Bis heute keine Versöhnung

Von Markus Rimmele |
Zehntausende Zivilisten wurden beim Massaker von Nanjing 1937 von japanischen Truppen ermordet. Eine wirkliche Aussöhnung hat es zwischen den beiden Staaten nie gegeben. Bis heute sind anti-japanische Gefühle in China weit verbreitet. Trotzdem leben selbst in Nanjing Japaner.
"Immer im Dezember, zum Jahrestag, ist da diese Sirene. Dieser Klang ist mir unangenehm. Die Sirene erinnert daran, dass Japaner hier viele Chinesen getötet haben. Ich habe niemanden getötet, aber es sind eben doch Japaner, die es getan haben. Jeder erinnert einen daran. Das ist mir unangenehm."

Karin Ishikawa, Japanerin, erzählt in fließendem Chinesisch. Sie lebt seit zehn Jahren im ostchinesischen Nanjing. Normalerweise vergisst sie die historischen Ereignisse. Doch jedes Jahr am 13. Dezember um 10 Uhr morgens liegt für einige Minuten der Warnton der Sirenen über der Stadt, erinnert an die vielen Toten. 300.000 sind es nach chinesischer Schätzung, deutlich weniger nach Meinung japanischer Historiker. Egal, welche Zahl stimmt: Nanjing gehört zu den ganz großen Verbrechen des 20. Jahrhunderts. Und doch ist japanisches Leben möglich in Nanjing.

"Die Menschen hier sind normalerweise freundlich zu mir. Nur manchmal, wenn Leute was trinken, stellen sie mir Fragen zu Japan. Ich mag das nicht. Mein Sohn hat ab und zu Probleme in der Nachbarschaft. Die anderen Kinder nennen ihn 'kleiner Japaner' oder 'japanischer Teufel'. Er ist hier aufgewachsen und hat einen chinesischen Vater. Er wird dann immer sehr ärgerlich und sagt: Ich bin kein Japaner, ich bin Chinese!"

Karin Ishikawa, Mitte 30, ist mit einem Mann aus Nanjing verheiratet. Keine einfache Verbindung. Es habe lange gedauert, bis beide Familien in Japan und China mit der Ehe klar kamen, erzählt sie in einem Café im Stadtteil Xinjiekou.
Xinjiekou, heute ein moderner Geschäftsbezirk, liegt innerhalb der alten Stadtmauern. Vor gut 74 Jahren glich diese Gegend einer Hölle auf Erden.

Am 13. Dezember 1937, nach tagelangem Kampf, erobert die Kaiserliche Japanische Armee die Hauptstadt der chinesischen Republik Nanjing, am Unterlauf des Jangtse gelegen. Was nun folgt, geht weit über die bloße Besetzung einer feindlichen Stadt hinaus. Die einmarschierenden japanischen Soldaten wüten, offenbar mit einem Freibrief zu tun, was ihnen beliebt. Die wehrlosen chinesischen Zivilisten sind extremer Grausamkeit ausgeliefert. Sie werden zu Zehntausenden erstochen, erschossen, geköpft, ertränkt und lebendig begraben. Massenexekutionen finden statt. Besonders schlimm kommt es für die Frauen und Mädchen. Systematisch werden sie vergewaltigt, gequält und oft bestialisch getötet. Das Morden dauert ganze sechs Wochen lang.

Der Hass auf die Japaner ist in Nanjing noch weit verbreitet.

Es gibt auch versöhnlichere Töne unter den Nanjingern. Doch Japaner meiden Nanjing. Nur 800 leben in der Stadt, und nur rund 100 japanische Firmen haben sich hier angesiedelt. In vergleichbaren Städten der Region sind es mehr als zehnmal so viele. Der Japaner Masumitsu Yoshihiro lehrt seine Muttersprache an der Nanjinger Universität. Er wünscht sich mehr Kulturaustausch.

"Ich glaube, die Ereignisse sind wahr. Aber ich werde mich nicht dafür entschuldigen. Es sind ja nicht meine Taten, sondern die früherer Generationen. Ich lehre stattdessen Japanisch und verbessere die gegenseitige Verständigung."

Ein mühsamer, langsamer Prozess, der politisch kaum unterstützt wird. Noch immer gibt es in Japan Politiker, die das Massaker von Nanjing öffentlich leugnen. Das wiederum wird von Chinas Propaganda gern aufgegriffen. Sie pflegt und nährt die Japan-Feindschaft, vor allem in den Staatsmedien. 74 Jahre sind seit dem Massaker von Nanjing vergangen. Und die Verständigung zwischen Japanern und Chinesen steht noch ganz am Anfang.
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