Bjarte Breiteig: "Meine fünf Jahre als Vater"
Aus dem Norwegischen von Bernhard Strobel
Luftschacht Verlag, Wien 2016
319 Seiten, 24,20 Euro
Ein erschreckend gewöhnlicher Täter
In seinem ersten Roman erzählt Kurzgeschichtenautor Bjarte Breiteig von einem Mann, der eine fatalen Tat begeht: den sexuellen Übergriff auf ein Mädchen. Mit seinem Buch wirft der Autor brisante Fragen auf.
Eines Abends, die Familie sitzt beim Essen, bekommt der Ich-Erzähler, der knapp vierzigjährige Autor, Martin Besuch von der Polizei: Ob er eine Selma Strøm kenne, vier Jahre alt? Sein Auto sei am vergangenen Sonntagabend vor ihrem Haus gesehen worden. Martin streitet das ab, aber er lügt. Nachdem er nämlich seine an Alzheimer erkrankte Mutter besucht hatte, fuhr er tatsächlich zu diesem Haus: Er hat mit Selmas Mutter Lillian ein Verhältnis.
Die Polizei sagt nicht, worum es geht, aber schon früh erlangen wir durch Martins sonderbare Andeutungen Gewissheit, dass es um Missbrauch gehen muss. Der Besuch der Polizei und sein Schuld- und Reuegefühl sind der Anlass einer tiefen, schonungslosen Analyse seiner selbst und seiner Beziehungen zu seiner Geliebten Lillian und seiner Frau Gina, zu seiner Umgebung überhaupt.
An der Grenze zur Persönlichkeitsstörung
Delikat wird die Sache zudem dadurch, dass Gina, mit der er zwei kleine Söhne hat, und Lillian enge Freundinnen waren und wieder sind. Und damit nicht genug: Martin ist früher schon einmal mit Lillian zusammen gewesen. Lillian war dann mit einem Autor liiert, der sie verlassen hat; Selma ist ihre gemeinsame Tochter.
Martin ist kein krankhafter oder gewalttätiger Pädophiler. Aber er ist ein labiler Mensch, er erkennt etwas "Dunkles" in sich, er ist launisch, übersensibel, schwärmerisch und depressiv. Er weint schnell, er spricht von seiner "femininen Seite". Wenn es schlimm kommt, hat er Panikanfälle und Albträume.
Bjarte Breiteig schildert diesen Fall eines Mannes an der Grenze zur Persönlichkeitsstörung mit der ihm eigenen klaren und unaufgeregten Sprache. Die Personen haben alle mehr oder weniger ihre (psychischen) Probleme, aber sie sind nicht "abartig", sondern plausibel, lebendig, erschreckend gewöhnlich.
Im Halbschlaf unsittlich berührt
Martin stellt sich schließlich selbst und wird verurteilt. Er hat seine Kinder und die beiden Frauen verloren, er ist jetzt kein Vater und kein Partner mehr. Er hat die kleine Selma nicht vergewaltigt, aber sie im Halbschlaf unsittlich berührt. Doch wurde die Sache durch den Prozess und die forschenden Fragen der Ermittler für sie nicht womöglich noch schlimmer? In unserer Zeit des schnellen Urteils, des schrillen Aufschreis und der arglosen Zensur ist Breiteig ein ziemliches Wagnis eingegangen. Sein Ich-Erzähler Martin sieht seine Schuld ein, stellt aber Fragen, die nicht allen gefallen dürften.