Bitte recht unfreundlich ...
"Hau ab, du Arsch!" Als der Schauspieler Thomas Lawinky vor drei Jahren dem das Auditorium fliehenden Theaterkritiker Gerhard Stadelmaier diese Worte nachrief, war das der letzte Höhepunkt im Streit um das sogenannte "Regietheater". Der gemobbte Kritiker keilte tags darauf in seinem Frankfurter Hausblatt zurück und polterte wütend, diese Art von Schock-Theater werde bald verschwinden, weil das Publikum fortbleibt.
Und nun Daniel Kehlmann. Er hätte es besser wissen müssen, schließlich hatte man ihn gewarnt. Am Rande der Festspiele verriet der Salzburger Schauspielleiter Thomas Oberender, er habe Kehlmann leider nicht davon abhalten können, in ein Minenfeld zu springen.
Dabei steht der Autor nicht allein. Vor allem ausländische Theaterbesucher verwirrt der deutsche Regietheatersonderweg. Nachdem ich meine amerikanische Frau ein paar Mal in das Deutsche Schauspielhaus in Hamburg mitgenommen hatte, fragte sie mich verwundert, ob es hier bei allen Theateraufführungen Videoprojektionen, Kocheinlagen und Musikanten am Bühnenrand gebe.
Noch drastischer hat es Hilton Als, der Theaterkritiker des "New Yorker" ausgedrückt. Nach der Aufführung von Michael Thalheimers "Faust" in Berlin bezeichnete er den Regisseur als "Herrscher, der sein Publikum dazu gebracht hat, vor seiner speziellen Art von Theaterfaschismus in die Knie zu gehen".
Das ist natürlich grober Unfug. Es gibt einfach gutes und schlechtes Theater. Allerdings ist es doch irgendwie feige, interessante Stücke wie den "Faust" oder "Hamlet" so lange zu verhackstücken, bis gähnende Langweile herrscht. Aber warum versucht keins der selbsternannten Regiegenies mal, aus Gottscheds verstaubtem Aufklärungsdrama "Sterbender Cato" einen mitreißenden Bühnenthriller zu machen?
Und warum ist die Debatte jedes Mal so unversöhnlich, frei nach dem
Motto: Wer nicht für uns ist, ist gegen uns? Er habe zustimmende Briefe von Volker Schlöndorff, Alice Schwarzer und vielen anderen bekommen, erzählte mir Kehlmann, als wir nach einer Premiere auf dem Balkon des Salzburger Landestheaters standen. Die Sache erinnere ihn an die amerikanische TV-Serie "Die Sopranos". "Papi, bist du in der Mafia?", fragt da der Sohn seinen Vater Tony Soprano. Die lakonische Antwort des Mafia-Daddies: "Die Mafia gibt es nicht".
Ich wollte die Idee einer Regietheatermafia gerade höflich, aber bestimmt ins Reich der Paranoia verweisen, als Festspiel-Oberpate Jürgen Flimm Kehlmann zur Seite nahm und ihm zuraunte, das stimme ja irgendwie alles, nur eins nicht: Dass dem Regietheater das Publikum weglaufe.
Natürlich hat Flimm Recht: Das bürgerliche Publikum strömt nach wie vor in die krassesten Theaterblutorgien, als ob’s zur Kur nach Marienbad ginge. Die Festspiel-Schickeria goutiert den sprichwörtlichen "Hamlet im Frack" wie einen Mohr im Hemd. Um dieses seltsame Bündnis zwischen Kitsch und Avantgarde ging es Kehlmann in seiner Rede: Spießertum im Gewand eines pseudolinken Bewusstseins.
Im großen Geschrei ging nur eins unter: Die Aktualisierung klassischer Stoffe und Stücke ist keine schlechte Sache, wenn diese dadurch interessant und relevant für ein heutiges Publikum gemacht werden. Die 2006 in Berlin aufgeführt "Schändung" von Botho Strauß etwa ist eine mitreißende Shakespeare-Adaption, die uns heute ein Gefühl davon geben kann, was die alten Tragödiendichter unter Jammer und Schauder verstanden.
Auch in Salzburg gab es eine bemerkenswerte Aufführung, die als zeitgenössisches Echo auf einen Klassiker zu verstehen war: Jossi Wieler inszenierte Peter Handkes "Bis dass der Tag uns scheidet" zusammen mit Samuel Becketts "Das letzte Band" und kam dabei ohne grobe Effekte aus. "Raum und Sprache", das sei doch alles, hatte Handke am Vorabend bei einem Kneipenbesuch in Salzburg gesagt, als am Nebentisch mal wieder eine wütende Regietheaterdiskussion entbrannte. Kein Blut, kein Kotzen, kein Vögeln auf dieser Bühne – und doch: ein aufwühlender Abend, den man nicht so bald vergisst.
Malte Herwig ist Journalist, Literaturkritiker und Auslandsreporter. Er studierte in Mainz, Oxford und Harvard Literaturwissenschaften, Geschichte und Politik. Nach der Promotion in Oxford wurde er Journalist und schreibt seitdem unter anderem für die New York Times, ZEIT, Süddeutsche Zeitung, Frankfurter Allgemeine und Vanity Fair. Zuletzt war er mehrere Jahre Redakteur im Kulturressort des SPIEGEL und lebt nun als freier Autor in Hamburg. Für sein Buch "Bildungsbürger auf Abwegen" (Verlag Vittorio Klostermann) erhielt er 2004 den Thomas-Mann-Förderpreis. Zuletzt erschien "Eliten in einer egalitären Welt" (wjs-Verlag).
Dabei steht der Autor nicht allein. Vor allem ausländische Theaterbesucher verwirrt der deutsche Regietheatersonderweg. Nachdem ich meine amerikanische Frau ein paar Mal in das Deutsche Schauspielhaus in Hamburg mitgenommen hatte, fragte sie mich verwundert, ob es hier bei allen Theateraufführungen Videoprojektionen, Kocheinlagen und Musikanten am Bühnenrand gebe.
Noch drastischer hat es Hilton Als, der Theaterkritiker des "New Yorker" ausgedrückt. Nach der Aufführung von Michael Thalheimers "Faust" in Berlin bezeichnete er den Regisseur als "Herrscher, der sein Publikum dazu gebracht hat, vor seiner speziellen Art von Theaterfaschismus in die Knie zu gehen".
Das ist natürlich grober Unfug. Es gibt einfach gutes und schlechtes Theater. Allerdings ist es doch irgendwie feige, interessante Stücke wie den "Faust" oder "Hamlet" so lange zu verhackstücken, bis gähnende Langweile herrscht. Aber warum versucht keins der selbsternannten Regiegenies mal, aus Gottscheds verstaubtem Aufklärungsdrama "Sterbender Cato" einen mitreißenden Bühnenthriller zu machen?
Und warum ist die Debatte jedes Mal so unversöhnlich, frei nach dem
Motto: Wer nicht für uns ist, ist gegen uns? Er habe zustimmende Briefe von Volker Schlöndorff, Alice Schwarzer und vielen anderen bekommen, erzählte mir Kehlmann, als wir nach einer Premiere auf dem Balkon des Salzburger Landestheaters standen. Die Sache erinnere ihn an die amerikanische TV-Serie "Die Sopranos". "Papi, bist du in der Mafia?", fragt da der Sohn seinen Vater Tony Soprano. Die lakonische Antwort des Mafia-Daddies: "Die Mafia gibt es nicht".
Ich wollte die Idee einer Regietheatermafia gerade höflich, aber bestimmt ins Reich der Paranoia verweisen, als Festspiel-Oberpate Jürgen Flimm Kehlmann zur Seite nahm und ihm zuraunte, das stimme ja irgendwie alles, nur eins nicht: Dass dem Regietheater das Publikum weglaufe.
Natürlich hat Flimm Recht: Das bürgerliche Publikum strömt nach wie vor in die krassesten Theaterblutorgien, als ob’s zur Kur nach Marienbad ginge. Die Festspiel-Schickeria goutiert den sprichwörtlichen "Hamlet im Frack" wie einen Mohr im Hemd. Um dieses seltsame Bündnis zwischen Kitsch und Avantgarde ging es Kehlmann in seiner Rede: Spießertum im Gewand eines pseudolinken Bewusstseins.
Im großen Geschrei ging nur eins unter: Die Aktualisierung klassischer Stoffe und Stücke ist keine schlechte Sache, wenn diese dadurch interessant und relevant für ein heutiges Publikum gemacht werden. Die 2006 in Berlin aufgeführt "Schändung" von Botho Strauß etwa ist eine mitreißende Shakespeare-Adaption, die uns heute ein Gefühl davon geben kann, was die alten Tragödiendichter unter Jammer und Schauder verstanden.
Auch in Salzburg gab es eine bemerkenswerte Aufführung, die als zeitgenössisches Echo auf einen Klassiker zu verstehen war: Jossi Wieler inszenierte Peter Handkes "Bis dass der Tag uns scheidet" zusammen mit Samuel Becketts "Das letzte Band" und kam dabei ohne grobe Effekte aus. "Raum und Sprache", das sei doch alles, hatte Handke am Vorabend bei einem Kneipenbesuch in Salzburg gesagt, als am Nebentisch mal wieder eine wütende Regietheaterdiskussion entbrannte. Kein Blut, kein Kotzen, kein Vögeln auf dieser Bühne – und doch: ein aufwühlender Abend, den man nicht so bald vergisst.
Malte Herwig ist Journalist, Literaturkritiker und Auslandsreporter. Er studierte in Mainz, Oxford und Harvard Literaturwissenschaften, Geschichte und Politik. Nach der Promotion in Oxford wurde er Journalist und schreibt seitdem unter anderem für die New York Times, ZEIT, Süddeutsche Zeitung, Frankfurter Allgemeine und Vanity Fair. Zuletzt war er mehrere Jahre Redakteur im Kulturressort des SPIEGEL und lebt nun als freier Autor in Hamburg. Für sein Buch "Bildungsbürger auf Abwegen" (Verlag Vittorio Klostermann) erhielt er 2004 den Thomas-Mann-Förderpreis. Zuletzt erschien "Eliten in einer egalitären Welt" (wjs-Verlag).