Andrej Kurkow: „Samson und Nadjeschda“
Diogenes Verlag, Zürich 2022, 368 Seiten, 24 Euro
Andrej Kurkow: "Tagebuch eine Invasion“
Haymon Verlag, Innsbruck 2022, 352 Seiten, 19,90 Euro
Ukrainischer Autor Andrej Kurkow
Alles derzeitige Geschehen in der Ukraine müsse aufgeschrieben werden, sagt der Autor Andrej Kurkow. "Auch als Beweise für die Kriegsverbrechen Russlands.“ © picture alliance / Panama Pictures / Christoph Hardt
Freiheit ist wichtiger als Stabilität
27:44 Minuten
Er gehört zu den bekanntesten Autoren der Ukraine. Viele seiner Bücher waren auch hierzulande Bestseller. Nun hat Andrej Kurkow gleich zwei neue Veröffentlichungen: den historischen Krimi „Samson und Nadjeschda“ und das „Tagebuch einer Invasion“.
Momentan spiele die ukrainische Literatur im Ausland eine größere Rolle als zu Hause, sagt Kurkow: In den ersten Monaten des Krieges erschienen kaum neue Bücher in der Ukraine, einige Druckereien und Bibliotheken seien zerstört worden.
Europäer wissen wenig über die Ukraine
„Die Schriftsteller schreiben weiter“, sagt er, „aber weniger Romane, hauptsächlich dokumentarische Texte, Tagebücher.“ Für literarisches Schreiben habe kaum jemand Zeit und Energie.
Die Präsentation ukrainischer Literatur auf der Messe sei unglaublich wichtig, betont Kurkow. Denn viele Europäer wüssten nicht viel über die Ukraine. Die klassische ukrainische Literatur sei nicht ins Deutsche übersetzt. Oft sei die ukrainische Literatur nur im Kontext der russischen gelesen worden. Es sei bitter, dass es einen Krieg brauchte, damit überhaupt Bücher aus der Ukraine in größerem Umfang übersetzt werden, so der Autor.
Freiheit wichtiger als Stabilität
Der historische Krimi „Samson und „Nadjeschda“ ist der Auftakt einer Trilogie. Der Roman spielt 1919 in Kiew. 1919 sei eine ganz besondere Zeit, zwei Jahre nach der Oktoberrevolution, nach dem Ende der Zarenzeit. Es sei eine sehr brutale und anarchistische Zeit in der Ukraine gewesen.
Kurkow erzählt, dass er zufällig an den Stoff für seinen Roman gekommen sei. Eine Leserin habe ihn angerufen und gesagt, sie sei in Besitz von Originalakten der Geheimpolizei aus der Zeit um 1919 und wolle sie ihm überreichen. Diese Akten zeigten viele Alltagesdetails aus dieser Zeit, in der die Kommunisten versuchten, die Ukraine in eine sowjetische Republik umzuwandeln.
Für seine ukrainischen Landsleute sei Freiheit wichtiger als Stabilität. Die Ukrainer hätten eine ganz andere Mentalität als die Russen, betont Kurkow.
Die Lächerlichkeit der Gesetze
Der historische Roman „Samson und Nadjeschda“ entführt in eine ferne Zeit und hat durch den heutigen Krieg ungeahnte Aktualität erlangt. Im Roman geht es erst einmal um Samson, der seinen Vater verliert. Der Vater wird vor seinen Augen von einem Rotarmisten erschlagen. Samson verliert außerdem ein Ohr. Der Arzt kann ihm leider nicht helfen, er verpackt das Ohr in Watte, steckt es in eine Schachtel und gibt Samson diese Schachtel mit. Samson kann weiterhin mit diesem Ohr hören. „Ich habe sehr viele medizinische Fantasien in meinen Romanen“, erklärt Kurkow. Seine Mutter war Ärztin. Kurkow ist in einem Haus mit vielen medizinischen Büchern und Illustrationen aufgewachsen. Das inspiriere ihn noch heute.
Der Roman erzählt von schrecklichen Zuständen. Samson kommt zurück in die elterliche Wohnung, ist dort erst einmal alleine. Dann werden zwei Rotarmisten einquartiert, gegen seinen Willen. Erzählt wird auch von der Zerstörung der bürgerlichen Ordnung und wie die Bolschewiki nach und nach Gesetze erlassen haben. Der Text hat einen bitteren, aber auch einen melancholischen und heiteren Ton. „Diese sowjetischen Gesetze waren einfach lächerlich. Zum Beispiel wurde verordnet, dass jede Familie Unterwäsche an die Rotarmisten abgeben musste. Denn die hatten keine Unterwäsche und es war kalt. „Das Ganze hat für mich etwas Dramatisches, aber auch etwas Lustiges“, erklärt Kurkow.
Tagebuch als Genre der Zeit
Der zweite Titel, den Kurkow auf der Messe präsentieren konnte, ist das „Tagebuch einer Invasion“. In diesem Tagebuch sind auch Essays enthalten, die er für englischsprachige Medien wie die „Financial Times“ geschrieben hat.
„Wichtig ist“, sagt Kurkow, „alles zu sammeln, was passiert. Die ganzen Geschichten aufzuschreiben. Es gibt Tausende schreckliche Geschichten zurzeit in der Ukraine. Die müssen bleiben, auch als Beweise für die Kriegsverbrechen Russlands“.
(uck)