Bleibt weg und schickt Geld

Von Martin Polansky |
Schätzungsweise 6,5 Millionen Mexikaner leben und arbeiten derzeit illegal in den USA. Mexikanische Politiker beklagen das zwar gerne, andererseits bringen die Wirtschaftsflüchtlinge begehrte Devisen ins Land.
Er heißt la bestia, die Bestie. Der Güterzug, der Mexiko durchquert Richtung US-Grenze. Die Waggondächer sind voll mit Menschen aus dem Süden Mexikos und den Ländern Mittelamerikas. Sie alle haben nur ein Ziel: Die USA – vage Hoffnung auf ein besseres Leben. So wie Henry:

"Wenn der Zug langsam fährt oder plötzlich anhält kommen aus dem Gestrüpp 100 oder 200 Polizisten. Manchmal schaffen wir es, schnell vom Zug zu springen, aber für die Frauen ist das schwieriger. Hier auf dem Zug sind jetzt so 400 Männer und 20 Frauen. Wahrscheinlich hat nur eine einzige von ihnen das Glück durchzukommen, und von den Männern schaffen es vielleicht acht. Überall gibt es Kontrollpunkte. Und das macht es echt schwierig."

Don Celestino ist 70 Jahre alt. Er lebt in dem kleinen Dorf La Fuente im mexikanischen Hochland – nicht weit von der Eisenbahnstrecke. Seit den Zeiten seines Großvaters hat seine Familie ein kleines Stück Land – kaum größer als drei Fußballfelder. Mais bauen sie dort an und Bohnen. Zu wenig für seine fünf Kinder:

"Einer meiner Söhne war schon mal drüben, und ich glaube er will wieder weg, denn hier kann er seine Familie nicht durchbringen. Wir haben Verwandte, die sind schon länger in den USA, und er kann bei ihnen im Restaurant arbeiten. Klar, muss er als Illegaler über die Grenze, und er setzt dabei sein Leben aufs Spiel. Wir können nur auf Gott hoffen, dass er durchkommt."

Die Alternative wäre, in eine der mexikanischen Großstädte zu gehen. Aber auch dort gibt es zu wenig reguläre Arbeit – beinah jeder dritte Mexikaner muss sich als Tagelöhner verdingen – Schuhe putzen oder irgendwas auf der Straße verkaufen.

Bleiben die USA: Elf Millionen Illegale leben dort zur Zeit, mehr als die Hälfte davon kommt aus Mexiko. Auf den nordamerikanischen Feldern, in vielen Betrieben sind sie kaum noch wegzudenken – als billige, verlässliche Arbeitskräfte. Und auch für Mexiko sind sie wichtig. 20 Milliarden US-Dollar überweisen die Auswanderer jedes Jahr an ihre Familien in der Heimat. Das ist doppelt so viel Geld, wie das Land im Tourismus einnimmt. Wir brauchen unsere Auswanderer, die legalen und die illegalen, sagt der mexikanische Schriftsteller Juan Villoro:

"Wir sind abhängig von den Leuten in den USA. Millionen unserer Landleute dort schicken ihr Geld nach Mexiko. Diese Überweisungen sind in den letzten Jahren zwar zurückgegangen aufgrund der Wirtschaftskrise und der Politik Obamas zum Schutz der Arbeitsplätze. Aber die Auswanderer stellen trotzdem einen erheblichen Anteil unseres Bruttosozialproduktes. Sie sind eine Stütze unseres falschen Wirtschaftsmodells."

Mexikanische Politiker beklagen zwar gerne, dass die Gringos im Norden die Latinos schlecht behandeln. Aber klar ist auch: Das Millionenheer der Illegalen kann nicht einfach so zurückkommen. Denn dann würde Mexiko wohl der Zusammenbruch drohen. Ohne deren Milliardenüberweisungen und ohne die Möglichkeit, die Rückkehrer südlich des Rio Grande zu beschäftigen. Das Land hat sich stillschweigend an diesen Zustand gewöhnt, beklagt Emilio Alvarez von der Menschenrechtskommission in Mexiko-Stadt:

"Mexiko steht enorm in der Schuld gegenüber den Migranten. Sie sind ja praktisch abgeschoben, weil sie hier keine Möglichkeit vorfinden, in Würde zu leben. Auch unserer Gesellschaft muss etwas für sie tun. Denn die jetzige Situation schmerzt."

La bestia, die Bestie wird weiterfahren in den Norden – und immer wieder neue Menschen an die Grenze bringen. Rüber machen – in der Hoffnung auf ein besseres Leben in den USA.
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