Subkultur trifft Oper von Carl Maria von Weber
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Jazz, Hip-Hop und Oper sollen als Kulturen friedlich nebeneinander existieren, sagt der Künstler Black Cracker. Die Oper „Der Freischütz“ nimmt er zum 200. Jubiläum der Uraufführung als Grundlage für eine zeitgenössische Performance.
Carl Maria von Webers Oper "Der Freischütz" feierte vor 200 Jahren im Schauspielhaus Berlin Premiere. Dieses heutige Konzerthaus wird in diesem Jahr ebenfalls 200 Jahre alt.
Mit dem zeitgenössischen "Ballet of slug and shell" sollte dieses doppelte Jubiläum im April eigentlich gefeiert werden. In der Auftragsarbeit nimmt sich der Künstler Black Cracker zusammen mit dem Solistenensemble Kaleidoskop die Oper als Grundlage. Da die Aufführung im April nicht möglich war, findet sie nun in einem 360-Grad-Video statt.
Vivian Perkovic: Black Cracker, Sie kommen eigentlich aus dem Spoken Word und Hip-Hop-Kontext: Was hat Sie an einer Oper gereizt?
Black Cracker: Ich denke, mein Interesse ist immer dasselbe. Ich bin ein großer Fan des Humanismus. Ich liebe es, zu sehen, wenn verschiedene Menschen friedlich nebeneinander koexistieren können. Klassische Musik und Oper ziehen mich total an. Denn dieser Bereich ist nicht so anders als der Kontext, aus dem ich stamme, aus dem Spoken Word-Bereich und der Subkultur.
Hochleistungssportler am Instrument
Da fühlt man sich auch oft isoliert. Oper und Klassik sind künstlerisch sehr anspruchsvoll, es ist eine eigene Welt. Ich freue mich immer, wenn ich Einladungen in diese Welt bekomme und die verschiedenen Kulturen sich treffen dürfen. Außerdem komme ich aus dem Jazz und war lange der Sänger in einer Jazzband aus der Schweiz. Da arbeitet man ganz anders mit der Musik und dem Sound.
Bei klassischen Musikern gefällt mir, dass die Musiker so technisch versiert an ihrem Instrument sind. Sie sind auf eine Art Hochleistungssportler an ihrem Instrument. Das fasziniert mich. Bei dem Solistenensemble "Kaleidoskop" kommt diese Versiertheit mit einer tollen Neugierde für Musik zusammen und einer Power in der Performance. Das hat mich überzeugt, dass wir gemeinsam gut arbeiten können und etwas Neues schaffen können.
Perkovic: Dann kommen wir mal zum Freischütz. Der Pressetext sagt, dass die Oper etwas über deutsche Leitkultur sagt, aber was denn genau?
Black Cracker: Mich persönlich hat der Charakter von Max sehr interessiert. Er ist glücklich. Es geht ihm gut. Er ist verliebt. Aber dann schlägt das System auf einmal zu: "Wir nehmen Dir etwas weg, wenn Du unseren Standards nicht genügen kannst."
Nicht jeder kann erfolgreich sein
Das hat mich persönlich stark berührt, weil es darum geht, sich in einer Gesellschaft, in einem System, ungenügend und minderwertig zu fühlen. Aber das ist nicht dein Fehler, das System ist eben nicht dafür gemacht, dass jeder zufrieden und erfolgreich sein kann.
Das hat mich auch in meiner eigenen Geschichte stark berührt und wie ich mein Land sehe. Ich komme aus den USA. Ich habe viel über Polizeigewalt zum Beispiel nachgedacht und die Ungerechtigkeiten gegenüber Persons of Color. Diese Gedanken und Assoziationen haben das Stück bei mir ausgelöst und mich förmlich in das Stück hineingezogen.
Das Spektrum erweitern
Perkovic: Sie wollten das Stück auseinandernehmen. Wie sind Sie denn bei dieser Dekonstruktion genau vorgegangen?
Black Cracker: Wir haben es auf unterschiedlichen Wegen versucht. Der erste Weg war, noch andere Künstler zu involvieren. Es war mir wichtig, dass ich als schwarzer, queerer Künstler nicht nur der Quote wegen von einer Institution benutzt werde. Nein, wir wollten den Raum eröffnen und haben andere Künstlerinnen und Künstler eingeladen, ihre Sichtweisen und Erfahrungen zu teilen und das Spektrum zu erweitern.
So hat sich ein Kollektiv gebildet, in dem verschiedene Nationalitäten, Kulturen und Perspektiven zusammenkamen. Damit haben wir gearbeitet. Es ging um die Auseinandersetzung: Wie fühlt sich ein Musiker aus dem Ensemble in einem Raum wie dem Berliner Konzerthaus, wie fühle ich mich und meine Kollegen?
Wir haben viele Wege der Kommunikation gefunden und genutzt. Durch Raum, Gesten, Sound, aber vor allem auch durch die Kamera: Wer hält die Kamera gerade, wessen Perspektive sehen wir?
Perkovic: Die Kameraarbeit ist jetzt ein starkes künstlerisches Mittel. Wie hätten Sie das denn gemacht, wenn das Stück kein Video geworden wäre, sondern auf der Bühne zu sehen gewesen wäre?
Änderungen durch Pandemie
Black Cracker: Man weiß einfach nicht, wie es ist unter Pandemie-Bedingungen so eine Produktion zu machen, bis man selbst mitten drinsteckt. Die Ursprungsidee hat sich so stark verändert, weil sich unter diesen Bedingungen alles kontinuierlich verändert hat und angepasst werden musste.
Ursprünglich wollten wir mit "Augmented Realtiy" arbeiten – also mit Filtern, zusätzlichen Brillen und so weiter, sodass man immer noch einen zusätzlichen Inhalt sehen kann. Das war auch deshalb faszinierend für mich, weil ich zum 200. Geburtstag des Berliner Konzerthauses eingeladen war.
Dort hat das Ensemble Kaleidoskop performt und wir wurden gebeten, keine Fotos oder Videos mit unseren Smartphones zu machen. Das war für mich so "200 Jahre Konzerthaus"! Soll die Reinheit des Kunstwerks bewahrt werden oder worum geht es hier?
Druck durch Corona
Das Smartphone ist so ein machtvolles Instrument für Künstler, um ihre Arbeiten international zu zeigen. Aber sie sind auch wichtig für die Videos von Polizeigewalt, die Dinge zeigen, die wir sonst nicht gesehen hätten und für die Diskussionen, die diese Videos ausgelöst haben.
Es war dann klar, dass bei der Produktion Kameras, Augemented Reality und das alles zusammengedacht wird. Letztendlich wollte ich aber auch keinen zu großen Druck auf die Künstlerinnen und Künstler ausüben. Der Stress mit Corona allein war ja auch schon belastend für sie.
Den Freischütz manipuliert
Perkovic: Wie viel Musik vom Freischütz steckt denn noch in Ihrer Produktion? Opernsänger sind nicht mehr dabei, oder?
Black Cracker: Das hat auch mit Corona zu tun. Wenn wir live performt hätten, hätten wir gerne Gesang dabei gehabt. Was man schlussendlich im Stück hört, basiert alles auf der Ouvertüre. Wir haben die zwölf Minuten der Ouvertüre genommen und sie quasi "verlängert", sodass sie über das ganze Stück von einer Stunde reicht. Wir haben die Themen genommen und sie neu arrangiert und variiert.
Klassische Musik ist so dicht und komplex, sodass ich mit Techniken aus dem Hip-Hop zum Beispiel versucht habe, die Musik herunterzubrechen und zu vereinfachen. Auf diese Weise ist die Musik zugänglicher aus einer anderen Perspektive. Ja, die Musik aus der Ouvertüre ist manipuliert, und zwar so, dass es hoffentlich interessant ist.