Trump als Tenor
Seit 2019 bestimmt das Thema „Black Lives Matter“ die Arbeit engagierter US-amerikanischer Komponisten. Die progressiven Opernhäuser des Landes setzen diese Werke auf den Spielplan.
Im Juli 2019 wurde die Oper "Blue" bei den Opernfestspielen in Glimmerglass in New York State uraufgeführt. Darin geht es um einen schwarzen Polizisten, dessen Sohn von seinem weißen Kollegen bei einer Demonstration erschossen wird.
Die amerikanische Oper des Jahres
Die Oper "Blue" komponierte Jeanine Tesori nach einem Libretto von Tazewell Thompson.
Sie hätte nach der Uraufführung im Sommer letzten Jahres im März 2020 auch in der Washington National Opera Premiere haben sollen, im Kennedy-Center in unmittelbarer Nähe des Weißen Hauses, musste aber wegen der Corona-Krise abgesagt werden. Die Opernaufführung in Washington hätte eine bald einsetzende erregte politische Diskussion vorweggenommen. Zwei Monate später, am 25. Mai 2020, wurde George Perry Floyd bei einer polizeilichen Festnahme in Minneapolis getötet. Der Tod von George Perry Floyd wurde zum Ausgangspunkt für eine Wiederbelebung der "Black Lives Matter"-Bewegung.
Im Juni 2020 wurde die Oper "Blue" von der "Music Critics Association of North America" mit dem Preis für die beste neue Oper ausgezeichnet. 2020 hätte "Blue" nicht nur in Washington, sondern auch in der Lyric Opera Chicago und im Lincoln Center in New York aufgeführt werden sollen. Diese Produktionen von "Blue" wurden nun auf 2021 verschoben. Im Frühjahr 2021 sind darüber hinaus Inszenierungen auch in der Oper Toledo in Ohio und in der Minnesota-Oper in Minneapolis geplant, dort also, wo George Perry Floyd getötet wurde.
"Blue", Schimpfwort für Polizisten
Für sein Libretto hatte der Librettist Tazewell Thompson mehrere afroamerikanische Polizisten interviewt, sie gefragt, wie sie sich in ihrer Rolle, in ihrem Beruf fühlen, wie sie die Widersprüche aushalten, wie sie reagieren, wenn sie als "Blue" beschimpft werden. Die ursprüngliche Idee, den Vater des erschossenen Jungen in der Oper als Jazzmusiker und nicht als Polizisten zu verkörpern, wurde bald aufgegeben.
Besonders eindrucksvoll ist das in vollkommener Ruhe endende Finale, eine Rückblende. Das letzte Abendessen der Familie. Mutter. Vater. Sohn. Der Vater bittet den Sohn, sich nicht an der Demonstration zu beteiligen. Doch der Sohn beruhigt ihn, es werde schon nichts passieren: "Nothing will happen, you could come with me" und schließlich nach einer Pause in die vollkommene Stille: "nothing".
The Central Park Five - zu Unrecht verurteilt
An einem Aprilabend des Jahres 1989 joggt die junge Investment-Bankerin Trisha Meili durch den Central Park und wird Opfer einer Vergewaltigung: Nach Mitternacht wird Trisha Meili beinahe tot aufgefunden, erst nach zwölf Tagen erwacht sie aus dem Koma. An jenem 19. April 1989 sind dort auch mehr als 30 Teenager aus Harlem unterwegs. Fünf von ihnen werden aufgegriffen und beschuldigt, die Vergewaltigung begangen zu haben.
Sie werden zu jahrelanger Haft verurteilt, obgleich sie ihre ursprünglichen Geständnisse im Prozess widerrufen. Sie sind afroamerikanischer oder lateinamerikanischer Herkunft. 13 Jahre später, 2002 gesteht ein weißer Mann, er sei damals der Täter gewesen. DNA-Spuren bestätigen sein Geständnis.
Vom Film zur Oper
Die fünf Teenager werden "The Central Park Five" genannt. Inzwischen wieder in Freiheit, bekommen sie 2014 eine hohe Entschädigung von der Stadt New York. Ein oft prämierter Dokumentarfilm von Ken Burns aus dem Jahre 2012 und nun seit 2018 auch eine Netflix-Serie "When they see us" beschreiben diesen Vorfall und den Prozess. Und schließlich auch eine Oper von Anthony Davis: "The Central Park Five", 2019 uraufgeführt an der "Long Beach Opera" in Kalifornien. Im Juni 2020 wurde diesem Werk der Pulitzer-Preis für Musik verliehen. Im Frühjahr 2021 soll die Oper – zumindest konzertant – wieder in New York, von der New York City Opera vorgestellt werden.
Mit roter Krawatte auf dem Klo
Nahe am New Yorker Central Park, in der Fifth Avenue, befindet sich der Trump-Tower. Als Immobilienunternehmer mischte sich der reale Donald Trump damals in den Konflikt um den Central Park ein. Er hetzte gegen die jugendlichen Täter aus Harlem. Für 85.000 Dollar ließ er Anzeigen in New Yorker Tageszeitungen schalten. Eine der Anzeigen, wird in Davis' Oper zur Arie.
In der Oper "The Central Park Five" von Anthony Davis tritt der junge Trump von 1989 auf, verkörpert von Thomas Segen. Eine von Trumps damaligen Zeitungsanzeigen wird in der Oper zur Arie. Seine Frisur und eine lange rote Krawatte sollen ihn charakterisieren. Und auf dem Klo twittert er nicht, sondern telefoniert.
Gefragt, welche Stimme er ihm zugeteilt habe, erklärt der Komponist Anthony Davis: "Ich wurde von einem Freund gefragt, 'In welcher Weise komponierst du für Trump?'. Trump ist natürlich ein Tenor, er wiederholt sich oft und bringt nie einen Satz zu Ende."
Dennoch ist Trump bei Davis keine humorige Kabarettfigur. So will der Komponist ihn nicht davonkommen lassen. Er stellt ihm eine allegorische Figur zur Seite: "The Mask", Polizist und Ankläger in einem.
Töten und Lieben - Leben eines Boxers
In diesem politischen Kontext wurde auch "Champion" aufgeführt, die erste afroamerikanische Oper von Terence Blanchard, Jazztrompeter, aber auch erfolgreicher Komponist von Filmmusik. Blanchard nennt "Champion" nicht "Jazzoper", sondern "Oper in Jazz". Sie basiert auf der Biografie des Boxweltmeisters Emile Griffith.
Seine Lebensgeschichte wird in vielen Spiegelungen gezeigt. Dem alten, an Alzheimer erkrankten und von Ängsten verfolgten Sportler stehen nicht nur sein Gegner um den Weltmeistertitel und sein Stiefsohn gegenüber, er taucht auch selbst als junger Mann, ja auch noch in einer dritten Rolle als Kind auf. Seine Ängste sind widersprüchlich. Griffith hatte bei einem Boxkampf seinen Gegner Benny Paret so stark verletzt, dass dieser wenige Tage später starb. Ein Schicksal, das Griffith an anderer Stelle beinahe selbst ereilte. In den 1990er-Jahren wurde er fast zu Tode geprügelt, als er eine Homosexuellen-Bar verließ. "Ich töte einen Mann, und die meisten Leute verstehen das und verzeihen mir. Und ich liebe einen Mann, und das halten sie für eine unverzeihliche Sünde."
"Black Lives Matter" erreicht die Metropolitan Opera
Wenn im Oktober 2021 die Metropolitan Opera in New York ihren Spielbetrieb wieder aufnimmt, wird die Eröffnungspremiere die zweite Oper von Terence Blanchard sein, "Fire Shut Up in My Bones." Mit dieser Eröffnung nach der langen Corona-Pause wird dann dort – erstmals in der dann 138-jährigen Geschichte des Hauses – das Werk eines afroamerikanischen Komponisten gespielt werden.
Die Uraufführung fand bereits im Juni 2019 in der Oper Saint Louis statt. Dem Libretto liegen die Jugenderinnerungen des afroamerikanischen New York Times-Journalisten Charles Blow zugrunde, eine – wie es in einer Rezension heißt – durchaus poetische Jeremiade über Aufstieg, Gefährdung und Jugend des Journalisten.