Das Elend als Schlüssel zu Gott
Blaise Pascal (1623-1662) war Mathematiker und Physiker. Nach seinen wichtigsten mathematischen Arbeiten wandte sich der Franzose der Religion zu. Pascals Fragmente "Pensées" enthalten Gedanken über das Verhältnis zwischen Gott und Mensch und stellen das Leiden ins Zentrum.
Pascal schreibt in seinen "Pensées", die Seinslage des Menschen sei Unbeständigkeit, Langeweile und Unruhe.
"Eine Kleinigkeit tröstet uns, weil eine Kleinigkeit uns betrübt."
Der Langeweile entkommen könne man nicht mit der Suche nach Sensationen oder erotischen Abenteuern. Man sucht die Ruhe, schreibt Pascal, aber wenn man Sorgen hat, wird die Ruhe unerträglich und man ist meist bekümmert, ohne einen triftigen Grund dafür zu haben.
"Der Mensch ist ein denkendes Schilfrohr"
Nicht das immer wieder Sich-Beschäftigen mit Sorgen würde die Ruhe bringen, sondern eine Arbeit, die sich öffnet für Erkenntnisse jenseits eingeübter, immer wiederkehrender Gedanken. Für Wilhelm Schmidt-Biggemann, Professor für Philosophie an der Freien Universität Berlin, ist Pascal in erster Linie ein Gottsucher.
"Alles, was von dieser Gottsuche abhält ist sündhaft. Und man kann diesen Sündenbegriff bei Pascal kaum überschätzen. Das ist der Grund, weshalb er mit einer solchen Intensität die Frage nach der Nachfolge Christi gestellt hat und immer wieder betont hat, dass weder die Philosophie noch die Mathematik gegen diese religiöse Sinngebung des Lebens etwas vermögen."
Für Pascal ist der Mensch etwas äußerst Zerbrechliches, Instabiles. Er sagt, der Mensch sei "nur ein Schilfrohr, aber ein Schilfrohr, das denkt". Doch alles Denken würde letztlich auch keinen Halt und keine Sicherheit bringen, weil der Mensch in seinem "natürlichen Elend" gefangen sei. Und das heißt, dass er krank wird, schwach und sterblich ist.
"Und der Mensch kann aus seinem Elend nur durch die Gnade Gottes gerettet werden, nicht durch eigenes Verdienst und eigene Handlungen. Das ist sein Credo. Und das hat er gegen den gesamten Zusammenhang der kirchlichen Dogmatik durchsetzen wollen."
Zitat:
"Die Größe des Menschen ist groß, weil er sich als elend erkennt. Ein Baum weiß nichts von seinem Elend. Also: Elend ist nur, wer sich als elend erkennt, aber nur das ist Größe, zu wissen, dass man elend ist."
Durch das menschliche Leiden Gottes Größe erfahren
Zwischen Elend und Größe spielt sich das Menschsein nach Pascal ab. Eine Auflösung dieses Zustandes könne nur Gott herbeiführen. Für den französischen Denker ist der Gott der Christen nicht jemand, der die Ordnung der Welt bewirkt und wie eine kalkulierbare Rechenmaschine funktioniert. Wichtiger war ihm die Versöhnung des Menschen mit Gott – sie sah er in Christus verwirklicht, der als Erlöser die menschliche und die göttliche Natur in sich vereine.
"Wenn also Gott Mensch geworden ist und sich dem Leiden unterworfen hat, dann ist das die Form der Erniedrigung Gottes, die das Leid heiligt."
Durch das Leiden, davon spricht Pascal immer wieder, wird dem Menschen die Größe Gottes offenbar. Und das könne den Menschen dazu führen, sich zum christlichen Glauben zu bekehren.
"Diese Bekehrung ist die Bedingung für die höchste Erhöhung in der Gnade Gottes. Es ist kein eigenes Verdienst, sondern es ist allein die Gnade Gottes, die selig macht."
Wenn man die "Pensées" heute liest, muss man diese radikale Gnaden-Theologie nicht akzeptieren. Doch es lohnt sich, mit Pascal über die Grundfragen der Theologie und Anthropologie nachzudenken.
Goethe meint: Pascal schadet Moralität und Religion
Wie ist die Ausgangslage des Menschen, wie kann er sie verbessern? Wie kann er wieder heil sein oder geheilt werden? Pascals Gedanken trafen nicht immer auf Zustimmung; Goethe beispielsweise urteilte harsch:
"Voltaire, Helvetius, Rousseau haben der Moralität und der Religion lange nicht so viel geschadet als der strenge, kranke Pascal und seine Schule."
Doch der "strenge" Pascal war auch zur Ekstase fähig, zumindest bei seinem religiösen Erweckungserlebnis am 23. November 1654. Er notierte dazu einige Zeilen auf Pergament und nähte es in das Futter seines Mantels ein, um die Aufzeichnung stets bei sich zu haben. Sie beginnt mit den Worten:
"Jahr der Gnade 1654. Gerechter Vater, die Welt kennt dich nicht; ich aber kenne dich. Freude, Freude, Freude und Tränen der Freude."