Bischofskonferenz

Kirche soll "aus der Defensive herauskommen"

Kardinal Reinhard Marx lächelt, vor ihm ein Mikrofon, hinter ihm auf einem Gebäude der Schriftzug "Bischöfliches Priesterseminar Borromäum"
Reinhard Kardinal Marx nach seiner Wahl zum neuen Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz © dpa / Rolf Vennenbernd
Kardinal Reinhard Marx im Gespräch mit Philipp Gessler |
Seit Mittwoch ist der Erzbischof von München und Freising auch noch Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz. "Wir haben eine wichtige, gute Botschaft, es geht nicht um die Kirche", sagt Reinhard Marx.
Kirsten Dietrich: Reinhard Marx ist Kardinal und der Erzbischof von München und Freising. Er leitet die Kommission der Bischofskonferenzen der Europäischen Gemeinschaft, er ist einer von acht Kardinälen, die Papst Franziskus zu seinen Beratern bei nötigen Kurienreformen ernannt hat. Er soll im Vatikan den Wirtschaftsrat leiten, und seit Mittwoch ist er auch noch Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz und damit so etwas wie die Stimme des Katholizismus in Deutschland. Viel Amt, viel Ehr – Philipp Gessler hat nach der Wahl mit Reinhard Marx gesprochen.
Philipp Gessler: Kardinal Marx, hat Ihr Tag eigentlich mehr als 24 Stunden?
Reinhard Marx: Eigentlich nicht. Denn ich brauche ja auch noch Zeit – er hat sogar weniger – zum Schlafen, stellen Sie sich das vor.
Gessler: Wie lang brauchen Sie denn zum Schlafen?
Marx: Na ja, sechs Stunden sollten es schon sein. Manchmal auch ein bisschen mehr, aber sagen wir mal, da komme ich schon ganz gut durch, wenn ich wenigstens die sechs Stunden habe.
Gessler: Sie müssen zukünftig Aufgaben abgeben und viel mehr delegieren. Schaffen Sie das denn, und wenn Sie delegieren müssen, ist dann nicht die Gefahr größer, dass Sie auch mehr Fehler machen?
Marx: Ja, wenn ich delegiere, kann ich ja keine Fehler machen, dann können die anderen die Fehler machen.
Gessler: Aber Sie müssen die Verantwortung übernehmen.
Marx: Die Verantwortung ja, aber Delegieren bedeutet auch, dass man Verantwortung abgibt. Das ist ja keine gute Delegation – so hab ich’s gelernt, ich hab ja selber Führungsseminare gemacht –, wenn man etwas abgibt, aber doch immer noch an jedem zweiten Tag um die Ecke guckt und meint, eigentlich muss ich das machen und ich bin der Beste, der das kann, und der das jetzt macht, ist eigentlich nur zweite Wahl. Das geht nicht, so kann man nicht führen und delegieren, sondern man muss das auch abgeben und dann sich freuen über die Erfolge des anderen und muss auch Verantwortung abgeben und darf nicht so tun, als sei man doch eigentlich noch dann derjenige, der das letzte Wort hat.
Anders ist es, wenn ich Mitarbeiter habe in meinem eigenen Bereich, wo ich nach außen hin weiterhin die Verantwortung behalte, aber die mit mir zusammenarbeiten, wo ich aber im Grunde weiter darin bin. Also man muss das ganze Feld, was ich habe, durchforsten. Ich glaube, dass ich, meine ich, immer schon ganz gut delegieren konnte, dass ich jetzt nicht ein Mensch bin, der alles an sich zieht und jedes Komma und jede Kleinigkeit selber bestimmen will, sondern der auch Vertrauen hat zu den Mitarbeitern. Ich meine schon. Und ich muss jetzt überlegen, welche Aufgaben kann ich wirklich ganz abgeben, nicht nur delegieren, sondern wirklich ganz einem anderen übergeben.
Gessler: Also zum Beispiel die Aufgabe in Brüssel …
Marx: Das muss man überlegen. Aber zum Beispiel haben wir heute schon entschieden, die Kommission VI wird ein anderer Bischof übernehmen, die ich viele Jahre geführt habe und das hat mir sehr viel Freude gemacht. Das kann ich einfach nicht, dass ein Vorsitzender der Bischofskonferenz auch noch eine so wichtige Kommission wie die Kommission für gesellschaftliche und politische Fragen übernimmt. Das muss ein anderer Bischof machen. Das ist nicht ganz einfach für mich, weil das auch so eine Herzensangelegenheit ist, aber da habe ich auch heute schon gesagt: Das muss jetzt ein anderer übernehmen, und ich bin froh, dass es einer tut.
Gessler: Sie haben ja jetzt schon ziemlich viel Macht in der Kirche. Sie sind Erzbischof von München und Freising, Sie sind in diesem Achter-Kardinalsberater-Gremium vom Papst, Sie sind im Wirtschaftsrat des Vatikan – haben Sie die Befürchtung, dass Sie dieser Versuchung der Macht erliegen könnten?
Marx: Eigentlich nicht, weil es immer eine eingebundene Macht ist, es ist ja keine unbegrenzte Macht, sondern ich bin ja immer eingebunden in Gremien. Wir brauchen immer Mehrheiten. In der Kirche ist nie einer alleine. Der Papst … der Papst kann entscheiden, aber alle darunter müssen schon eingebunden in Gremien, in Diskussionen, in bestimmte Ordnung hinein ihre Stimme einbringen und ihre Möglichkeiten. Das ist im Achter-Gremium so, da bin ich einer von acht und da müssen wir auch um unsere Positionen ringen, und dann kommt nachher ein gemeinsamer Vorschlag an den Papst heraus, und der Papst entscheidet. Also es ist insofern eine Macht, überhaupt dort zu sein und den Papst einen Rat geben zu können.
Genauso gilt das für den Wirtschaftsrat. Im Bistum ist es noch mal wieder anders, auch da gibt es Gremien, mit denen ich sprechen muss. Ich kann nicht einfach im Erzbistum München und Freising regieren wie ein Autokrat, das wäre verheerend. Es gibt Beratungsgremium und Ordinariatskonferenz, der Bischofsrat, das ständige Gespräch mit dem Generalvikar, damit man überhaupt weiß, was ist umsetzbar. Ich kann jeden Tag neue Ideen haben, aber sie müssen ja auch mitgetragen werden durch den Diözesanrat.
"Macht ist nicht etwas Negatives"
Also ich will das nicht relativieren, natürlich ist ein Bischof mit so vielen Ämtern auch in der Lage, in vielerlei Weise seine Position, seine Meinung einzubringen. Das ist ein Teil Macht, natürlich, Gestaltungsmöglichkeiten. Und man braucht, um gestalten zu können, auch Macht. Macht ist nicht etwas Negatives, es ist die Frage, wie ist sie eingebunden, wie ist sie kontrolliert, wie ist sie nachvollziehbar, wie wird sie verantwortet vor anderen, mit denen man zusammen unterwegs ist.
Gessler: Und wenn Sie jetzt der Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz sind, haben Sie gleichzeitig mehr Gewicht in Rom. Heißt das, dass Sie da vielleicht auch manche Sachen eher durchsetzen können, wie zum Beispiel eine neue Position bei den wiederverheirateten Geschiedenen?
Marx: Da sind natürlich viele Stimmen da. Natürlich ist es so, ein Vorsitzender einer Bischofskonferenz hat dann noch mal wieder ein anderes Gewicht, das ist richtig, aber ich denke, das war vorher auch schon. Ich bin eben in Rom jetzt durch die letzten Jahre häufiger auch präsent gewesen und jetzt durch das Achter-Gremium sowieso. Aber als Beispiel etwa: Der Vorsitzende der Bischofskonferenz ist natürlich dann Mitglied der Bischofssynode, die im Herbst stattfindet, das sind die anderen Bischöfe nicht. Insofern kann man natürlich wieder das Thema Ehe und Familie, was Sie ansprechen, auch von unserer Sicht her stärker einbringen, das ist klar.
Gessler: Sie haben gesagt, Sie haben Konkretes noch nichts vor, Sie müssen das noch mal in Ruhe überdenken. Haben Sie denn vielleicht stimmungsmäßig etwas vor, vielleicht der deutschen katholischen Kirche nach all diesen Krisen mehr Optimismus und mehr Selbstbewusstsein wieder zu geben?
Marx: Es ist nicht so, dass ich gar nichts vorhätte, aber ich will auch gut überlegen, was ich wo und wann verkünde und wie ich es mit meinem Mitbrüdern vorher bespreche, das ist klar. Aber auf jeden Fall gilt es, etwas stärker aus der Defensive herauszukommen und deutlich zu machen: Wir haben eine wichtige, gute Botschaft, es geht nicht um die Kirche. Die Kirche steht viel zu sehr im Mittelpunkt. Die Kirche ist ja Instrument dafür, dass das Wort Jesu gehört wird.
Ich weiß, die Medien sprechen lieber über einen Skandal als über einen Bibelspruch, das ist mir klar, aber ich muss jetzt den Bibelspruch oder das Wort Jesu und das, was er an Zeichenhandlungen setzt, seine Verkündigung so übersetzen – und das ist nicht ganz einfach in dieser Fülle von Medien und Medienereignissen –, dass das gehört wird, dass das Interesse findet. Das muss ich natürlich zur Kenntnis nehmen, dass eine Krise, ein Skandal, ein Streit alle Leute viel mehr interessiert als eine, was weiß ich, eine Heiligengeschichte oder ein gutes Zeugnis für gute Taten – das kommt auch mal vor in der Weihnachtszeit –, aber da muss ich mir schon mehr Mühe geben, um das unterzubringen und deutlich zu machen: Hier, Leute, hört mal zu, in dieser Gesellschaft gibt’s auch noch ein paar andere Dinge, die wichtig sind.
Gessler: Wie stellen Sie sich Ihre Kirche in sechs Jahren vor, wenn Sie sich entweder wieder bewerben für das Amt oder wenn ein anderer übernimmt?
Marx: Ich glaube, die Kirche kann sich in Sechs-Jahres-Rhythmen nicht einfach völlig neu aufstellen. Das ist eine Vorstellung aus der Politik, die ja auch dort nicht funktioniert, ne. Eine neue Regierung meint, sie erschafft das Land neu, da machen sie große Maßnahmenkataloge. Also man muss nüchtern bleiben und Schritt für Schritt vorangehen. Wir stehen in Transformationsprozessen der Gesellschaft, gerade was das religiöse Leben angeht, Mentalitäten, Lebensweisen angeht, das ist so tiefgreifend, das geht über Generationen.
Und da ist es wichtig, dass die Kirche sich sammelt, Mut hat, mit Freude die Botschaft Christi vertritt und lebt und bezeugt, in Beispielen, lebendigen Pfarreien. Das müssen wir versuchen voranzubringen und das nüchtern zur Kenntnis nehmen, dass man nicht mit wenigen Maßnahmen sozusagen eine Kirche wiederherstellt, wie sie vor 50 Jahren da war. Das ist unmöglich, das ist in dieser Gesellschaft so nicht denkbar. Und da erhoffe ich mir einfach, dass wir leidenschaftlich sind und gelassen zugleich. Das wäre mein Wunsch nach sechs Jahren.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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