Gerd Schwerhoff: Verfluchte Götter. Die Geschichte der Blasphemie
Verlag S. Fischer, Frankfurt / Main 2021
528 Seiten, 29 Euro
Die Macht der Schmähung
08:26 Minuten
Das Phänomen Blasphemie ist auch im 21. Jahrhundert noch immer "überraschend lebendig", sagt der Historiker Gerd Schwerhoff. Das gelte nicht nur für den Islam, auch in der christlichen Kultur habe Gotteslästerung nach wie vor "Aufregerpotenzial".
Wer hätte vor wenigen Jahrzehnten gedacht, dass es im 21. Jahrhundert Menschen geben würde, die zu Hunderttausenden auf der Straße protestieren, Fahnen verbrennen oder gar bereit sind, bei Attentaten oder in heiligen Kriegen zu töten, weil ihrem Empfinden zufolge ihre Religion, ihr Gott beleidigt wurde?
Blasphemie sei "überraschend lebendig", konstatiert der Historiker Gerd Schwerhoff: "Denken Sie an die Attentate rund um Charlie Hebdo oder an die Mohammed-Karikaturen und die weltweite Mobilisierung dagegen", so der Professor für die Geschichte der Frühen Neuzeit an der TU Dresden.
"Selbst innerhalb der christlichen Kultur hat Blasphemie immer noch ein gewisses Aufregerpotenzial", konstatiert Schwerhoff. In seinem neuen Buch "Verfluchte Götter" zeichnet er die Geschichte der Blasphemie nach und zeigt die Gründe dafür auf, warum Gotteslästerung gestern wie heute die Gemüter erregt.
Eine entscheidende Ursache sieht er im Monotheismus mit seinem – zugespitzt ausgedrückt – "Wahrheitsfanatismus": "Das liegt an der unbedingten Treueverpflichtung, die der alttestamentliche Gott seinem Volk Israel und in der Folge auch den christlichen und muslimischen Gemeinschaften auferlegt. Diese führt dazu, dass alle anderen und alles andere Heilige nicht mehr akzeptiert werden kann."
Nicht nur Instrument zur Herrschaftssicherung
Komplementär geselle sich zur Schmähung der anderen Religion dann die "Empfindlichkeit gegenüber der Schmähung des eigenen Heiligen, des eigenen Gottes" hinzu. Heute trete Blasphemie beziehungsweise sein Verbot oft im Kontext von Herrschaftssicherung auf, etwa in Ländern, in denen der Islam Staatsreligion sei, sagt Schwerhoff.
Der Geschichtswissenschaftler warnt zugleich aber davor, das Phänomen nur als von oben gesteuert zu begreifen: "Es mobilisiert immer tief sitzende Gefühle von religiösen Gemeinschaften."
(uko)