"Eine Art Rampensau"
Unter ihrem neuen Vorsitzenden werde die Deutsche Bischofskonferenz "ganz schön ächzen", erwartet Deutschlandradio-Redakteur Philipp Gessler. Reinhard Marx stehe sozialpolitisch eher links, kirchenpolitisch eher rechts - ähnlich wie Papst Franziskus.
Kirsten Dietrich: Kardinal Reinhard Marx, der neue Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz. Mein Kollege Philipp Gessler hat nicht nur das Gespräch mit ihm geführt, er hat auch für Deutschlandradio Kultur die Frühjahrsvollversammlung der katholischen Bischöfe in Münster begleitet. Herr Gessler, wie präsentieren sich denn die deutschen Bischöfe mit ihrem neuen Vorsitzenden? Wirken die zufrieden? Ist das ein harmonisches Bild?
Philipp Gessler: Ganz harmonisch kann man nicht sagen, aber sie wirken dann doch alles in allem zufrieden, weil nach diesen etwas spärlichen Jahren von Herrn Zollitsch, der es ja rhetorisch wirklich nicht so gut drauf hatte, sind sie, glaube ich, ganz zufrieden, dass man ja jetzt jemanden hat, den man einfach vor die Kamera stellen kann und der etwas sagt, was einigermaßen vernünftig ist. Allerdings hat man schon dort gesehen, er prescht eben auch manchmal voran, und nicht alles, was er sagt, ist ganz im Konsens der Bischofskonferenz. Das heißt, sie sind einerseits froh, dass sie so eine Art Rampensau haben, andererseits sind sie etwas verängstigt auch, weil er eben so viel Macht hat, und weil er in manchen Dingen voranschreitet, wo die Bischofskonferenz eigentlich noch nicht ist in ihrer Gesamtheit.
Dietrich: Reinhard Marx hat vier Wahlgänge gebraucht für seine Wahl. Spiegelt das auch diese Unsicherheit darin, wie man jetzt mit diesem neuen Vorsitzenden umgehen will, ob man denn wirklich jemanden haben möchte, der so stark, der so dominierend ist?
Gessler: Ja, ich glaube, das kann man so werten. Man muss sich ja vorstellen, Reinhard Marx hat viele Ämter inne, die ihn schon jetzt zu einem sehr mächtigen Mann im deutschen Episkopat machen. Und jetzt hat man ihm dieses zusätzliche Amt noch gegeben, was eigentlich nicht viel Macht innehat, aber je nachdem, wie man es ausfüllt, kann er schon mehr oder weniger Macht haben. Das heißt, er ist Erzbischof von München und Freising, er ist in dem Finanzrat des Vatikan, er ist in diesem Achter-Kardinalsberater-Gremium des Papstes, und jetzt kommt eben noch dieser Vorsitz dazu. Das heißt, es geht in Zukunft nichts mehr ohne Kardinal Marx.
"Das war kein Durchmarsch"
Und da die Bischöfe ja de facto so eine Art Territorialfürsten sind, die zumindest früher und theologisch machen konnten, was sie wollen, mehr oder weniger, werden sie jetzt das sehr schnell merken, dass sie eben tatsächlich nicht mehr viel vorkommen. Und das stört natürlich einige. Dieser vierte Wahlgang, der nötig war, ist jetzt keine große Katastrophe. Es waren am Anfang wohl sehr viele Leute auf dem Stimmzettel, über fünf, aber trotzdem zeigt das so, dass das eben kein Durchmarsch war. Und Kardinal Marx selbst hat in Münster gesagt, ja, das sei ein ehrliches Ergebnis. Es war nicht besonders üppig.
Dietrich: Gab es einfach keine anderen Alternativen?
Gessler: Doch, es wurden etwas Alternativen aufgebaut. Also, Franz-Josef Bode aus Osnabrück, der wäre eine Möglichkeit gewesen. Aber es scheint so zu sein, dass er eben am Anfang keine Zweidrittelmehrheit für sich sichern konnte. Dann war klar, den kriegen wir nicht durch, der war eher so der Mann der, sagen wir mal, Progressiven. Felix Genn wurde von den Konservativen offenbar aufgebaut, aber da Joachim Kardinal Meissner ja nicht mehr im Bischofskollegium ist, gab es auch da niemanden, der ihn richtig hat pushen können. Und dann lief eben am Ende alles auf Kardinal Marx zu, der von Anfang an eine ordentliche Stimmenzahl hatte, und mit dem alle einigermaßen leben können.
Dietrich: Wie beurteilen Sie das denn? Die Bischofskonferenz hat den wahrscheinlich stärksten unter ihren Mitgliedern zum Vorsitzenden gewählt – ist das eine kluge Wahl?
Gessler: Insgesamt, glaube ich, ist es eine kluge Wahl. Sie werden sich zwar, wie gesagt, schon etwas ärgern über ihn, aber ich glaube, sie werden sehen, dass man in der Öffentlichkeit auf jeden Fall ganz gut mit Kardinal Marx leben kann. Er wird viel wahrscheinlich in Talkshows, in wichtigen politischen Runden zu finden sein. Sie können sich sicher sein, dass sein Gewicht in Rom sehr stark ist, und damit eben auch das Gewicht des deutschen Katholizismus. Ich glaube, man kann mit ihm leben. Es ist einfach ein kluger Mann, der sozialpolitisch, sagen wir mal, eher links ist, kirchenpolitisch eher rechts. Das ist eine Kombination, die man vielleicht auch für Papst Franziskus so definieren kann. Insofern, es ist eine recht kluge Wahl.
"Der Papst schätzt ihn"
Dietrich: Der deutsche Katholizismus, der ist in der Vergangenheit ja gerade im Verhältnis zu Rom durchaus eigene Wege gegangen, die bis hin zum Konflikt geführt haben, man denke nur an die Frage nach der Schwangerschaftsberatung. Der neue Vorsitzende zählt jetzt zu den engsten Beratern von Papst Franziskus – wie deutlich wird man die Stimme Roms künftig in Deutschland hören?
Gessler: Die Stimme Roms hat man bestimmt immer gehört, und unter Papst Benedikt, der diese Zentralisierung vorangetrieben hat, alles in Rom eben an wichtigen Entscheidungen zu zentralisieren, da war das ja auch schon der Fall. Also Rom wird natürlich ganz präsent sein. Es ist die Frage, ob sozusagen Bonn in Rom präsenter ist, also der Sitz der Bischofskonferenz hier in Deutschland. Und das kann ich mir schon sehr gut vorstellen. Das ist einfach so, dass Kardinal Marx mittlerweile in wichtigen Entscheidungsgremien drin sitzt und offenbar der Papst ihn schätzt. Das heißt, bei manchen Streitfragen wie zum Beispiel, was machen wir mit den wiederverheirateten Geschiedenen, kriegen die die Kommunion oder nicht? Da kann ich mir vorstellen, dass das Gewicht der deutschen Bischöfe größer geworden ist in Rom.
Dietrich: Was erwarten Sie von den nächsten sechs Jahren? Wie wird sich die Deutsche Bischofskonferenz unter ihrem neuen Vorsitzenden verändern?
Gessler: Also ich glaube, sie wird ganz schön ächzen. Dieser große Konflikt, den es über Jahre, vielleicht sogar Jahrzehnte gab – auf der einen Seite die eher liberalen unter Kardinal Lehmann und auf der anderen Seite die Konservativen unter Joachim Kardinal Meissner in Köln, der jetzt ja in den Ruhestand getreten ist, diese große Polarisierung, glaube ich, dürfte zu Ende sein. Wahrscheinlich wird man sich jetzt ungefähr auf diesen Kurs von Kardinal Marx einigen können. Allerdings gibt es immer noch Spannungen, und das hat man selbst an diesen wenigen Tagen in Münster auch gesehen.
Dietrich: Eindrücke und Einschätzungen zur Wahl von Kardinal Reinhard Marx, dem Münchener Erzbischof, zum neuen Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz in dieser Woche. Vielen Dank an Philipp Gessler aus unserer Redaktion "Religion und Gesellschaft"!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.