Blick nach Athen

Wie die Kasseler die documenta in Athen sehen

Weißer Rauch steigt von der Spitze des Zwehrenturms auf. Der Rauch vernebelt das Gebäude fast vollständig.
Zur Eröffnung der documenta in Athen stieg über Kassel weißer Rauch auf. © picture alliance / Swen Pförtner / dpa
Von Ludger Fittkau |
Die documenta 14, die große zeitgenössische Kunstschau, findet dieses Jahr zum ersten Mal in Athen und in Kassel statt. Darüber sind nicht alle Kasseler begeistert, denn nun muss sich Kassel die Aufmerksamkeit des Kunstpublikums mit der griechischen Hauptstadt teilen.
Die Jugend-Gruppe aus dem Sauerland starrt noch etwas fassungslos auf den dichten weißen Rauch, der aus einem Turm der Kasseler Kunsthalle "Fridericianum" in den Himmel steigt. Dass der Qualm ein Kunstwerk von Daniel Knorr ist, das den Beginn der documenta 14 in Athen anzeigt, wussten die Jugendlichen nicht:
"Also ehrlich gesagt wussten wir nicht, was da los ist anfangs. Wir dachten es brennt, wollten die Feuerwehr rufen. Haben wir sogar die Feuerwehr gerufen, dann wurde uns gesagt, dass das angemeldet ist. Ist schon ein komisches Bild, aber wenn man weiß, worum es geht."

Tempelbau aus verbotenen Büchern

Gleich gegenüber auf dem Friedrichsplatz wird ein riesiges Baugerüst hochgezogen. Dass es ein künftiger Parthenon-"Tempel der verbotenen Bücher" der Künstlerin Marta Minujín sein soll, darüber ist Timo Ditmer aus Fuldatal bei Kassel bereits im Bilde.
"Die Idee ist gut, wobei es immer schwierig ist, mehrere Beziehungskisten oder Geschichtskisten zu vermengen."
In die Metall-Umrisse des antiken Athener Tempels sollen zur documenta rund 100.000 Bücher gefüllt werden, die im Nationalsozialismus oder anderen modernen Diktaturen auf der Verbotsliste standen. Timo Ditmer überzeugt es inhaltlich nicht, den Tempel der klassischen Antike und die NS-Zeit künstlerisch zu verbinden:
"Genau. Weil im alten Griechenland Adolf noch kein Begriff war."

Gedenken an Opfer des NSU

Viel enger mit der Nazigeschichte ist ein Kasseler Ereignis verbunden, an das auch bei der documenta-Eröffnung in Athen vor wenigen Tagen erinnert wurde. Am 6. April 2006 wurde der Kasseler Halit Yozgat vom Nationalsozialistischen Untergrund – kurz NSU - ermordet. Erstmals wird die documenta auch das Migranten- und Studentenviertel Kasseler Nordstadt als Ausstellungsort einbeziehen, in dem Halit Yozgat lebte.
Am Tag der Athener documenta-Eröffnung erinnerten 400 Menschen in Kassel an den elften Jahrestag seiner Ermordung. Ayse Gülec vom Kasseler documenta-Vorbereitungsteam:
"Halit war eines dieser Kinder von Eltern oder Großeltern, die als Gastarbeiter nach Kassel kamen und seitdem lebte er hier. Er ist hier geboren, er war deutscher Staatsbürger, er war ein Bürger dieser Stadt und war Betreiber eines kleinen Internet-Cafés in der Nordstadt, in der Holländischen Straße. Und am 6. April wurde er durch zwei Schüsse durch den NSU ermordet. Und sein Vater fand ihn dann in dem Internet-Café und Halit Yozgat ist dann in den Armen seines Vater Ismail Yozgat gestorben."

Durch und durch politisch

Politisch zeigt sich schon der Athener Teil der diesjährigen documenta – in Kassel wird es nicht anders sein. Dass die Ausstellung zum ersten Mal in zwei Städten geteilt wird, begeistert nicht alle Kasseler. Nach der offiziellen Eröffnung der documenta 14 in Athen könnte die internationale Aufmerksamkeit zum Beginn des Kasseler Teils der Ausstellung in Juni geschmälert werden, befürchtet etwa Marc-Oliver Brandt. Er sitzt auf einer Treppe des Friedrichsplatzes, betrachtet nachdenklich die Baustelle des Bücher-Tempels der kommenden Kasseler documenta:
"Hier hat sie begonnen, hier war der Anfang. Sie hätte hier bleiben müssen. Da hätten wir nicht nach Athen gehen müssen. Klar, den Griechen geht es schlecht und wenn wir ihnen damit ein bisschen helfen können, in Ordnung. Aber wie gesagt - das ist ein Kasseler Kind."
Harald Umbach sieht das ein bisschen anders:
"Ja, ursprünglich, das ist klar, gehört das hier nach Kassel. Aber man muss ja den Blick mal weiten. Und es ist ja nicht schlimm, wenn das als Partnerstadt Athen und im nächsten Jahr vielleicht eine andere Stadt. Oder nicht im nächsten Jahr, sondern bei der nächsten Documenta eine andere Stadt eine Partnerstadt ist, ist okay."

Von Kassel-Calden nonstop nach Athen

Das Angebot am längst nicht ausgelasteten Flughafen Kassel-Calden, während der documenta zweimal wöchentlich nach Athen zu fliegen, sei zumindest für einige Kasseler interessant, ist auf dem Friedrichsplatz zu hören. Der öffentlich finanzierte Flughafen Calden steht auf der Kippe – sechs Millionen betrug das letztjährige Defizit. Die documenta in Athen wird dafür sorgen, dass die Flugbewegungen in Calden wenigsten für einige Wochen zunehmen:
"Die fliegen hin. Die haben jetzt schon gebucht zur documenta."
Rettet das denn den Flughafen?
"Wahrscheinlich auch nicht. Nein."
Sagt Christine Franz, die selbst nicht nach Athen fliegen wird. Doch ihre Vorfreude auf den Kasseler Teil der Ausstellung wächst jetzt nach den Eröffnungstagen in Athen:
"Was ich immer schon finde, zur documenta-Zeit, dass hier in der Stadt wirklich was los ist. Man fühlt halt den Flair, es sind viele Leute hier, von daher finde ich es eigentlich schon schön. Die Leute zu beobachten, sich hinzusetzen, die Menschenschlangen, wie sie vor dem Fridericianum stehen, finde ich schon interessant."
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