Beethoven in den Augen seiner Gegner und Feinde
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Heute ist es kaum vorstellbar, doch Beethovens Instrumentalwerke wurden bei Uraufführungen oft verrissen. Schwer fasslich, zu dissonant erschienen sie den zeitgenössischen Kritikern und Verlegern. Auch Folgegenerationen fragten: Muss man Beethoven lieben?
Muss man Beethovens Sinfonien, Quartette und Sonaten wie göttliche Offenbarungen anbeten? Er soll ja - hört man immer wieder - unsterblich sein. Es gibt nur einen Gott, und er heißt Ludwig van Beethoven, verkündeten vor kurzem zwei beliebte Feuilletonisten. Aber ist das nicht ein bisschen zu viel des Guten - ja Götzendienst?
Überzeugte, mutige Gegner, wutentbrannte Beethovenfeinde, die uns die Musik des Bonners um die Ohren hauen, gibt es kaum - man muss sie mit der Lupe suchen. "Der Zustand der Bewunderung ist ein Zustand der Geistesschwäche, … in diesem Zustand der Geistesschwäche existieren fast alle", heißt es in Thomas Bernhards Roman "Alte Meister". Darin tritt ein kauziger Wiener Musikkritiker namens Reger auf, Bernhards Alter-Ego, der mit Begeisterung schlechte Laune hat und über seine Zeitgenossen und den Musikbetrieb schimpft.
John Cage erklärte forsch anno 1948: "Beethoven war im Unrecht!" Doch meinte er weniger den "einsamen Revolutionär" als den erdrückenden unreflektierten Beethoven-Kult.
John Cage bezieht Stellung
John Cage, Jahrgang 1912, hatte in den dreißiger Jahren in Paris gelebt, er hatte später Kurse bei Arnold Schönberg und Henry Cowell genommen. Er kannte sich zudem in östlicher Philosophie und der Musik Indiens aus. 1948 bekam er eine Einladung an das Black Mountain College in North Carolina, wo man vor allem das Kulturgut "deutsche Musik" hegte und pflegte.
Cage nahm die Gelegenheit wahr, um neue Akzente zu setzen und organisierte das "Amateur Festival of the music of Erik Satie". Vermutlich wollte er mit diesem Festival seinem ehemaligen Lehrer, dem in die USA emigrierten Zwölftöner Arnold Schönberg, gewissermaßen quasi scherzando signalisieren, dass Beethoven und die abendländische Musik Auslaufmodelle seien.
Die Black Mountain College-Veranstaltungen am Lake Eden endeten im Sommer 1948 mit einer dadaistischen Schlacht, bei der die Beethoven-Freunde ihre Gegner mit Wiener Schnitzeln bewarfen, worauf die Satie-Fraktion ihre Crèpes Suzette-Geschosse einsetzte.
Cages Abkehr von der europäischen Musiktradition - von Beethoven als ihrem maßgeblichen Exponenten vor allem - hatte jedoch Vorläufer. Der Futurist Marinetti verkündete 1913: "Bloß fort von hier! / Beethoven und Wagner haben unsere Nerven lange genug gereizt. / Jetzt freuen wir uns an geschickt kombinierten Geräuschen von Straßenbahnen/ Vergasermotoren / Wagen und kreischenden Menschenmengen!"
"Langweilig"
Eine gewisse Beethoven-Allergie ist auch bei den jungen russischen Komponisten jener Tage zu beobachten. So etwa bei Alexander Skrjabin. Im Januar 1908 – auf dem Heimweg nach Russland – hält sich der Komponist des "Poème de l'Extase" und des "Prométhée", für ein paar Tage in Leipzig auf. Hier wird er zu einem Quartett-Abend eingeladen. An seine Geliebte und spätere Frau, Tatjana de Schloezer, schreibt er: "Oh, wie habe ich mich in dem Konzert gelangweilt beim Anhören von Beethoven, Brahms und Mendelssohn! Wie fremd ich allem und allen, außer Dir, geworden bin!"
Ganz anders verhält es sich mit Beethovens Zeitgenossen, die seine Werke zum ersten Mal hörten. Beethoven stand noch nicht unter Denkmalschutz. Seine Musik war absolut neu, "äußerst schwierig" und passte in kein Raster. Von einem Klassiker zu reden, fiel damals niemandem ein.
Man musste sich erst positionieren, wie eine frühe Kritik der "Eroica" zeigt. "Es fehlt ihr gar nicht an frappanten und schönen Stellen, in denen man den energischen, talentvollen Geist ihres Schöpfers erkennen muss: sehr oft aber scheint sie sich ganz ins Regellose zu verlieren."
"Barock und unzusammenhängend"
Nicht ganz so krass reagierte der beliebte Komponist und Geiger Louis Spohr, der Beethoven persönlich kannte, schätzte und bewunderte. Jedoch bei aller Sympathie, was sich da so zusammenbraute, konnte er nur schwer nachvollziehen. Zu dessen "Neunter Sinfonie" schreibt er: "Sein stetes Streben, originell zu sein und neue Bahnen zu brechen, konnte nun nicht mehr wie früher durch das Ohr vor Irrwegen bewahrt werden.
War es daher zu verwundern, dass seine Arbeiten immer barocker, unzusammenhängender und unverständlicher wurden? Zwar gibt es Leute, die sich einbilden, sie zu verstehen und in ihrer Freude darüber sie weit über seine frühern Meisterwerke erheben. Ich gehöre aber nicht zu ihnen und gestehe frei, dass ich den letzten Arbeiten Beethovens nie habe Geschmack abgewinnen können."
"Unverständlich wie Chinesisch"
Beethovens Spätwerke machten es seinen Zeitgenossen besonders schwer. Berühmt und berüchtigt das Quartett Nr. 13 B-Dur op. 130. Besonders die "Große Fuge" machte die Hörer konfus, so jedenfalls steht es in einer Rezension in der "Allgemeinen Musikalischen Zeitung" nach der Uraufführung im März 1826:
"Der erste, dritte und fünfte Satz sind ernst, düster, mystisch, wohl auch mitunter bizarr, schroff und capriciös; der zweyte und vierte voll von Muthwillen, Frohsinn und Schalkhaftigkeit; dabey hat sich der grosse Tonsetzer, der besonders in seinen jüngsten Arbeiten selten Maass und Ziel zu finden wusste, hier ungewöhnlich kurz und bündig ausgesprochen ... den Sinn des fugirten Finale wagt Referent nicht zu deuten: Für ihn war es unverständlich, wie Chinesisch."
Ähnlich ein Feuilletonartikel von Heinrich Heine aus dem Jahr 1841, geschrieben 14 Jahre nach Beethovens Tod: "Namentlich Beethoven treibt die spiritualistische Kunst bis zu jener tönenden Agonie der Erscheinungswelt, bis zu jener Vernichtung der Natur, die mich mit einem Grauen erfüllt, das ich nicht verhehlen mag, obgleich meine Freunde darüber den Kopf schütteln.
"Gespenster verschollener Klänge"
Für mich ist es ein sehr bedeutungsvoller Umstand, dass Beethoven am Ende seiner Tage taub ward und sogar die unsichtbare Tonwelt keine klingende Realität mehr für ihn hatte. Seine Töne waren nur noch Erinnerungen eines Tones, Gespenster verschollener Klänge, und seine letzten Produktionen tragen an der Stirne ein unheimliches Totenmal." (Lutetia, 1841)
Und dem großen Beethoven-Verehrer Theodor W. Adorno fiel einst spontan ein: "Manche, sehr großartige Stücke Beethovens, vor allem Ouverturen, klingen aus der Entfernung nur bum bum."