Bischofssynode zu Familie und Ehe

Barmherzigkeit vor Kirchenrecht?

Die Bischöfe sind in Rom zu Beratungen mit dem Papst über das kirchliche Familienbild zugekommen.
Familiensynode in Rom: Bis zum 25. Oktober berät der Papst mit Bischöfen aus aller Welt über das kirchliche Familienbild. © picture alliance / dpa / Giuseppe Lami
Von Burkhard Schäfers |
Bei der Bischofssynode zu Familie und Ehe in Rom prallen zwei theologische Größen aufeinander: die bestehende Lehre, die Kardinal André Vingt-Trois nicht verändert sehen möchte, und der Ruf nach Barmherzigkeit, der Papst Franziskus besonders wichtig ist. Schließen sich beide gegenseitig aus?
Wenn zwei Katholiken kirchlich heiraten, geben sie sich ein lebenslanges Versprechen. In der Theorie klingt das ziemlich eindeutig: "Was Gott verbunden hat, darf der Mensch nicht trennen." Die Ehe ist – so heißt es – unauflöslich. Als Sakrament hat sie in der katholischen Kirche eine besondere religiöse Bedeutung. Und jetzt zur Praxis: In Deutschland wird mehr als jede dritte Ehe geschieden, auch die etlicher Katholiken. Wer einen neuen Partner kennenlernt und noch einmal heiratet, lebt nach kirchlicher Lehre in schwerer Sünde, nämlich sozusagen im Ehebruch. Er darf nicht zur Kommunion gehen, auch das Sakrament der Beichte bleibt ihm verwehrt. An dieser rigorosen Haltung stören sich immer mehr katholische Christen massiv. Das zeigt die Umfrage, die der Vatikan vor der derzeit tagenden Bischofssynode initiiert hatte, erläutert der Münchner Kirchenrechtler Helmuth Pree.
"Aus den Antworten ergibt sich eindeutig, dass der Ausschluss von den Sakramenten von den Betroffenen und überhaupt das Handeln der Kirche gegenüber wiederverheirateten Geschiedenen als unbarmherzig empfunden werden."
Die Rechtsexperten sind im Dilemma: Einerseits sprechen ihre Paragrafen eine eindeutige Sprache. Andererseits geben sie aber kaum Antworten, die dem komplizierten Alltag der Betroffenen gerecht werden. Das räumt auch Kirchenrechtler Pree ein.
"Doch können in der Zweitehe inzwischen moralisch unübersteigbare Pflichten, gegenüber Kindern aus dieser Beziehung zum Beispiel, entstanden sein. Die Rückkehr zum früheren Partner würde neues Unrecht bedeuten. Es handelt sich bei der Sache um eine komplexe moralisch-rechtliche Konfliktlage, der mit generalisierenden rechtlichen Antworten allein nicht begegnet werden kann. Die Lösung muss also über das Recht hinausgehen."
Und hier bringen Theologen einen Begriff ins Spiel, von dem sie sich erhoffen, dass er aus der Sackgasse des kanonischen Rechts herausführt: Den der Barmherzigkeit. Schließlich sei die katholische Kirche keine x-beliebige Institution, der es ausschließlich um Gesetzestreue gehe, argumentieren sie. So sieht es auch der Osnabrücker Bischof Franz-Josef Bode, einer der deutschen Delegierten bei der Familiensynode in Rom.
"Im Recht gibt es immer für bestimmte Situationen eine differenziertere Anwendung. Es muss innertheologische Gründe auch geben, ich möchte mal sagen Gründe auch aus einer gewissen Gerechtigkeit heraus, dass wir nicht immer und in jedem Fall den Ausschluss von den Sakramenten haben."
Barmherzigkeit heißt also, dass die Kirche Menschen in konkreter Not hilft – auch jenen, deren Ehe in die Brüche gegangen ist. Ein Vordenker dieser Position ist der emeritierte deutsche Kurienkardinal Walter Kasper. Er fordert: Das Wort Jesu darf nicht fundamentalistisch ausgelegt werden. Damit hat Kasper die anderen deutschen Kirchenvertreter bei der Familiensynode auf seiner Seite: Den Vorsitzenden der Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx aus München, den Berliner Erzbischof Heiner Koch, und eben Bischof Bode aus Osnabrück. Der sagt: Barmherzigkeit solle das Kirchenrecht nicht ersetzen.
"Barmherzigkeit muss so angewandt werden, dass es grundsätzlich einen Wert gibt und eine Wahrheit auch, die auf jeden Fall richtig ist, aber sich doch nochmal in Einzelsituationen übersetzen lassen muss."
Kritiker fürchten Verwässerung der Lehre
Kritiker wenden ein: Wenn die Kirche Barmherzigkeit vor Recht gelten lässt, verwässert sie ihre eigene, jahrhundertealte Lehre. So fürchtet etwa Kardinal Gerhard Ludwig Müller, als Präfekt der Glaubenskongregation dritthöchster Mann im Vatikan, die Kirche könnte ihre "objektive Wahrheit" aufgeben. Mögliche Folgen: Willkür und Verwirrung der Gläubigen. Allerdings hat auch Papst Franziskus immer wieder betont: Er wolle kein kompromissloses Recht, sondern es gehe um jeden Einzelfall – und darum, die konkreten Probleme der Menschen zu lösen. Vertreter der Kirche sollten nicht "Bürokraten des Heiligen" sein, so der Papst wörtlich in einer Botschaft an argentinische Theologen. Diese Haltung erläutert Bischof Juan Ignacio Arrieta, Sekretär des Päpstlichen Rates für die Gesetzestexte im Vatikan.
"In diesem Sinne ermunterte der Papst zu untersuchen, wie in den verschiedenen Disziplinen die zentrale Stellung der Barmherzigkeit reflektiert werden kann. Denn, so der Papst, ohne Barmherzigkeit laufen unsere Theologie und unser Recht Gefahr, in die Armseligkeit der Bürokratie oder in Ideologie abzugleiten."
Haben die Kirchenrechtler in Zukunft also weniger zu sagen? Widersprechen sich Barmherzigkeit und kanonisches Recht – und künftig gewinnt im Zweifelsfall der barmherzige Umgang? Nein, sagt der Rechtsexperte aus dem Vatikan. Wer so denke, habe ein falsches, ein rein positivistisches Verständnis von Wahrheit.
"Das kanonische Recht entzieht sich allen oberflächlichen Klassifizierungen gerade deshalb, weil die Wahrheit verlangt, gerechte Lösungen der Probleme und der persönlichen Situationen von rechtlicher Bedeutung zu finden und den konkreten Bedürfnissen gerecht zu werden – auch jenseits des Wortlauts der Norm. Das gehört zur Berufung des kanonischen Rechtssystems."
Recht hat das Ziel, Unrecht zu ahnden. Bleibt also, falls die Kirche künftig barmherziger agiert, die Gerechtigkeit auf der Strecke? Diese Befürchtung versucht der Münchner Kirchenrechtler Helmuth Pree zu zerstreuen.
"In jedem Fall sind Wiedergutmachung des Bösen und des Ärgernisses, Genugtuung für die Beleidigung, Bedingungen der Vergebung."
Die Barmherzigkeit sei ein ethisches Motiv. Es könne verhindern, dass das Recht zum Selbstzweck wird. Denn die Wahrheit – das seien nicht nur Prinzipien und Sätze, sagt Helmuth Pree.
"Sollte nicht auch im Falle der nicht mehr gegebenen Lebbarkeit einer Ehe eine Art tolerierter Raum geschaffen werden, der keine andere Legitimation und Grundlage hätte als die Barmherzigkeit? Es wäre der Raum, in dem der Weg der Buße und Reifung stattfindet, in dem der Betroffene aber in Frieden mit der Kirche leben könnte, und in dem der Zugang zu den Sakramenten keinesfalls grundsätzlich pauschal ausgeschlossen werden darf."
Auch wenn sich das kanonische Recht kaum grundsätzlich ändern wird, sehen Kirchenrechtler durchaus Spielraum beim Thema geschiedene Wiederverheiratete: Sie halten es für denkbar, dass künftig Einzelne zu den Sakramenten zugelassen werden – im Falle ehrlicher Buße. Spannend wird, inwieweit sich die Bischöfe diese Argumente bei der Familiensynode zu eigen machen.
Mehr zum Thema