schicht für Schicht bis auf die Grundmauern freigelegt: diverse Weiß- und Grautöne, rote, blaue oder grüne Farbränder kommen dabei zum Vorschein – ästhetisch äußerst reizvoll.
Museumswände sind ein Mythos; sie sind ein Ort, den man bestaunt; der Ort, an dem die Bilder hängen.
"Die Wand hat ja damit auch für die Ausstellung einen eher mythologischen Charakter bekommen. Das sind die weißen Wände, über die man spricht. Und damit ist es auch da, wo die Künstler ansetzen, um die Wand selbst als Material zu begreifen und diese vielleicht auch ein Stück weit zu dekonstruieren oder als Malfläche zu benutzen."
Auch in der Kunsthalle in Bielefeld sind die Wände das Kapital des Museums. Der offene Bau des Amerikaners Philip Johnson von 1968 besteht aus einer fließenden Abfolge von Wänden und Durchblicken, die sich als ideale Bühne für temporäre Wandgestaltungen anbieten.
26 Arbeiten sind hier zu sehen; darunter, sagt Kunsthallenchef Friedrich Meschede, eine Arbeit von Karin Sander, die die Wand buchstäblich reflektiert.
"Eine Museumswand wird so lange geschliffen, bis man sich in ihr spiegelt, in der Oberfläche. Das ist zugleich eine Art der Versiegelung der Wand. Das ist aber auch eine Veredelung der Wand, das Polieren. Und das eben im Dialog mit einer Malerei von Bridget Riley, aber auch mit einer Wandmalerei von Richard Tuttle, über dessen Engagement ich hier besonders glücklich bin. Ich hatte ihn eingeladen, zwei Wände einer legendären Ausstellung aus München 1972 wieder aufzuführen. Er kam, begeisterte sich, und Richard Tuttle hat in anderthalb Tagen seine 40 Jahre zurückliegende Wandmalerei-Ausstellung, die erste in Europa, komplett rekonstruiert, mit der gleichen Frische wie vor 40 Jahren."
Ganz frisch und tagesaktuell sind auch die Wände, auf denen der aus Rumänien stammende Dan Perjovschi mit graffitiähnlichen Parolen und collagierten Zeitungsausschnitten das Weltgeschehen kommentiert. Und wie bei allen diesen Wandarbeiten besteht der Reiz des Werks auch in seiner Vergänglichkeit.
"Hier ist es ja auf Zeit, und es ist wohl dieses Spannungsverhältnis, dass wir dem Publikum etwas bieten, von vornherein wissen wir aber: in neun Wochen muss alles überstrichen werden."
In Baden-Baden stehen neben dem Überstreichen der Wände noch weitere Renovierungsarbeiten an. Dort nämlich haut die Amerikanerin Liz Larner mit ihrem "Corner Basher" gewaltig auf den Putz. Mit einer Fernbedienung kann der Besucher eine Abrissbirne in Gang setzen und eine Raumecke zum Wackeln bringen.
Schon jetzt hat der destruktive Apparat zwei beachtliche Löcher in die Wände gerissen, und den Kunsthallenleiter Johan Holten plagt eine Sorge:
"Wir hoffen, der kommt nicht so schnell durch die Wand, sollte stark genug konstruiert werden, um ungefähr drei Monate auch aushalten zu können."
Ob die Wand nun hält oder nicht – der Anblick dürfte jedenfalls genügen, das herkömmliche Bild von der Kunst gründlich zu erschüttern.
Die beiden Ausstellungen:
Auf Zeit. Was hinter dem Putz steckt
Staatliche Kunsthalle Baden-Baden
(19. Juli bis 27. Oktober 2013)
Auf Zeit. Wandbilder – Bildwände
Kunsthalle Bielefeld
(4. August bis 20. Oktober 2013)
An gleicher Stelle hat jetzt der Karlsruher Kunstprofessor Franz Ackermann die gut 200 Quadratmeter mit einer abstrakten Bildergeschichte dekoriert. Die Tragfläche eines Flugzeugs ist zu sehen, eine gigantische Sanduhr oder ein Gewirr von Kabeln – angeblich ein aktueller Hinweis auf die Abhörpraktiken der Geheimdienste. Und wenige Millimeter darunter schlummern unter dem Putz noch immer die Wandbilder von anderen Künstlern, sagt Kunsthallenchef Johan Holten.
"Wir haben uns auch nicht entschieden, Arbeiten freizulegen für diese Ausstellung, sondern die Geschichte, die in den Wänden steckt, als Ausgangspunkt zu nehmen, um dem ein weiteres Kapitel über Wandarbeiten und Wandmalereien im weitesten Sinne hinzuzufügen."
Mit Fotos, Zeichnungen und Modellen hat man jetzt in einem Raum mehr als 20 dieser Wandarbeiten dokumentiert, zum Beispiel die Arbeit von Blinky Palermo. Der hatte 1970 einen blauen Streifen rundum unterhalb der Decke in den Saal gemalt – ein damals revolutionärer "Ausstieg aus dem Bild", der heute völlig selbstverständlich ist.
Der Franzose Pierre Huyghe hat die Geschichte dieser Wandmalereien an einer Stelle gleichsam wie ein Archäologe aus den Wänden geschält und sie Schicht für Schicht bis auf die Grundmauern freigelegt: diverse Weiß- und Grautöne, rote, blaue oder grüne Farbränder kommen dabei zum Vorschein – ästhetisch äußerst reizvoll.
Museumswände sind ein Mythos; sie sind ein Ort, den man bestaunt; der Ort, an dem die Bilder hängen.
"Die Wand hat ja damit auch für die Ausstellung einen eher mythologischen Charakter bekommen. Das sind die weißen Wände, über die man spricht. Und damit ist es auch da, wo die Künstler ansetzen, um die Wand selbst als Material zu begreifen und diese vielleicht auch ein Stück weit zu dekonstruieren oder als Malfläche zu benutzen."
Auch in der Kunsthalle in Bielefeld sind die Wände das Kapital des Museums. Der offene Bau des Amerikaners Philip Johnson von 1968 besteht aus einer fließenden Abfolge von Wänden und Durchblicken, die sich als ideale Bühne für temporäre Wandgestaltungen anbieten.
26 Arbeiten sind hier zu sehen; darunter, sagt Kunsthallenchef Friedrich Meschede, eine Arbeit von Karin Sander, die die Wand buchstäblich reflektiert.
"Eine Museumswand wird so lange geschliffen, bis man sich in ihr spiegelt, in der Oberfläche. Das ist zugleich eine Art der Versiegelung der Wand. Das ist aber auch eine Veredelung der Wand, das Polieren. Und das eben im Dialog mit einer Malerei von Bridget Riley, aber auch mit einer Wandmalerei von Richard Tuttle, über dessen Engagement ich hier besonders glücklich bin. Ich hatte ihn eingeladen, zwei Wände einer legendären Ausstellung aus München 1972 wieder aufzuführen. Er kam, begeisterte sich, und Richard Tuttle hat in anderthalb Tagen seine 40 Jahre zurückliegende Wandmalerei-Ausstellung, die erste in Europa, komplett rekonstruiert, mit der gleichen Frische wie vor 40 Jahren."
Ganz frisch und tagesaktuell sind auch die Wände, auf denen der aus Rumänien stammende Dan Perjovschi mit graffitiähnlichen Parolen und collagierten Zeitungsausschnitten das Weltgeschehen kommentiert. Und wie bei allen diesen Wandarbeiten besteht der Reiz des Werks auch in seiner Vergänglichkeit.
"Hier ist es ja auf Zeit, und es ist wohl dieses Spannungsverhältnis, dass wir dem Publikum etwas bieten, von vornherein wissen wir aber: in neun Wochen muss alles überstrichen werden."
In Baden-Baden stehen neben dem Überstreichen der Wände noch weitere Renovierungsarbeiten an. Dort nämlich haut die Amerikanerin Liz Larner mit ihrem "Corner Basher" gewaltig auf den Putz. Mit einer Fernbedienung kann der Besucher eine Abrissbirne in Gang setzen und eine Raumecke zum Wackeln bringen.
Schon jetzt hat der destruktive Apparat zwei beachtliche Löcher in die Wände gerissen, und den Kunsthallenleiter Johan Holten plagt eine Sorge:
"Wir hoffen, der kommt nicht so schnell durch die Wand, sollte stark genug konstruiert werden, um ungefähr drei Monate auch aushalten zu können."
Ob die Wand nun hält oder nicht – der Anblick dürfte jedenfalls genügen, das herkömmliche Bild von der Kunst gründlich zu erschüttern.
Die beiden Ausstellungen:
Auf Zeit. Was hinter dem Putz steckt
Staatliche Kunsthalle Baden-Baden
(19. Juli bis 27. Oktober 2013)
Auf Zeit. Wandbilder – Bildwände
Kunsthalle Bielefeld
(4. August bis 20. Oktober 2013)