Blick in eine untergegangene Welt
Patrick Leigh Fermor, 1915 in London geboren, gilt als einer der großen Stilisten unter den englischen Literaten. Er wurde von der Royal Society in den illustren Kreis der zehn auf Lebenszeit ernannten Companions of Literature aufgenommen, von der Königin in den Adelsstand erhoben und mit dem Order of the British Empire ausgezeichnet.
Berühmt wurde er zudem als Kriegsheld, der für die Special Operations Executive auf Kreta den Widerstand gegen die deutschen Besatzer organisierte und deren Garnisonskommandeur gar entführte. Fermor ist Ehrenbürger von Heraklion und Träger des griechischen Phönix-Ordens. In Deutschland wurde er vor allem mit "Zeit der Gaben" sowie "Zwischen Wäldern und Wasser" bekannt, den beiden ersten Bänden über seine Wanderung von Hoek van Holland nach Konstantinopel, die er 1933 im Alter von 18 Jahren antrat.
"Der Baum des Reisenden", der dem jetzt erstmals auf Deutsch vorliegenden Bericht von Patrick Leigh Fermors Fahrt durch die Karibik den Titel gab, ist ein Einwanderer - so wie fast alles, was die westindische Inselwelt an Flora, Fauna und Bevölkerung zu bieten hat, seit die indianischen Ureinwohner von den europäischen "Entdeckern" und den von ihnen eingeschleppten Krankheiten praktisch ausgerottet wurden. An ihre Stelle traten Spanier, Engländer, Franzosen, Holländer, Dänen und Nordamerikaner, Korsen, Juden, Inder, Azorer, Syrer und Chinesen, vor allem aber Afrikaner, die aus Dutzenden Königreichen verschleppt worden waren. Ein buntes Völkergemisch also, eine Vielzahl von Lebensformen und eine wahre Fundgrube für den großen britischen Reiseschriftsteller Fermor.
Weder einen Reiseführer noch eine gelehrte Abhandlung wollte Fermor über seine Fahrten Ende der 1940er-Jahre mit seiner späteren Frau Jean und einem griechischen Freund entlang der Kleinen und zu einigen der Großen Antillen schreiben, sondern den Leser daran teilhaben lassen, "was wir Interessantes gesehen und Schönes erlebt haben. Mit anderen Worten: ihm Freude zu machen." Die Route ist willkürlich gewählt, aber gerade durch das Zufällige wird Fermor der Mannigfaltigkeit der Karibik am ehesten gerecht, in der "jede Verallgemeinerung unmöglich ist. Nichts ist älter als viereinhalb Jahrhunderte, alles ist improvisiert".
Wundersame, sprachmächtige Schilderungen von Land und Leuten kennzeichnen auch dieses Werk, immer wieder durchsetzt von kenntnisreichen oder gut recherchierten Schilderungen der wechselhaften Geschichte dieser Inselwelt und den zahllosen kulturellen und religiösen Einflüssen und Bräuchen. Für den heutigen Leser, der Fermors 1950 im Original erschienenes Buch zum ersten Mal goutiert, eröffnet sich einmal mehr der Blick in eine untergegangene Welt.
Fermors ganz und gar nicht aktueller und deshalb um so faszinierenderer Reisebericht über das brodelnde Leben unter dem Wendekreis der Krebses gibt durchaus Anlass zur Hoffnung, dass auch die neuen Entdecker und Eroberer eines Tages assimiliert werden. So wie einst ein anderer Einwanderer, dessen Grabstätte der Autor auf Barbados fand: Ferdinando Palaeologus, der letzte Nachkomme des letzten christlichen Kaisers von Byzanz.
Besprochen von Georg Schmidt
Patrick Leigh Fermor: Der Baum des Reisenden. Eine Fahrt durch die Karibik
Aus dem Englischen von Manfred Allié und Gabriele Kempf-Allié Dörlemann Verlag, Zürich 2009
640 Seiten, 33 Euro
"Der Baum des Reisenden", der dem jetzt erstmals auf Deutsch vorliegenden Bericht von Patrick Leigh Fermors Fahrt durch die Karibik den Titel gab, ist ein Einwanderer - so wie fast alles, was die westindische Inselwelt an Flora, Fauna und Bevölkerung zu bieten hat, seit die indianischen Ureinwohner von den europäischen "Entdeckern" und den von ihnen eingeschleppten Krankheiten praktisch ausgerottet wurden. An ihre Stelle traten Spanier, Engländer, Franzosen, Holländer, Dänen und Nordamerikaner, Korsen, Juden, Inder, Azorer, Syrer und Chinesen, vor allem aber Afrikaner, die aus Dutzenden Königreichen verschleppt worden waren. Ein buntes Völkergemisch also, eine Vielzahl von Lebensformen und eine wahre Fundgrube für den großen britischen Reiseschriftsteller Fermor.
Weder einen Reiseführer noch eine gelehrte Abhandlung wollte Fermor über seine Fahrten Ende der 1940er-Jahre mit seiner späteren Frau Jean und einem griechischen Freund entlang der Kleinen und zu einigen der Großen Antillen schreiben, sondern den Leser daran teilhaben lassen, "was wir Interessantes gesehen und Schönes erlebt haben. Mit anderen Worten: ihm Freude zu machen." Die Route ist willkürlich gewählt, aber gerade durch das Zufällige wird Fermor der Mannigfaltigkeit der Karibik am ehesten gerecht, in der "jede Verallgemeinerung unmöglich ist. Nichts ist älter als viereinhalb Jahrhunderte, alles ist improvisiert".
Wundersame, sprachmächtige Schilderungen von Land und Leuten kennzeichnen auch dieses Werk, immer wieder durchsetzt von kenntnisreichen oder gut recherchierten Schilderungen der wechselhaften Geschichte dieser Inselwelt und den zahllosen kulturellen und religiösen Einflüssen und Bräuchen. Für den heutigen Leser, der Fermors 1950 im Original erschienenes Buch zum ersten Mal goutiert, eröffnet sich einmal mehr der Blick in eine untergegangene Welt.
Fermors ganz und gar nicht aktueller und deshalb um so faszinierenderer Reisebericht über das brodelnde Leben unter dem Wendekreis der Krebses gibt durchaus Anlass zur Hoffnung, dass auch die neuen Entdecker und Eroberer eines Tages assimiliert werden. So wie einst ein anderer Einwanderer, dessen Grabstätte der Autor auf Barbados fand: Ferdinando Palaeologus, der letzte Nachkomme des letzten christlichen Kaisers von Byzanz.
Besprochen von Georg Schmidt
Patrick Leigh Fermor: Der Baum des Reisenden. Eine Fahrt durch die Karibik
Aus dem Englischen von Manfred Allié und Gabriele Kempf-Allié Dörlemann Verlag, Zürich 2009
640 Seiten, 33 Euro