Blai Bonet: "Das Meer". Roman
Aus dem Katalanischen von Frank Henseleit
Kupido, Köln 2021
248 Seiten, 27,80 Euro
Trauma-Gespräche im Sanatorium
05:56 Minuten
Mehrere Jugendliche befinden sich in einem Sanatorium für todkranke TBC-Patienten. Als Kinder hatten sie den spanischen Bürgerkrieg erlebt. Seltsam ungerührt räsonieren sie über die Schrecken des Krieges und die bloße Existenz.
Eine Gruppe junger Leute in einem Lungensanatorium 1942 auf Mallorca, im Mittelpunkt stehen die Freunde Manuel Tur und Andreu Ramallo. Ihre Freundin aus Kindertagen Francisca ist Nonne und Krankenpflegerin geworden. Die Tuberkulose fordert ihre Opfer. Die Patienten stehen an der Schwelle zum Erwachsensein und haben in ihrer Kindheit schon Schreckliches erlebt. Der Spanische Bürgerkrieg ist erst ein paar Jahre her. Was geht in ihnen vor?
Blai Bonets Roman "Das Meer" nachzuerzählen ist kaum möglich. Im Grunde gibt es nur ein wirkliches Ereignis im Buch, erzählt von Manuel. Mit seinem Freund Pau wird er 1936 Zeuge, wie einige Männer des Ortes, darunter Paus Vater, von Franco-Anhängern erschossen werden. Pau rächt sich, indem er den Sohn eines der Franquisten erdolcht. Auf der Flucht stürzt er in einen Brunnen und stirbt.
Die Zeit steht still
Seitdem geschieht eigentlich nichts mehr. Die Zeit steht still. Alle Gespräche gründen auf diesem Ereignis, das sechs Jahre zurückliegt. Da muss der Satz "Das Sanatorium ist der Gegenentwurf zur Eintönigkeit" zunächst überraschen. Aber damit sind keine Abenteuer, keine irgendwie spannenden Ereignisse gemeint, die in der Vorstellung der Figuren vielleicht wirklich "eintönig" wären. Der Gegenentwurf – das sind die endlosen manischen Monologe und Gespräche, die Gedanken und Reflexionen über Gott und seinen Sohn, den Erlöser der Menschen; das sind die heimlichen und offenen Sehnsüchte, ob homoerotisch oder nicht, das Ergründen des eigenen und fremden Körpers; das ist das Erlangen bewussten Seins im körperlichen Schmerz und im Gebet, das für einen besessen Glaubenden wie Manuel wie eine Droge wirken kann.
Tuberkulose als Ergebnis des Bürgerkrieges
Natürlich denkt man auch an Thomas Manns Hauptwerk "Der Zauberberg", in dem der Held Hans Castorp seine leerlaufende Zeit in einem Lungensanatorium zubringt. Da allerdings steht der Krieg noch bevor, fast als Verheißung, während er hier hinter den Personen liegt, als Trauma. Die Tuberkulose, der Bluthusten wird als unmittelbares Ergebnis der Bürgerkriegs gedeutet.
Die Grausamkeiten im Miteinander der Personen werden trotz der schwergewichtigen, bilderreichen Sprache beinahe ungerührt geschildert, was eine Art Distanz hervorruft (was den Roman auch von verwandten Texten wie Pierre Guyotats Algerien-Romanen mit ihren schockierenden Abscheulichkeiten unterscheidet). Bonets Sprache ist nicht überladen, aber konzis ist sie auch nicht.
Schwere, aber faszinierende Lektüre
Die Übersetzung des ebenso aufwühlenden wie aufreibenden Romans funktioniert als Ganzes gut, sie fängt die Atmosphäre, die Verfassung der Personen, ihr inneres Ringen, den Blut-und-Erde-Stil des Autors ein; die zahlreichen unbegreiflichen Stellen müssen in Bonets Denken gründen, das nicht allen zugänglich sein dürfte. Eine schwere, aber faszinierende Lektüre, weil Blai Bonet eine innere Verfassung ergründen will, keine äußere Situation.