Bleiche Operngespenster

Von Stefan Keim |
Überforderung pur: Sechs Sänger singen Fetzen bekannter Opernarien, zwei Pianisten donnern Opernfantasien von Franz Liszt in die Tasten, während sechs Grammofon-DJs knisternde, verzerrte alte Aufnahmen abspielen.
Damit nicht genug: Die Scheinwerfer flackern, gehen willkürlich an und aus. Und manchmal naht ein gewaltiges Grollen aus den Lautsprechern, das den Boden vibrieren lässt wie bei einem Erdbeben. "Europeras 3" bricht auf das Publikum im Kölner Palladium hinein, einer Ausweichspielstätte der Oper im Industriegebiet.

John Cage, der in diesem Jahr hundert Jahre alt geworden wäre, dekonstruiert die Oper. Die Musik ist bei ihm nicht mehr Dienerin einer Handlung, sondern pures Melodienmaterial. Man kann sich nicht hineinfallen lassen, die Störung ist Prinzip. "Lauscht nicht so romantisch!" könnte frei nach Brecht über diesem Stück stehen. Als lustvolle, anarchische Opernvernichtung ließe es sich inszenieren, aber auch fließend, entspannt, als kakofonischer Bewusstseinsstrom jenseits allen Strebens nach Sinn und Bedeutung.

Elena Tzavara setzt in ihrer Inszenierung auf grelle Komik. Die Bühne ist voller Lampen, die Sänger erscheinen in immer neuen bunten Kostümen. Zusammengefegter Opernfundus, eine abgedrehte Revue.

Das wirkt zunächst oberflächlich, doch es gibt ja noch zwei weitere Stücke aus John Cages vor gut 20 Jahren fertig gestelltem "Europeras"-Zyklus. Die Nummer 4 ist nach der Pause der Gegenentwurf, die Lampen sind bleichen Ballons gewichen, die Bühne (Elisabeth Vogetseder) ist komplett in schwarz-weiß gehalten. Nur noch zwei Sänger aus dem Kölner Opernstudio sind übrig geblieben, ihre acapella vorgetragenen Arien dauern länger.

Gloria Rehm und Sévag Tachidjan haben Zeit, Emotionen zu entwickeln und sinken am Ende ihrer Parts zu Boden. Es geht ums Sterben, den Bühnentod. Und auch wenn sie wieder aufstehen, scheint John Cage hier mehr von der fremden Kunstform Oper fasziniert zu sein. Die Interventionen des einzigen verbliebenen Grammofon-DJs werden weniger.

In "Europeras 5" schließlich taucht erneut die ausgezeichnete Sopranistin Gloria Rehm auf. Diesmal als alte Frau, die staksig über die Bühne schlurft und im aus dem Rücken des Publikums auftauchenden Mezzo Sandra Janke ihre Einsamkeitspartnerin findet. Exakt eine Stunde dauert dieses Stück, die Längen sind Programm.

Zwei geistergleiche Erscheinungen beschwören die großen Gefühle vergangener Zeiten, die Oper scheint längst verblichen, eine Erinnerung, die sich langsam auflöst. Das ließe sich als Kommentar zur unsicheren Zukunft der unterfinanzierten Oper Köln lesen. Oder auch zur gerade an diesem Tag bekannt gewordenen Gefährdung der Deutschen Oper am Rhein nebenan in Düsseldorf und Duisburg.

Das Zweistädte-Musiktheater – sonst immer als ein gelungenes Beispiel für eine Bühnenfusion angeführt – droht auseinander zu brechen. Weil der Duisburger Stadtrat überlegt, den 2014 auslaufenden Vertrag nicht zu verlängern, sieben Millionen am Opernetat einzusparen und nur noch ein paar Gastspiele zu holen. Düstere Aussichten für das Musiktheater!

Doch John Cage ging es natürlich nicht darum, sondern um die Befreiung der Musik von Erwartungshaltungen und Funktionen. Bis Sonntag widmet ihm und seinem Umfeld das Acht Brücken Musik Festival in Köln eine Menge an Konzerten und Veranstaltungen.

John Cage: "Europeras 3 + 4 + 5"
Oper Köln
Regie Elena Tzavara
Dramaturgie: Götz Leineweber
Ausstattung: Elisabeth Vogetseder

Service:
"Europera 3, 4 und 5" läuft nur noch einmal am 3. Mai um 19 Uhr an der Oper Köln, dann im Juni als Gastspiel beim Holland-Festival in Amsterdam.

Links bei dradio.de:
Der Komponist des Zufalls -
"Klangkunst"-Reihe zum 100. Geburtstag von John Cage
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