"Bleib gezunt mir Kroke"
Mordechaj Gebirtig war ein jiddisch-sprachiger Volksdichter. Viele seiner Lieder sind erhalten, aber nur wenige Krakauer kennen ihn. Gebirtig wurde in Podgorze am 4.Juni 1942, dem "blutigen Donnerstag", erschossen.
Kazimierz - das alte jüdische Viertel Krakaus: Vor allem im Sommer wimmelt es hier von Touristen. Etwas abseits liegt die Berka Joselewicza. Hier tragen viele Häuser noch die graudüstere Patina der realsozialistischen Jahrzehnte, auch die Nummer fünf.
"Wir stehen vor dem Haus, wo Mordechaj Gebirtig gewohnt hat. An der Fassade sehen wir eine Gedenktafel mit einem Fachrelief von Mordechaj Gebirtig und mit einem Titel von einem Gedicht, das er hier geschrieben hat, 1940: 'Blayb gezunt mir Kroke'. Und ich zeige ihnen, wo die Wohnung im Hinterhof gewesen ist. Kommen Sie bitte rein."
Auf Spurensuche mit Artur Grzybowski, seit zehn Jahren Stadtführer in Krakau: Er selbst ist ein Verehrer des Volksdichters und Sängers Gebirtig, den heute nur noch so wenige kennen.
"S´brent, briderlech, s´brent ( ... ) undser Schtetl brent"
"Es brennt, Brüder, es brennt - unser Städtchen brennt” ist das bekannteste Lied Gebirtigs. Jüdische Widerstandskämpfer in den Wäldern Polens und in den Ghettos machten es im Zweiten Weltkrieg zu ihrer Hymne - da war Mordechaj Gebirtig schon tot. Erschossen in Krakau am 4. Juni 1942 von einem Deutschen.
Im Hinterhof der Berka Joselewicza 5 flattert Wäsche auf der Leine, mittendrin ein Baum mit vier Vogelhäusern. Im ersten Stock, in Wohnung Nr. 12, hat Gebirtig gelebt - zusammen mit seiner Frau Blumke und den drei Töchtern, Chawa, Schifra und Lea. Durch die Fensterscheibe ist zu sehen, dass die Wohnung leer steht.
"Ah ja, interessant, da wohnt niemand mehr. Und hier war die Küche und hier ein kleines Zimmer und hier gibt's Zettel mit einem Stempel von ... die Wohnung ist geschlossen. Das ist Entscheidung von einem Gericht hier in Krakau. Das ist vom Gerichtsvollzieher geschlossen worden."
90 Lieder hat Gebirtig der Nachwelt hinterlassen. Geschrieben hat er sie auf Jiddisch, seine Muttersprache und die Sprache des Viertels Kazimierz. Anfangs komponierte er sozusagen nur für den "Hausgebrauch": Liebeslieder für seine Frau Blumke und Wiegenlieder für die Töchter - zum Beispiel "Jankele":
Gebirtig war eigentlich Tischler. Er arbeitete in der Werkstatt seines älteren Bruders Leon, reparierte alte Stühle oder brachte kaputte Sofas wieder in Schuss. Artur Grzybowski hat das Haus in der Ulica Starowislna, der Altweichsel-Straße gefunden:
"Und hier eben sehen Sie einen Secondhand-Laden - bis vor ein paar Jahren soll hier noch ein Laden mit gebrauchten Möbeln gewesen sein - so wie der Laden vom älteren Bruder von Mordechaj Gebirtig, von Leon, in dem Mordechaj gearbeitet hat, in diesem Möbelladen."
Oft besuchten ihn die Kinder aus der Nachbarschaft in der Werkstatt, erzählten ihm die Neuigkeiten und lauschten Liedern wie "Huljet, huljet, kinderlech" - Tanzt, Kinderchen, seid fröhlich. Versäumt keinen Augenblick. Denn vom Frühling bis zum Winter ist es nur ein Katzensprung.
Als Kind kleiner Kaufleute wurde Mordechaj Gebirtig am 4. Juli 1877 in Krakau geboren. Die Stadt war damals österreichisch, gehörte zur k.u.k.-Monarchie. Mit drei Jahren kam der kleine "Mordche" in den Cheder, in die jüdische Elementarschule. Früh interessierte er sich für alles Geschriebene, für Literatur - er selbst aber veröffentlichte seine ersten Texte erst mit Ende zwanzig. Przemek Piekarski, Dozent für Judaistik an der Krakauer Universität und einer der führenden Gebirtig-Experten in Polen, beschreibt ihn als sehr gutmütigen Menschen, der nicht wirklich an seine musische Begabung glaubte.
"Ein sehr sehr bescheidener Mensch. Und er war sehr schüchtern, wahrscheinlich auch in dem Bewusstsein, nicht besonders gebildet zu sein. Er war ein einfacher Mann, trotzdem sehr offen. Und er war nicht besonders religiös, schon gar nicht orthodox."
"Tagsüber hobelt er an Möbeln, und abends am jiddischen Lied", sagten Nachbarn über Gebirtig, den Autodidakten. Noten konnte er weder lesen noch schreiben. Das übernahmen seine Freunde Julius Hofman und Baruch Sperber, der eine Kapellmeister, der andere Kantor der Reformgemeinde in Kazimierz. In der dazugehörigen "Tempelsynagoge" betete auch Gebirtig. Was er dort und anderswo beobachtete, floss in seine Gedichte und Lieder.
"Sie können die Spuren verfolgen der Figuren aus seinen Liedern. Alles lebendig. Einer unserer Landsleute, Rafael Scharf, hat sich an die Plätze erinnert und zu verstehen gegeben, dass er der junge Mann aus dem Lied 'Reizele' gewesen ist, der sich mit der Tochter des Dichters treffen wollte. Also, irgendwie fühlt man hier noch die Melodien seiner Lieder."
Mit der Zeit wurden seine Lieder politischer, gesellschaftskritischer - als "singer fun nojt" verstand sich Gebirtig: als "Sänger der Not". Zugleich engagierte er sich im "Bund", der sozialistischen Partei und Gewerkschaft der Juden, schrieb Texte für die Wochenzeitung "Sotsialdemokrat". Seine Lieder drehten sich immer häufiger um das Schicksal von Waisenkindern, Arbeitslosen, Kriegsversehrten, Prostituierten.
Poetische Texte, eingängige Melodien - die Lieder verbreiteten sich schnell in Kazimierz und darüber hinaus, aber nur wenige wussten, von wem sie stammten - zum Beispiel "Avremel der marwicher", eine Ballade über einen Taschendieb, den "der Schmutz der Gasse" erzog und der nur den Reichen, "den Magnaten" in die Tasche greift.
In der Ballade ist von einer "finsteren Gasse" die Rede. Sie findet man heute nahe des alten Friedhofs -"Ulica Ciemna", heißt sie - übersetzt: dunkle oder finstere Gasse.
Ganz in der Nähe: eine Gruppe junger Chassidim, im schwarzen Kaftan, mit Schläfenlocken und schwarzen Hüten, kaum einer mag älter als 20 sein, sie kommen aus Antwerpen und London.
Jiddisch ist auch ihre Sprache. Aber von Mordechaj Gebirtig haben sie nie etwas gehört. Wie die meisten Touristen in Krakau. Sie wollen die Synagogen sehen, das Grab des berühmten Rabbi Moses Isserles besuchen, genannt "Remu", oder auf den Spuren von Oskar Schindler wandeln - wie Sara aus Gibraltar:
"Ich glaube, es ist wichtig, dass man diese Gerechten unter den Völkern wie Oskar Schindler ehrt. Es ist unglaublich, dass in dieser Zeit des Holocaust und der Konzentrationslager Menschen existierten, die wirklich ein wenig Humanität gerettet haben."
Oskar Schindler, der Unternehmer, der das Leben von mehr als 1.000 Juden rettete, hatte seine Emaille-Fabrik am anderen Ufer der Weichsel im Stadtteil Podgorze, direkt neben dem Ghetto, errichtet im März 1941. Mehr als 15.000 Menschen lebten dort zusammengepfercht in 320 Häusern.
"Das sind die letzten Spuren vom Ghetto. Das ist der zweite Teil von der Ghetto-Mauer, der zweite übrig gebliebene Rest von der Mauer. Errichtet im April 1941. Die Mauer oben hat so halbrunde Form. Aber das war von Anfang an, von April '41 ein eindeutiger Hinweis' wie sich das Schicksal der hinter dieser Mauer eingesperrten Juden entwickeln soll."
Mordechaj Gebirtig hätte nach Amerika auswandern können. Freunde hatten ihm Affidavit besorgt, doch Gebirtig lehnte ab: "Schickt einen Jüngeren. Einen alten Baum verpflanzt man nicht."
Im Frühjahr 1942 musste auch Mordechaj Gebirtig mit seiner Familie ins Ghetto. Bis dahin waren sie in einem Dorf in der Nähe bei einem Bauern untergekommen. Im Ghetto schrieb Gebirtig, inzwischen 65 Jahre alt und halb verhungert, seine letzten Texte, darunter "Undser friling":
"Es ackert der Henker mit seinem blutigen Schwert, ein großes Massengrab, ... die Erde."
Eine Schulklasse auf dem ehemaligen so genannten "Umschlagplatz" des Ghettos. Dort erinnert ein ungewöhnliches Denkmal an die Ermordeten: 64 graue, überdimensionierte Stühle. Ein Sinnbild für die Leere, die durch den Holocaust entstanden ist. Vor dem Zweiten Weltkrieg lebten in Krakau 65.000 Juden, heute sind es knapp 200.
Auf dem so genannten Umschlagplatz hat sich eine Menschentraube gebildet - um zwei israelische Soldaten, die musizieren. Auch dieses Lied ist auf jiddisch, aber Mordechaj Gebirtig kennen die beiden Musiker in Uniform nicht.
Der Tischler und Poet aus Krakau wurde ganz in der Nähe am 4. Juni 1942 erschossen. An diesem "blutigen Donnerstag" hatte die SS tausende Juden in Podgorcze zusammengetrieben, um sie nach Belzec zu deportieren. 130 Menschen erschossen SS-Leute allein an diesem Tag im Ghetto - noch bevor der Deportationszug abfuhr.
Im Schindler-Museum ist auch das dokumentiert - "Krakau und die Zeit der Okkupation" ist das Thema der Dauer-Ausstellung: Der Besucher wird auf eine Zeitreise geschickt mit Hilfe von Videos und Soundcollagen. Auf Mordechaj Gebirtig stößt er dabei nicht. "Warum ist dieser Künstler in seiner Heimatstadt so unbekannt?" frage ich Marek Friczstatsky, auch er ein erfahrener Stadtführer:
"Ich glaube, die Geschichte und die jüdische Kultur sind nicht so richtig populär. Die Juden sind nicht mehr da, dieses künstliche Beleben des jüdischen Lebens in Krakau interessiert wenige, und das war nicht ihre Sprache, nicht ihr Dichter, nicht ihr Mann sozusagen. Also, deshalb wissen sie auch wenig darüber."
Texte und Noten Gebirtigs überdauerten den Krieg, versteckt in einem Krakauer Kohlenkeller.
Der Szeroka-Platz in Kazimierz, heute: Es wirkt wie eine Art Schaufenster jüdischen Lebens - so wie es mal gewesen sein könnte. Hier kann man bei "Chajm Kohen" Souvenirs kaufen, im "Rubinstein" Kaffee trinken oder sich stärken im Restaurant "Klezmer-Hojs" - zu Lebzeiten Gebirtigs das Badehaus, die "Mikwe".
Jeden Abend Live-Musik - zu gefilte Fisch oder "Purim"-Hähnchen oder Gulasch auf galizisch.
Auf dem Szeroka-Platz, vor dem "Klezmer-Hojs" beginnt auch dieses Jahr wieder Ende Juni das Festival der Jüdischen Kultur, mit vielen Konzerten, und wohl auch mit manchem Lied von Mordechaj Gebirtig, dem "letzten jiddischen Barden", wie ihn Przemek Piekarski nennt:
"Seine Lieder sind erhalten geblieben im Gedächtnis der Juden in aller Welt. Er hat kein Grab hier in Krakau. Vielleicht braucht er aber auch gar kein Grab, weil er immer noch lebendig ist."
"Ich hob dich lib"
"Wir stehen vor dem Haus, wo Mordechaj Gebirtig gewohnt hat. An der Fassade sehen wir eine Gedenktafel mit einem Fachrelief von Mordechaj Gebirtig und mit einem Titel von einem Gedicht, das er hier geschrieben hat, 1940: 'Blayb gezunt mir Kroke'. Und ich zeige ihnen, wo die Wohnung im Hinterhof gewesen ist. Kommen Sie bitte rein."
Auf Spurensuche mit Artur Grzybowski, seit zehn Jahren Stadtführer in Krakau: Er selbst ist ein Verehrer des Volksdichters und Sängers Gebirtig, den heute nur noch so wenige kennen.
"S´brent, briderlech, s´brent ( ... ) undser Schtetl brent"
"Es brennt, Brüder, es brennt - unser Städtchen brennt” ist das bekannteste Lied Gebirtigs. Jüdische Widerstandskämpfer in den Wäldern Polens und in den Ghettos machten es im Zweiten Weltkrieg zu ihrer Hymne - da war Mordechaj Gebirtig schon tot. Erschossen in Krakau am 4. Juni 1942 von einem Deutschen.
Im Hinterhof der Berka Joselewicza 5 flattert Wäsche auf der Leine, mittendrin ein Baum mit vier Vogelhäusern. Im ersten Stock, in Wohnung Nr. 12, hat Gebirtig gelebt - zusammen mit seiner Frau Blumke und den drei Töchtern, Chawa, Schifra und Lea. Durch die Fensterscheibe ist zu sehen, dass die Wohnung leer steht.
"Ah ja, interessant, da wohnt niemand mehr. Und hier war die Küche und hier ein kleines Zimmer und hier gibt's Zettel mit einem Stempel von ... die Wohnung ist geschlossen. Das ist Entscheidung von einem Gericht hier in Krakau. Das ist vom Gerichtsvollzieher geschlossen worden."
90 Lieder hat Gebirtig der Nachwelt hinterlassen. Geschrieben hat er sie auf Jiddisch, seine Muttersprache und die Sprache des Viertels Kazimierz. Anfangs komponierte er sozusagen nur für den "Hausgebrauch": Liebeslieder für seine Frau Blumke und Wiegenlieder für die Töchter - zum Beispiel "Jankele":
Gebirtig war eigentlich Tischler. Er arbeitete in der Werkstatt seines älteren Bruders Leon, reparierte alte Stühle oder brachte kaputte Sofas wieder in Schuss. Artur Grzybowski hat das Haus in der Ulica Starowislna, der Altweichsel-Straße gefunden:
"Und hier eben sehen Sie einen Secondhand-Laden - bis vor ein paar Jahren soll hier noch ein Laden mit gebrauchten Möbeln gewesen sein - so wie der Laden vom älteren Bruder von Mordechaj Gebirtig, von Leon, in dem Mordechaj gearbeitet hat, in diesem Möbelladen."
Oft besuchten ihn die Kinder aus der Nachbarschaft in der Werkstatt, erzählten ihm die Neuigkeiten und lauschten Liedern wie "Huljet, huljet, kinderlech" - Tanzt, Kinderchen, seid fröhlich. Versäumt keinen Augenblick. Denn vom Frühling bis zum Winter ist es nur ein Katzensprung.
Als Kind kleiner Kaufleute wurde Mordechaj Gebirtig am 4. Juli 1877 in Krakau geboren. Die Stadt war damals österreichisch, gehörte zur k.u.k.-Monarchie. Mit drei Jahren kam der kleine "Mordche" in den Cheder, in die jüdische Elementarschule. Früh interessierte er sich für alles Geschriebene, für Literatur - er selbst aber veröffentlichte seine ersten Texte erst mit Ende zwanzig. Przemek Piekarski, Dozent für Judaistik an der Krakauer Universität und einer der führenden Gebirtig-Experten in Polen, beschreibt ihn als sehr gutmütigen Menschen, der nicht wirklich an seine musische Begabung glaubte.
"Ein sehr sehr bescheidener Mensch. Und er war sehr schüchtern, wahrscheinlich auch in dem Bewusstsein, nicht besonders gebildet zu sein. Er war ein einfacher Mann, trotzdem sehr offen. Und er war nicht besonders religiös, schon gar nicht orthodox."
"Tagsüber hobelt er an Möbeln, und abends am jiddischen Lied", sagten Nachbarn über Gebirtig, den Autodidakten. Noten konnte er weder lesen noch schreiben. Das übernahmen seine Freunde Julius Hofman und Baruch Sperber, der eine Kapellmeister, der andere Kantor der Reformgemeinde in Kazimierz. In der dazugehörigen "Tempelsynagoge" betete auch Gebirtig. Was er dort und anderswo beobachtete, floss in seine Gedichte und Lieder.
"Sie können die Spuren verfolgen der Figuren aus seinen Liedern. Alles lebendig. Einer unserer Landsleute, Rafael Scharf, hat sich an die Plätze erinnert und zu verstehen gegeben, dass er der junge Mann aus dem Lied 'Reizele' gewesen ist, der sich mit der Tochter des Dichters treffen wollte. Also, irgendwie fühlt man hier noch die Melodien seiner Lieder."
Mit der Zeit wurden seine Lieder politischer, gesellschaftskritischer - als "singer fun nojt" verstand sich Gebirtig: als "Sänger der Not". Zugleich engagierte er sich im "Bund", der sozialistischen Partei und Gewerkschaft der Juden, schrieb Texte für die Wochenzeitung "Sotsialdemokrat". Seine Lieder drehten sich immer häufiger um das Schicksal von Waisenkindern, Arbeitslosen, Kriegsversehrten, Prostituierten.
Poetische Texte, eingängige Melodien - die Lieder verbreiteten sich schnell in Kazimierz und darüber hinaus, aber nur wenige wussten, von wem sie stammten - zum Beispiel "Avremel der marwicher", eine Ballade über einen Taschendieb, den "der Schmutz der Gasse" erzog und der nur den Reichen, "den Magnaten" in die Tasche greift.
In der Ballade ist von einer "finsteren Gasse" die Rede. Sie findet man heute nahe des alten Friedhofs -"Ulica Ciemna", heißt sie - übersetzt: dunkle oder finstere Gasse.
Ganz in der Nähe: eine Gruppe junger Chassidim, im schwarzen Kaftan, mit Schläfenlocken und schwarzen Hüten, kaum einer mag älter als 20 sein, sie kommen aus Antwerpen und London.
Jiddisch ist auch ihre Sprache. Aber von Mordechaj Gebirtig haben sie nie etwas gehört. Wie die meisten Touristen in Krakau. Sie wollen die Synagogen sehen, das Grab des berühmten Rabbi Moses Isserles besuchen, genannt "Remu", oder auf den Spuren von Oskar Schindler wandeln - wie Sara aus Gibraltar:
"Ich glaube, es ist wichtig, dass man diese Gerechten unter den Völkern wie Oskar Schindler ehrt. Es ist unglaublich, dass in dieser Zeit des Holocaust und der Konzentrationslager Menschen existierten, die wirklich ein wenig Humanität gerettet haben."
Oskar Schindler, der Unternehmer, der das Leben von mehr als 1.000 Juden rettete, hatte seine Emaille-Fabrik am anderen Ufer der Weichsel im Stadtteil Podgorze, direkt neben dem Ghetto, errichtet im März 1941. Mehr als 15.000 Menschen lebten dort zusammengepfercht in 320 Häusern.
"Das sind die letzten Spuren vom Ghetto. Das ist der zweite Teil von der Ghetto-Mauer, der zweite übrig gebliebene Rest von der Mauer. Errichtet im April 1941. Die Mauer oben hat so halbrunde Form. Aber das war von Anfang an, von April '41 ein eindeutiger Hinweis' wie sich das Schicksal der hinter dieser Mauer eingesperrten Juden entwickeln soll."
Mordechaj Gebirtig hätte nach Amerika auswandern können. Freunde hatten ihm Affidavit besorgt, doch Gebirtig lehnte ab: "Schickt einen Jüngeren. Einen alten Baum verpflanzt man nicht."
Im Frühjahr 1942 musste auch Mordechaj Gebirtig mit seiner Familie ins Ghetto. Bis dahin waren sie in einem Dorf in der Nähe bei einem Bauern untergekommen. Im Ghetto schrieb Gebirtig, inzwischen 65 Jahre alt und halb verhungert, seine letzten Texte, darunter "Undser friling":
"Es ackert der Henker mit seinem blutigen Schwert, ein großes Massengrab, ... die Erde."
Eine Schulklasse auf dem ehemaligen so genannten "Umschlagplatz" des Ghettos. Dort erinnert ein ungewöhnliches Denkmal an die Ermordeten: 64 graue, überdimensionierte Stühle. Ein Sinnbild für die Leere, die durch den Holocaust entstanden ist. Vor dem Zweiten Weltkrieg lebten in Krakau 65.000 Juden, heute sind es knapp 200.
Auf dem so genannten Umschlagplatz hat sich eine Menschentraube gebildet - um zwei israelische Soldaten, die musizieren. Auch dieses Lied ist auf jiddisch, aber Mordechaj Gebirtig kennen die beiden Musiker in Uniform nicht.
Der Tischler und Poet aus Krakau wurde ganz in der Nähe am 4. Juni 1942 erschossen. An diesem "blutigen Donnerstag" hatte die SS tausende Juden in Podgorcze zusammengetrieben, um sie nach Belzec zu deportieren. 130 Menschen erschossen SS-Leute allein an diesem Tag im Ghetto - noch bevor der Deportationszug abfuhr.
Im Schindler-Museum ist auch das dokumentiert - "Krakau und die Zeit der Okkupation" ist das Thema der Dauer-Ausstellung: Der Besucher wird auf eine Zeitreise geschickt mit Hilfe von Videos und Soundcollagen. Auf Mordechaj Gebirtig stößt er dabei nicht. "Warum ist dieser Künstler in seiner Heimatstadt so unbekannt?" frage ich Marek Friczstatsky, auch er ein erfahrener Stadtführer:
"Ich glaube, die Geschichte und die jüdische Kultur sind nicht so richtig populär. Die Juden sind nicht mehr da, dieses künstliche Beleben des jüdischen Lebens in Krakau interessiert wenige, und das war nicht ihre Sprache, nicht ihr Dichter, nicht ihr Mann sozusagen. Also, deshalb wissen sie auch wenig darüber."
Texte und Noten Gebirtigs überdauerten den Krieg, versteckt in einem Krakauer Kohlenkeller.
Der Szeroka-Platz in Kazimierz, heute: Es wirkt wie eine Art Schaufenster jüdischen Lebens - so wie es mal gewesen sein könnte. Hier kann man bei "Chajm Kohen" Souvenirs kaufen, im "Rubinstein" Kaffee trinken oder sich stärken im Restaurant "Klezmer-Hojs" - zu Lebzeiten Gebirtigs das Badehaus, die "Mikwe".
Jeden Abend Live-Musik - zu gefilte Fisch oder "Purim"-Hähnchen oder Gulasch auf galizisch.
Auf dem Szeroka-Platz, vor dem "Klezmer-Hojs" beginnt auch dieses Jahr wieder Ende Juni das Festival der Jüdischen Kultur, mit vielen Konzerten, und wohl auch mit manchem Lied von Mordechaj Gebirtig, dem "letzten jiddischen Barden", wie ihn Przemek Piekarski nennt:
"Seine Lieder sind erhalten geblieben im Gedächtnis der Juden in aller Welt. Er hat kein Grab hier in Krakau. Vielleicht braucht er aber auch gar kein Grab, weil er immer noch lebendig ist."
"Ich hob dich lib"