Blick hinter die Fassade
"Zeige Deine Sammlung - jüdische Spuren in Münchner Museen" ist ein außergewöhnlicher Reiseführer. Die beiden Autoren Renata Stih und Frieder Schnock blicken darin hinter die Fassaden von Institutionen und wollen das Verborgene und Verdrängte sichtbar machen.
Ein Spaziergang in München mit einem Stadtführer der besonderen Art in der Manteltasche. "Zeige Deine Sammlung" ist er betitelt, "Jüdische Spuren in Münchner Museen". Die rund 150 Seiten starke Publikation stammt von den Konzeptkünstlern Renata Stih und Frieder Schnock.
Die beiden Berliner schauen in ihrem neuesten Projekt hinter die Fassaden von Institutionen, wollen das Verborgene, Verdrängte, Ausgelöschte sichtbar machen und dazu anregen, die Entstehungsgeschichte von Sammlungen zu hinterfragen. Also machen wir uns auf den Weg und besuchen als erste Station das Bayerische Nationalmuseum: wegen seiner kunst- und kulturgeschichtlichen Kollektionen eine der ersten Adressen in München.
In einem geräumigen Saal der Renaissance-Abteilung steht in einer Glasvitrine eine kleine Alabasterstatuette: Eine Darstellung der alttestamentarischen Judith. Conrat Meit, Hofbildhauer bei Margarete von Österreich, hat die Skulptur um 1525 gefertigt und der nackten Figur in die rechte Hand ein Schwert gegeben. Mit der Linken hält Judith einen abgeschlagenen Männerkopf und blickt nachdenklich auf den enthaupteten Holofernes.
"Die Judith ist eine jüdische Witwe in der Stadt Petulia. Die Stadt wird von dem assyrischen Heer des Nebukadnezar bedroht und die Judith rettet ihr Volk, indem sie den General Holofernes überlsitet und ihn in seinem Lager tötet, ihn köpft und damit die Truppen des feindlichen Generals vertreibt."
Trotz der blutrünstigen Thematik, erzählt Jens Burg, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Museums, hätten sich besonders Frauen einst mit diesem Kunstkammerstück gut identifizieren können, galt die jüdische Heldin doch seinerzeit auch bei Christen als ein Vorbild weiblicher Tugendhaftigkeit.
Szenenwechsel. In der Bayerischen Staatsbibliothek befindet sich eine herausragende historische Sammlung hebräischer Literatur. Darunter auch das Buch "Bahir", ein wertvoller Codex von 1298. Über dieses Schriftdenkmal aus der Frühzeit der mystischen Geheimlehre "Kabbala" hat Gershom Scholem in München seine Dissertation geschrieben. Paul Gerhard Dannhauer, Referent für Hebraica an der dortigen Staatsbibliothek, stellt den jüdischen Gelehrten kurz vor.
"Er hat das Buch übersetzt und ist einer der Haupterforscher der jüdischen Kabbala, Mystik. Der Text ist wohl in Südfrankreich entstanden und die Handschrift in Spanien."
Doch nicht nur auf die Kabbala sind Renata Stih und Frieder Schnock bei ihrer Suche nach jüdischen Spuren in Münchner Museen gestoßen, sondern auch auf einen Künstler, der als einer der Hauptvertreter des deutschen Impressionismus gilt: Lovis Corinth. Der malte 1915 seinen Künstlerfreund "Hermann Makabäus Struck" in Offiziersuniform. Ein Ölbild, das heute der Städtischen Galerie des Lenbachhauses gehört, sagt deren Sammlungsleiterin Karin Althaus.
"Corinth war eigentlich ein Lehrer von Herrmann Struck. Struck war ein sehr berühmter Zeichner und Radierer und hat sehr viele Künstler neben Corinth, zum Beispiel Max Slevogt oder Marc Chagall im Radieren ausgebildet. Corinth hat ihn als Lehrer unglaublich geschätzt und viel von ihm gelernt."
Als überzeugter Zionist kehrt Hermann Struck Deutschland 1922 den Rücken und lässt sich in Palästina nieder, wo er 1944 auch stirbt. Das Schicksal des jüdischen Kunsthistorikers August Liebmann Mayer hingegen, dem die Alte Pinakothek den Besitz des Meisterwerkes "Die Entkleidung Christi" von El Greco verdankt, verlief tragisch. Nachdem der wissenschaftliche Mitarbeiter von Kollegen verleumdet worden war, wurde der Druck, sein Amt in der Alten Pinakothek niederzulegen, 1931 immer größer, weiß die dortige Kuratorin Helge Siefert.
"Er ist freiwillig zurückgetreten und hat dann nur noch von seinen Gutachten gelebt. Er ist dann in die Emigration gegangen nach Frankreich und da ist er verhaftet worden und 44 dann leider in Auschwitz umgebracht worden.”"
Wo heute das Münchner Theatermuseum untergebracht ist, am Hofgarten, fand 1937 Hitlers Propagandaschau "Entartete Kunst" statt. Den Umschlag der damaligen Ausstellungsbroschüre zierte die Abbildung einer abstrakten Figur des jüdischen Bildhauers Otto Freundlich. Titel der Arbeit: "Der neue Mensch". Ein Werk, das heute verschollen ist. Aber auch die nun in der Pinakothek der Moderne untergebrachte massive Metallskulptur Otto Freundlichs, meint jedenfalls der dortige Kurator für Gegenwartskunst, Bernhart Schwenk, drücke überzeugend aus, worauf es dem Bildhauer in seiner Kunst ankam.
""Die Skulptur selber heißt Ascencion, der Aufstieg, und ist eine symbolische Figur, die für eine Lebenswelt steht, für eine Utopie, die Völkerverständigung heißt, Aufstieg von der Unkenntnis in die Erkenntnis, die Hoffnungen symbolisiert und Energie."
Dass in der Pinakothek der Moderne heute Arbeiten gerade jener Künstler präsentiert werden, die von den Nationalsozialisten verfemt wurden, ist ein Sieg der Kunst über die Barbarei, ein kleiner Triumph, mit dem unsere Suche nach jüdischen Spuren in Münchner Sammlungen zu Ende geht.
Die beiden Berliner schauen in ihrem neuesten Projekt hinter die Fassaden von Institutionen, wollen das Verborgene, Verdrängte, Ausgelöschte sichtbar machen und dazu anregen, die Entstehungsgeschichte von Sammlungen zu hinterfragen. Also machen wir uns auf den Weg und besuchen als erste Station das Bayerische Nationalmuseum: wegen seiner kunst- und kulturgeschichtlichen Kollektionen eine der ersten Adressen in München.
In einem geräumigen Saal der Renaissance-Abteilung steht in einer Glasvitrine eine kleine Alabasterstatuette: Eine Darstellung der alttestamentarischen Judith. Conrat Meit, Hofbildhauer bei Margarete von Österreich, hat die Skulptur um 1525 gefertigt und der nackten Figur in die rechte Hand ein Schwert gegeben. Mit der Linken hält Judith einen abgeschlagenen Männerkopf und blickt nachdenklich auf den enthaupteten Holofernes.
"Die Judith ist eine jüdische Witwe in der Stadt Petulia. Die Stadt wird von dem assyrischen Heer des Nebukadnezar bedroht und die Judith rettet ihr Volk, indem sie den General Holofernes überlsitet und ihn in seinem Lager tötet, ihn köpft und damit die Truppen des feindlichen Generals vertreibt."
Trotz der blutrünstigen Thematik, erzählt Jens Burg, wissenschaftlicher Mitarbeiter des Museums, hätten sich besonders Frauen einst mit diesem Kunstkammerstück gut identifizieren können, galt die jüdische Heldin doch seinerzeit auch bei Christen als ein Vorbild weiblicher Tugendhaftigkeit.
Szenenwechsel. In der Bayerischen Staatsbibliothek befindet sich eine herausragende historische Sammlung hebräischer Literatur. Darunter auch das Buch "Bahir", ein wertvoller Codex von 1298. Über dieses Schriftdenkmal aus der Frühzeit der mystischen Geheimlehre "Kabbala" hat Gershom Scholem in München seine Dissertation geschrieben. Paul Gerhard Dannhauer, Referent für Hebraica an der dortigen Staatsbibliothek, stellt den jüdischen Gelehrten kurz vor.
"Er hat das Buch übersetzt und ist einer der Haupterforscher der jüdischen Kabbala, Mystik. Der Text ist wohl in Südfrankreich entstanden und die Handschrift in Spanien."
Doch nicht nur auf die Kabbala sind Renata Stih und Frieder Schnock bei ihrer Suche nach jüdischen Spuren in Münchner Museen gestoßen, sondern auch auf einen Künstler, der als einer der Hauptvertreter des deutschen Impressionismus gilt: Lovis Corinth. Der malte 1915 seinen Künstlerfreund "Hermann Makabäus Struck" in Offiziersuniform. Ein Ölbild, das heute der Städtischen Galerie des Lenbachhauses gehört, sagt deren Sammlungsleiterin Karin Althaus.
"Corinth war eigentlich ein Lehrer von Herrmann Struck. Struck war ein sehr berühmter Zeichner und Radierer und hat sehr viele Künstler neben Corinth, zum Beispiel Max Slevogt oder Marc Chagall im Radieren ausgebildet. Corinth hat ihn als Lehrer unglaublich geschätzt und viel von ihm gelernt."
Als überzeugter Zionist kehrt Hermann Struck Deutschland 1922 den Rücken und lässt sich in Palästina nieder, wo er 1944 auch stirbt. Das Schicksal des jüdischen Kunsthistorikers August Liebmann Mayer hingegen, dem die Alte Pinakothek den Besitz des Meisterwerkes "Die Entkleidung Christi" von El Greco verdankt, verlief tragisch. Nachdem der wissenschaftliche Mitarbeiter von Kollegen verleumdet worden war, wurde der Druck, sein Amt in der Alten Pinakothek niederzulegen, 1931 immer größer, weiß die dortige Kuratorin Helge Siefert.
"Er ist freiwillig zurückgetreten und hat dann nur noch von seinen Gutachten gelebt. Er ist dann in die Emigration gegangen nach Frankreich und da ist er verhaftet worden und 44 dann leider in Auschwitz umgebracht worden.”"
Wo heute das Münchner Theatermuseum untergebracht ist, am Hofgarten, fand 1937 Hitlers Propagandaschau "Entartete Kunst" statt. Den Umschlag der damaligen Ausstellungsbroschüre zierte die Abbildung einer abstrakten Figur des jüdischen Bildhauers Otto Freundlich. Titel der Arbeit: "Der neue Mensch". Ein Werk, das heute verschollen ist. Aber auch die nun in der Pinakothek der Moderne untergebrachte massive Metallskulptur Otto Freundlichs, meint jedenfalls der dortige Kurator für Gegenwartskunst, Bernhart Schwenk, drücke überzeugend aus, worauf es dem Bildhauer in seiner Kunst ankam.
""Die Skulptur selber heißt Ascencion, der Aufstieg, und ist eine symbolische Figur, die für eine Lebenswelt steht, für eine Utopie, die Völkerverständigung heißt, Aufstieg von der Unkenntnis in die Erkenntnis, die Hoffnungen symbolisiert und Energie."
Dass in der Pinakothek der Moderne heute Arbeiten gerade jener Künstler präsentiert werden, die von den Nationalsozialisten verfemt wurden, ist ein Sieg der Kunst über die Barbarei, ein kleiner Triumph, mit dem unsere Suche nach jüdischen Spuren in Münchner Sammlungen zu Ende geht.