Auf der Schulbank bei Albert Einstein
Das "Black Mountain College" wurde 1933 aus Protest gegen die konservative Lehre gegründet. Die Alternativ-Uni in North Carolina war ein Anziehungspunkt für Querdenker. Das Museum Hamburger Bahnhof in Berlin erinnert an dieses interdisziplinäre Experiment.
Lernen kann man auch anders als im Schmalspurstudium an verschulten Universitäten: Schon 1933 gründeten US-amerikanische Dozenten und Studierende in North Carolina aus Protest gegen die gängigen Lehrvorgaben ein Alternativmodell: das Black Mountain College, in dem miteinander gelebt und fächerübergreifend gelernt.
Zu den Lehrern gehörten Emigranten aus Deutschland, wie der Mathematiker Max Dehn oder der Psychoanalytiker Fritz Moellenhoff, außerdem John Cage, der Maler Ben Shan, der Autor Charles Olson. Und zu den Studierenden gehörten Franz Kline, Cy Twombley, Robert Rauschenberg.
In der Ausstellung "Black Mountain - ein interdisziplinäres Experiment 1933-1957" erinnert der Hamburger Bahnhof in Berlin jetzt mit einer Fülle von historischen Manifesten, Büchern, Partituren, Fotografien sowie einigen Filmen und Bildern an die Einrichtung. Die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit unterschiedlichen Hochschulen wird dabei für musikalische und dramaturgische Einlagen sorgen.
Und das Projekt "Black Mountain Research" der Freien Universität (FU) Berlin, das über das College forscht, organisierte eine Veranstaltungsreihe zu alternativen Lehrmodellen. Die zwei FU-Teilnehmerinnen Annalena Werner und Verena Kittel besuchen die Ausstellung:
Annalena Werner: "Ich bin Annalena Werner, und ich schreibe gerade eine Doktorarbeit in Kunstwissenschaft und Theaterwissenschaft."
Verena Kittel: "Ich heiße Verena Kittel und ich studiere gerade im Master-Studium Kunstgeschichte ... und schreibe gerade an meiner Abschlussarbeit."
Black Mountain - Was zeichnet diese fortschrittliche Idee des College, weit weg von New York, von Los Angeles, von allen großen Städten, aus?
Kittel: "Ich glaube, was besonders wichtig ist: die Rolle des Experiments. ... Es geht sozusagen nicht um das Ergebnis, sondern eher um den Prozess. Um das Ausprobieren. Und auch um eine Art hierarchielose Zusammenarbeit zwischen Studenten und Professoren. Also quasi auf gleichberechtigter Ebene. Es gibt auch ganz viele Projekte oder Kunstobjekte, die in solchen Kooperationen entstanden sind, wie zum Beispiel 'Haushaltswarenschmuck' von Anni Albers und Alex Read."
Werner: "Was mich immer total interessiert hat am Black Mountain war immer dieser Akt der gemeinsamen Arbeit: ... Das Lernen, das Wissen und Kunstproduzieren auf einer Ebene der Gleichheit."
Unterricht beim Abendessen
Einer der ersten Lehrenden am College war der in die USA emigrierte Bauhaus-Künstler Josef Albers. In Black Mountain fotografierte er den Alltag auf dem Campus. Wir stehen hier gerade vor einigen seiner Bilder. Spiegelt sich da etwas von dem ja doch ganz anderen Alltag in Black Mountain?
Kittel: "Was man ganz gut erkennen kann auf der 2. Fotografie: ... Man steht an einem See, bzw. arbeitet, Feldarbeit. Und das war eben sehr typisch am Black Mountain College, dass es eben nicht nur um die theoretische Ausbildung ging, sondern dass auch sehr viel praktisch zusammengearbeitet wurde. Also es wurde Farmarbeit betrieben, man hat zusammen die ganze Infrastruktur aufgebaut, die Architektur gebaut. Und hat zusammen gelebt, gearbeitet, geschlafen aber auch gelernt."
Werner: "Das heißt: Es wurde auch beim Abendessen unterrichtet. Was aber nicht in eine Frontalunterrichtsform geendet ist, sondern im Gespräch. Es ist sehr viel über Dialog entstanden und über diese Idee, dass man Studenten als Menschen ausbilden soll, und nicht nur in ihrer Expertise. Also dass man immer versucht, einen ganzen Menschen zu unterrichten und einen ganzen Menschen zu formen, nicht im negativen Sinne, sondern ihm viel beizubringen auf allen Ebenen."
Dann gab es ab 1944 zusätzlich Sommerkurse, die hochrangig besetzt waren: Albert Einstein, Erwin Panofsky, Merce Cunningham und Willem de Kooning. Zu den Studierenden gehörten Robert Rauschenberg und Cy Twombly.
Immer wieder sieht man auf Fotografien, wie gemeinsam Konzerte gegeben werden, sieht man Programme ...
Werner: "Das sind diese alten Black Mountain Bulletins. ... Diese Bulletins waren Zeitungen, die sehr regelmäßig erschienen sind, von den Studenten und Lehrern zusammen gemacht. Das waren ... immer so kleine Mini-Kataloge. Das war eigentlich ein gedrucktes Produkt, in dem interdisziplinäres Arbeiten zusammengekommen ist. ... Wo Manifeste gedruckt wurden, wo Kunstwerke abgedruckt wurden, aber auch eben so ganz praktische Sachen abgedruckt wurden: Wer was unterrichtet."
Hierarchische Modelle wurden aufgebrochen
Wir stehen vor einer Vitrine mit Fotografien zu einer Tanzveranstaltung, daneben liegt eine Partitur.
Eine große Rolle spielte auch Darstellendes Spiel...
Werner: "Es gab zum Beispiel Theaterstücke, wie 'Medusa', und das war so einer dieser Events, der eigentlich ganz emblematisch ist für das College, weil da alle mitgemacht haben. ... Aber ich glaube, das viel spannender eigentlich das war, was nicht alles festgehalten wurde in der Schrift. Also: Wie die Gespräche gelaufen sind zwischen den ganzen Studenten und den Lehrern, die zusammen gelebt haben und sich gegenseitig inspiriert haben."
Als Sie sich zum ersten Mal Black Mountain angenähert haben, und genau auf diesen Punkt gestoßen sind: Dass es darum geht, eine eigenständige Persönlichkeit zu werden und emanzipativ zu Lernen und zu Forschen miteinander - was ist Ihnen da angesichts Ihrer Studiensituation durch den Kopf gegangen?
Kittel: "Dass der praktische Bereich ganz stark fehlt. Also ich hatte mir schon lange überlegt, .... dass es zu theoretisch ist. ... Ich studiere Kunstgeschichte. Ich glaube, dass eine praktischere Ausbildung viel sinnvoller wäre. Zum einen auch in Richtung, dass man sich selber ausprobiert, sich selber der praktischen Kunst nähert. Zum anderen aber auch, dass man viel stärker mit Künstlern in Kontakt tritt, dass man nicht im Elfenbeinturm verschwindet."
Werner: "Ich glaube, dass persönliche Meinungen wahnsinnig wichtig sind. Und das man Meinungen von jedem Ernst nehmen muss. Von jedem Studenten, dass man wirklich versuchen muss aus diesen alten hierarchischen Modellen auszubrechen. Und das nehme ich ganz stark aus diesem Projekt mit. ... Dass es Gespräche braucht, und dass die Meinung von einem Studenten im Anfangssemester genau so relevant ist, wie die eines Professors."