"Ihre Angst muss man sehr ernst nehmen"
Warum ist die Angst der antiislamischen Pegida-Demonstranten so stark? Das zu verstehen, ist für den Bischof von Dresden-Meißen, Heiner Koch, die zentrale Herausforderung. Wichtig sei es, den konkreten Dialog zu suchen.
Philipp Gessler: Tausende zieht es mittlerweile in ganz Deutschland auf die Straße – regelmäßig, montags etwa in Dresden. Die Demonstranten haben ein ganzes Sammelsurium an Forderungen. Eine zentrale ist: Sie protestieren gegen eine angeblich drohende "Islamisierung" der Bundesrepublik. Kreuze sind zu sehen, schließlich haben manche Demonstranten Angst um das christliche "Abendland", so auch der Name der Demonstration in Dresden: Pegida – "Patrioten Europas gegen Islamisierung des Abendlandes".
Der Bischof von Dresden-Meißen, Heiner Koch, beobachtet die Entwicklung mit Sorge und mit Unverständnis, damit hält er nicht hinterm Berg. Ich wollte es allerdings genauer von ihm wissen. Meine erste Frage an ihn war: Angesichts der vorgebrachten Angst vor der Islamisierung des Abendlandes – stehen denn die Türken wieder vor Wien?
Heiner Koch: Diese Erfahrung kann ich nun überhaupt nicht machen. Ich komme aus Köln, da sind die Zahlen der Migranten und der Asylanten dramatisch höher als hier in Dresden und in Sachsen. Aber ich sehe schon, dass es da eine Sorge gibt, eine Angst gibt, und die muss man sehr ernst nehmen. Die Menschen äußern ihre Meinung, äußern ihre Überzeugung, ihre Nöte. Das ist ein Stück demokratisches Recht. Die Hauptfrage wäre für mich: Warum ist diese Angst so stark, und wie kommen wir mit diesen Menschen ins Gespräch, in die Auseinandersetzung und Diskussion, um dann wirklich etwas wahrzunehmen und gegebenenfalls auch zu verändern.
"Wir haben in Sachsen einen Ausländeranteil von nur 2,2 Prozent"
Gessler: Aber die Islamisierung Europas kann ich jetzt konkret wirklich nicht erkennen. Sehen Sie diese Gefahr?
Koch: Bei uns vor allen Dingen sehe ich sie überhaupt nicht. Wir haben in Sachsen einen Ausländeranteil von nur 2,2 Prozent. Dabei ist es die größte Gruppe unter den zwei Prozent, sind noch Vietnamesen. Also von daher von einer islamischen Bedrohung hier zu sprechen, das kann ich nicht sehen.
Gessler: Wie erklären Sie sich denn dann das größtenteils wirre Programm der Pegida-Demos? Was es eigentlich wirklich ist – ist es am Ende so ein verbrämtes "Ausländer raus" oder ein besitzbürgerliches "Lasst uns mit euren fremden Elendsproblemen allein"?
Koch: Ich glaube nicht, dass es ein einheitliches inhaltliches Gepräge gibt. Mir liegt ein Positionspapier vor, und ich weiß gar nicht, von wem das autorisiert ist. Da ist also fast alles drin, und zwar auch völlig Gegenläufiges. Wenn ich mit Leuten spreche, die demonstrieren, habe ich nicht den Eindruck, dass es irgendwo eine inhaltliche Übereinstimmung auch unter ihnen groß gäbe. Was ich sehe und spüre, ist, dass Menschen da zusammen kommen, die eines mit den Flüchtlingen verbindet, nämlich die Angst oder die Erfahrung, dass sie heimatlos geworden sind oder heimatlos werden.
Wissen Sie, zu uns kommen ja Flüchtlinge, die in brutalster Weise aus ihrer Heimat vertrieben worden sind. Nicht nur der Verlust des heimatlichen Ortes ist das große Problem, sondern dass diese Menschen da Heimat verloren haben, weil ihre Mitmenschen sie so brutal behandelt, ausgetrieben haben, manchmal ja auch sogar manche getötet haben. Ich habe den Eindruck, dass viele, die da mit demonstrieren, so die Angst haben, die Heimat hier zu verlieren. Ein ganz nebulöses Gefühl.
Hier wird alles anders, die Zeit ist so schnell, die Zentralisierung, die Bürokratisierung. Ich bin ausgeliefert, es gibt keinen Halt mehr, keine Ordnung mehr, kein Recht mehr. Bald wird es so sein wie in Syrien, überspitzt gesagt. Und ich glaube, diese erfahrene und befürchtete Heimatlosigkeit ist, was beide vielleicht viel mehr verbindet, als man denkt.
"Das christliche Abendland zeichnet sich durch Gastfreundschaft aus"
Gessler: Aber hat denn das Ganze, Stichwort "Islamisierung", auch eine religiöse Dimension? Haben die Demonstranten wirklich Angst um das "christliche Abendland"?
Koch: Also, das ist ja eine fatale Sache. Erstens mal, hier in Sachsen sind viele Menschen natürlich durch den christlichen Glauben geprägt, aber im Ganzen sind wir hier 20 Prozent Christen. Also das ist sehr nobel, dass sie sich darum kümmern, aber dann würde ich eher sagen, dann werde erst mal selbst christlich. Das Zweite ist, das christliche Abendland zeichnet sich ja durch – in seiner Geschichte, auch in seiner oftmals leidvollen Geschichte – durch die Gastfreundschaft aus, durch das Recht des Menschen auf Leben, durch die Menschenrechte, und auch die Annahme des anderen, der vertrieben wird; durch den Schutz.
Das sind ja alles Werte hier des christlichen Abendlandes, die sich jetzt konkret auch in unserer Verantwortung für die Menschen, die aus Syrien und dem Irak oder auch aus Tunesien zu uns kommen, die wir wahrnehmen. Im Grunde ist das, was wir hier praktizieren, ja ein Stück christliches Abendland. Also – man kann es eigentlich nur stärken.
Gessler: Darauf wollte ich genau kommen. Es gibt wenige Christen da. Ich meine, der Osten Deutschlands ist weitgehend entchristlicht. Es gibt also wenige Christen, die sich tatsächlich um das christliche Abendland Sorgen machen müssten, und zudem gibt es ganz wenige Muslime, die irgendeine Islamisierung betreiben könnten. Also, da wird doch ein riesiger Popanz aufgebaut.
Koch: Deshalb frage ich mich, was ist eigentlich dahinter. Das beunruhigt mich schon, und dem muss man auf die Spur gehen. Und man muss in die Tiefe schauen. Und ich vermute, dass da Lebensängste, vielleicht auch eine Haltlosigkeit dahinter stecken, die man nicht nur argumentativ angehen kann, sondern die man auch ein Stückchen – ich sag es mal bewusst – hier wäre ein Stückchen für Seelsorge der Raum zu öffnen. Vielleicht zeigt es sich ja gerade in mancher Demonstration, Gegendemonstration, wie sehr die Menschen den Glauben verloren haben oder noch nie hatten.
"Mich erinnert das an die Weihnachtsgeschichte"
Gessler: Was können denn konkret die Kirchen eigentlich gegen diese krude Mischung von, sagen wir mal, Rechtsextremen und Wutbürgern, machen. Gerade kurz vor Weihnachten vielleicht daran erinnern, dass die heilige Familie ja auch eine Flüchtlingsfamilie war, nämlich in Ägypten, wie die Evangelien erzählen?
Koch: Zunächst einmal wäre es sicherlich der Versuch, mit vielen Menschen ins Gespräch zu kommen. Ich bemühe mich wirklich, Menschen zuzuhören und sie anzunehmen. Ich glaube, das ist ein Stück Deeskalierung, und das ist ein Stück dann, dem anderen ein Stück Heimat und Würde von Person zu schenken. Auch denen, die demonstrieren, auf beiden Seiten, aber auch den Pegida-Leuten.
Das Zweite ist, dass dann das Vertrauen wächst, dass man auch sprechen kann, dass man Argumente austauschen kann, dass das verändert. Es geht ja nicht nur darum, was hier an Argumenten gesagt wird, sondern auch, wie es gesagt wird. Ich bin mit Flüchtlingen im Gespräch, die das Ganze natürlich als frontalen Angriff empfinden. Auch, wenn das vielleicht differenzierter gesehen werden muss, aber so erleben sie es. Und das ist, was mich bewegt, dass diese Menschen so furchtbar getroffen werden.
Erst sind sie getroffen worden in ihrer Heimat, jetzt werden sie in der neuen, noch nicht gewachsenen Heimat genauso wieder getroffen. Mich erinnert das an die Weihnachtsgeschichte, wo die Heilige Familie immer weiter geschoben wird. Das Dritte ist, wir müssen Initiativen unterstützen. Ich halte sehr viel davon, dass wir gute Ansätze unterstützen. Wir haben gerade den Caritas-Preis gegeben an eine Gemeinde, die sich sehr kreativ und nachhaltig um die Flüchtlinge bemüht, und mit viel Einsatz. Denn es geht ja nicht nur um Geld und Häuser, es geht um menschliche Kontakte. Und ich habe gespürt, im Gespräch mit den Flüchtlingen und den Deutschen da, wie da miteinander Heimat wächst.
Das Dritte ist, ich glaube, wir müssen die Weihnachtsbotschaft wirklich als ein Stück Heimatgeschichte wieder verkünden. Da ist die heilige Familie, die ihre Heimat verloren hat, die auf der Flucht war, die ... in der Stadt nicht angenommen wurde. Und in dieser Heimatlosigkeit ist Gott da. Und vielleicht ist gerade diese Erfahrung, dass ich Gott da finde, wo ich selbst und andere Heimatlosigkeit erleben, auch ein ganz großer innerer Impuls, doch einander Heimat werden zu lassen. Denn Heimat ist nicht da, wo ich wohne und wo das Gebäude da ist, sondern wo Menschen sind, wo ich bleiben kann, die mich annehmen, die mich manchmal vielleicht auch nicht verstehen, aber mich trotzdem gern haben.
Gessler: Aber ist es Ihnen nicht manchmal peinlich, wenn dann tatsächlich ein in Schwarz-Rot-Gold eingesprühtes Kreuz da herumgetragen wird?
Koch: Ja. Der Missbrauch des Kreuzes, das genau das Gegenteil sagt, ist für mich furchtbar und hart. Das finde ich auf jeden Fall. Und das ist natürlich eine, nicht nur in diesem Fall, überhaupt das Bild der Montagsdemonstration, das sind natürlich Rituale und Prozesse, die da missbraucht werden, aber ganz tief die Seele der Menschen treffen sollen. Hier nehmen wir ja auch klar Stellung. Das geht nicht.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.