Hilfsangebote für Menschen mit Depressionen, Suizidgefährdete und ihre Angehörigen: Wenn Sie sich in einer scheinbar ausweglosen Situation befinden, zögern Sie nicht, Hilfe anzunehmen. Hilfe bietet unter anderem die Telefonseelsorge in Deutschland unter 0800-1110111 (kostenfrei) und 0800-1110222 (kostenfrei).
Wie gehen wir mit psychisch Kranken um?
07:09 Minuten
Arbeitnehmer melden sich heute aus psychischen Gründen doppelt so oft krank wie noch vor zehn Jahren. Das geht aus dem BKK-Gesundheitsreport hervor. Was bedeutet das für die Kranken? Und welche Verantwortung tragen die Gesunden?
Hetze und Stress, zu wenig Zeit für zu viele Aufgaben – darüber klagen viele Arbeitnehmer und dieses Missverhältnis geht zu Lasten der psychischen Gesundheit. Das zeigt auch der aktuelle BKK-Gesundheitsreport.
Psychisch bedingte Fehlzeiten bei der Arbeit haben sich in den vergangenen zehn Jahren mehr als verdoppelt. Das liegt aber nicht daran, dass es heute doppelt so viele psychisch Kranke gibt. Deren Anzahl ist nach Angaben des Robert Koch Instituts gleich geblieben. Die Betriebskrankenkasse geht davon aus, dass die Krankheiten schneller und besser erkannt werden und dass sie weniger stigmatisiert werden als früher.
Tabu wegen Hilflosigkeit
Die Chance, die darin liegt, offen mit psychischen Erkrankungen umzugehen, haben auch einige Arbeitgeber erkannt. Siemens zum Beispiel fördert mit der Kampagne #Breakingthesilence, dass Führungskräfte und Kolleginnen und Kollegen sich zu ihrer Krankheit bekennen. Denn es gibt immer noch große Unsicherheiten. Das sagt auch der Verantwortliche für das Programm, Ulrich Birner:
"Ich glaube, es ist eher eine Unbeholfenheit von allen, darüber zu sprechen. Natürlich fällt es auf, wenn sich jemand verändert bei der Arbeit, auf einmal anderes Verhalten zeigt. Aber wenn ich keine Anleitung habe und auch keine Berechtigung, das anzusprechen, und auch nicht weiß, wie ich es ansprechen soll, dann bleibt es tabuisiert."
Doch was heißt es für die "Gesunden", wenn viele Menschen in unserer Gesellschaft psychisch erkranken? Und: Sind Menschen überhaupt bereit und offen genug, um über vermeintliche Schwächen zu sprechen?
"Burnout" klingt besser als "Depression"
Der Sozialarbeiter und Psychologe Andreas Speck gibt darauf eine differenzierte Antwort. Er hat viele Jahre in der Gemeindepsychiatrie gearbeitet. Derzeit ist er Professor für Sozialpsychologie und -psychiatrie in Neubrandenburg. Es gebe Studien, sagt er, die darauf hinwiesen, dass es Unterschiede bei den Symptomen gebe: Das Stigma sei bei Schizophrenie höher, bei Depression habe es sich stabilisiert, auch weil in den Medien sehr differenziert über psychische Krankheiten berichtet werde. Für Depression gebe es auch den Namen "Burnout", der "selbstverdienlicher" klinge. Das helfe aber, den Menschen darüber zu sprechen.
Was aber kann man am Arbeitsplatz tun, um Betroffenen zu helfen? "Wichtig ist, sich auf den Menschen einzulassen, Empathie zu zeigen, mit ihm ins Gespräch zu kommen, ohne seine Rolle als Vorgesetzter oder als Kollege zu vernachlässigen, also auch nicht sich verwickeln zu lassen", sagt Speck. Auch Menschen, die aus der Behandlung gekommen seien, sollte man ermutigen, mit ihnen gemeinsam festlegen, welche Ziele zu erreichen wären. "Also ihnen auch ein Stück Hoffnung zu vermitteln."
"Es gibt nicht die Kranken und die Gesunden"
Speck sieht die Verantwortung bei den Führungskräften. Sie hätten eine Fürsorgepflicht. Aber auch Kollegen empfiehlt der Psychologe, mit Betroffenen ins Gespräch kommen, wenn deren Verhalten auf eine Erkrankung hinweise. Diese könnten dann immer noch das Angebot ausschlagen, wenn sie nicht reden wollten.
Speck wehrt sich gegen das Denken in zwei Kategorien: "Es ist nicht so, dass es die Kranken gibt und die Gesunden. Psychische Erkrankungen und psychische Gesundheit, das sind Pole eines Kontinuums. Jeder Mensch, auch wenn er gesund ist, trägt in sich Anteile von Depression, von Traurigkeit, von Ängsten mit sich." Und jeder Kranke habe auch gesunde Anteile. "Nur dann habe ich eine Chance, den Menschen auf Augenhöhe zu begegnen, wenn ich weiß, dass das, was in dem Menschen vorgeht, auch ein bisschen Teil von mir ist."
(leg)