Konsum am Black Friday

Tagesbefehl: "Kaufen, kaufen, kaufen!"

Handtaschen in einem Geschäft.
Wer meint, sich über die Schnäppchenjäger erheben zu können, weil er einen "Kauf-nix-Tag" macht, liegt vielleicht falsch, so Timo Rieg. © imago images/Pius Koller
Ein Kommentar von Timo Rieg |
Es ist Black Friday. Elektronikmärkte und Onlinehändler überbieten sich wieder mit vermeintlichen Schnäppchen. Die Moralapostel, die diesen Kaufrausch zurecht anprangern, sollten sich aber auch an die eigene Nase fassen, meint der Publizist Timo Rieg.
In der Geschichte gab es schon manchen "schwarzen Freitag". Und es ist wieder einer, planmäßig. Der "Black Friday" ist eine billige Kopie aus Fern-West, die US-Amerikaner verdauen dann beim Shoppen die am vortägigen Thanksgiving verspeiste Pute. Kaufen, kaufen, kaufen, lautet der Tagesbefehl. "Rabattschlacht" nennen Journalisten gerne, was bei Verkäufern "Preissturz" oder groß-weit-weltlich "Sale" heißt.
Den LG 65C16LA Flat-TV mit 65 Zoll bietet Media Markt für 1499 Euro statt 2799 Euro. Saturn hat übrigens dasselbe Angebot. Den Echo-Dot-3, diese Alexa-Raumüberwachung, gibt es bei Amazon für 19,99 EUR statt 49,99 EUR. Saturn und Media-Markt haben dasselbe Black-Friday-Angebot.

Die Händler verramschen, was keiner will

Natürlich kann sich jeder denken, dass Elektronikkrämer und Versandhäuser uns ebenso wenig wie Läden in der Fußgängerzone mit dem Black Friday ein vorweihnachtliches Geschenk machen wollen. (Da wären schon die deutschen Finanzämter entschieden dagegen, die von Unternehmern keine Gemeinnützigkeit, sondern Gewinnerzielungsabsicht fordern.) Wenn "die Preise purzeln", muss sich das für die Händler lohnen. Wir kaufen dann eben mehr, es kaufen mehr Leute und die Läden verramschen, was ihnen sonst nur noch im Weg rumsteht.
Deutschland hat sich zwar im aktuellen Klimaschutz-Index von Platz 19 auf Platz 13 verbessert. Allerdings werden dabei Importe nicht berücksichtigt. Der neue 65-Zoll-Fernseher belastet unser Klimakonto nicht. Unsere Webergassen und Färberstraßen in den Altstädten sind Folklore, die Webstühle und Farbbottiche stehen in China, Indien, Bangladesch. Wer auf Youtube nach "Shein" sucht, trifft auf unzählige Mädchen und junge Frauen, die ihre Begeisterung über ein gerade eingetroffenes Paket des chinesischen Modehändlers inszenieren.

Einmal tragen und dann tschüss

Während die Zehnjährige noch ganz aufgeregt "ich bin so happy" ruft, sagt die etwas ausgebufftere Influencerin: "Ich brauch's zwar nicht, aber ich dachte, für den Preis bestellst du das mal mit." Deshalb kommen in einer Lieferung gleich vier Sonnenbrillen: "Die würde ich so normal nie tragen, aber ich dachte, für Fotos sieht das cool aus." "Fast Fashion" heißt das Zeug: Wegwerfklamotten. Einmal tragen und dann tschüss. Auf Amazon findet sich im Black-Friday-Sale eine ganze Palette unter dem Schlagwort "hässliche Weihnachtspullover".
Wer nun meint, sich über die Schnäppchenjäger erheben zu können, weil er am Freitag einen "Kauf-nix-Tag" macht, liegt vielleicht falsch. Denn auf eine Docking-Station oder drei Billig-T-Shirts mehr oder weniger kommt es kaum an. Trotz globalem Corona-Shutdowns ist 2020 die CO2-Konzentratin in der Luft weiter gestiegen. Unsere Wohnungen und Häuser sind halt nicht kleiner geworden, wir haben in der größten Notzeit seit dem Zweiten Weltkrieg eher zu- als abgenommen, der Digitalmarkt ist rasant gewachsen.

Schön an die eigene Nase fassen

Wer durch Deutschland fährt, wird nirgends mehr "unberührte Natur" sehen. Überall wird gefällt, gebaggert, gebaut, geackert – für unseren Konsum, für unseren wachsenden Lebensstandard. Neue Industriegebiete, neue Straßen, neue Häuser und immer mehr LKW, die alles miteinander verbinden. Selbst Politiker sprechen fortwährend von den großen Herausforderungen, vor denen wir stehen, was ja wohl heißt: Es läuft alles andere als rund.
"Konsumterror", "Rabattschlacht", man darf das anprangern, wenn man sich dabei an die eigene Nase fasst. Und da werden die Meinungsführer:innen eher fündig als ihre Zuhörerschaft. Unter anderem der Soziologe Hartmut Rosa weist darauf hin, dass die gebildete Oberschicht das größte ökologische Problem ist, schlicht weil sie es ist, die sich den größten Ressourcenverbrauch leisten kann.
Zum Klimawandel, dem rapiden Sinken der Biodiversität, zur Versiegelung der Landschaft, zu all dem, was absehbare und noch unabsehbare Folgen für die Menschheit haben wird, tragen weniger die Schnäppchenjäger bei als diejenigen, die dank vollen Bankkontos darauf gar nicht angewiesen sind. Die sich jeden Tag von Nippes bis Luxus alles leisten. Für die jeder Wochentag in jedem Monat Black Friday ist.

Timo Rieg ist Buchautor und Journalist. Seine zuletzt erschienen Bücher sind „Demokratie für Deutschland“ und der Tucholsky-Remake „Deutschland, Deutschland über alles“. Zum Thema „Bürgerbeteiligung per Los“ bietet Timo Rieg zudem eine Website mit Podcast an.

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