Björk-Oper am Nationaltheater Mannheim

Weit entfernt von Kitsch

Ji Yoon (l) als Forscherin und Aki Hashimoto als Doppelgängerin stehen im Nationaltheater Mannheim bei der Pop-Oper "Vespertine" auf der Bühne.
Ji Yoon (l) als Forscherin und Aki Hashimoto als Doppelgängerin stehen im Nationaltheater Mannheim bei der Pop-Oper "Vespertine" auf der Bühne. © dpa / Uwe Anspach
Von Jörn Florian Fuchs |
Björks Album erschien 2001 und nun veropert das Nationaltheater Mannheim "Vespertine". Die Musik ist in typisch Björkscher Manier mal nachdenklich, sehnsüchtig, melancholisch, aber manchmal auch enthusiastisch.
Mannheim ist an diesem Wochenende ganz Musik. Man feiert Stadtfest und das bedeutet singen, tanzen, Krach machen bis in die Nacht. Stärkung gibt es an unzähligen Ständen und Buden. Zwischen Veggie-Burger, Melonenbowle und Pommeskanone steht dann plötzlich ein Infopavillon des Mannheimer Nationaltheaters und lädt ein, schon für zehn Euro zu Björks "Vespertine" zu kommen. Vermutlich dachten ein paar der Premierenbesucher am Samstag, es handle sich dabei um etwas Kulinarisches, eine Vesper eben. Statt Smoking und Abendkleid sah man im Theater viele junge Leute in sehr leichter Kleidung, sogar der im Dienstanzug erschienene Intendant Albrecht Puhlmann entschied sich zumindest gegen das Tragen von Socken.

Ein Wolkenjunge sondert Rauchwolken ab

Man versammelte sich also zu einer Dämmerstunde. "Vespertine" bedeutet genau dies und Björks Musik klingt auch entsprechend, nämlich verhalten, nachdenklich, sehnsüchtig, melancholisch, aber manchmal auch mild enthusiastisch. 2001 erschien ihr Album, damals war sie gerade frisch in den Künstler Matthew Barney verliebt. Dessen Vorliebe für seltsame Figuren und schleimige Substanzen nimmt die Inszenierung des dänischen Theaterkollektivs Hotel Pro Forma mehrfach auf. Steinartige, dennoch zuckende Wesen kauern ganz vorne auf der Bühne, es handelt sich übrigens um den Kinderchor, dahinter schleicht gelegentlich ein Mann herum, der mit einem Filmprojektor verwachsen scheint. Darüber, auf Stelzen, befindet sich eine Art Labor mit zwei Forscherinnen, die ebenfalls mit allerlei eigenwilligen Videowelten zu schaffen haben.
Nur selten werden die konstant sich wandelnden Farben und Formen konkret. Dann meint man, Sternenkonstellationen zu sehen, es könnte aber genau so gut Plankton auf dem Grund eines Ozeans sein. Das Programmheft weiß Rat: Es sind vor allem innere Organe von Tier und Mensch. Über allem thront ein "Wolkenjunge", der öfters eine Rauchwolke absondert, was wiederum gut zu Mannheim passt, wo ja jede zweite Kneipe eine Shisha-Bar ist. Am Ende wird eine der Damen in die flimmernde Wuselwelt gleichsam eingehen, die andere sendet mitsamt dem zottelwesenhaften (Frauen-)Chor freundlich-friedliche Töne ans und ins Publikum. Erfreulicherweise ist das ziemlich weit vom Kitsch entfernt, wie überhaupt Hotel Pro Forma keine "hagiographische" Björk-Party veranstaltet, sondern eine eigenständige Assoziationswelt kreiert.

Intelligenter Trip durch Björks Klangsprache

Das Trio Himmelfahrt Scores um den Komponisten Jan Dvořák hat die zwölf Titel des Albums exzellent ver- und bearbeitet, mit Zwischenspielen versehen und das ja sehr besondere Organ Björks auf zwei Frauenstimmen (Ji Yoon, Aki Hashimoto), zwei Männerstimmen (Raymond Ayers, Simon Oesch) und Chor transponiert. Brillant sind zwei in den Parkettlogen positionierte "Stereo"-Harfen. Musikalisch glänzen alle, auch Dirigent Matthew Toogood macht seine Sache sehr gut. So erlebt man einen ziemlich intelligenten Trip durch Björks Klangsprache und den visuellen Kosmos von Hotel Pro Forma, der freilich immer wieder an Robert Wilson, Achim Freyer oder Robert Lepage erinnert. Vielleicht hat man sich über die Jahre ja gegenseitig beeinflusst? Das Publikum war am Ende ganz aus dem Häuschen und hoffte wohl auf das Erscheinen von Björk, die aber dann doch lieber zuhause, in ihrem Universum, blieb.
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