Blick von unten auf die Teilung
Wie Schmalspurfilmer aus West und Ost die Berliner Mauer einfingen, zeigt die Dokumentation "Bis an die Grenze". Es ging dabei um "diesen subjektiven Blick" und die "vielen privaten Geschichten", erläutert Claus Oppermann, einer der beiden Autoren.
Susanne Führer: Ein Film über die Mauer aus hunderten bisher unveröffentlichten Amateurfilmen – das ist der Film "Bis an die Grenze". Er wird seit Kurzem erst gezeigt, vor Schulklassen und auch in einigen Kinos. Der Film erzählt die Geschichte der deutschen Teilung und der Berliner Mauer, die ja am 9. November 1989, heute vor 23 Jahren, mächtig ins Wanken geriet. Gemacht haben den Film Gerald Grote und Claus Oppermann, und letzteren begrüße ich jetzt in einem Studio in Leipzig. Guten Tag, Herr Oppermann.
Claus Oppermann: Schönen guten Tag.
Führer: Ich habe gelesen, Sie hätten mehr als 50 Stunden Rohmaterial für diesen Film gesichtet. Wie sind Sie denn überhaupt an all diese Amateurfilme herangekommen?
Oppermann: Ja, an das Material sind wir über Zeitungsartikel herangekommen, auch über das Radio natürlich, über einige verschiedene Schmalfilmclubs, die wir angeschrieben haben und letztendlich auch über persönliche Kontakte, weil uns dann Leute empfohlen worden sind: Schaut doch mal da nach, ruft doch mal den an, der hat, glaube ich, noch was. Und als die Leute uns kennengelernt haben, weil wir die Filme alle persönlich abgeholt haben, da haben die gesehen: Ach, die sind glaube ich ganz in Ordnung, ich kann das meinem Kollegen Dieter und Hermann auch mal weitersagen. Und dann haben die sich teilweise auch bei uns gemeldet.
Führer: Einige Aufnahmen wirken ja wirklich sehr amateurhaft, andere wieder geradezu professionell, manche sind Schwarz-Weiß, andere in Farbe. Wonach haben Sie ausgewählt?
Oppermann: Ja, wir wussten ja erst mal gar nicht, was kommt, hatten so gesehen auch kein Drehbuch. Wir wollten natürlich von Mauerbau bis Mauerfall gerne den Film erzählen, wussten nicht, was kommt. Und als wir dann gesehen haben, was es für eine Fülle an Material gibt, sowohl Schwarz-Weiß in den ersten Jahren als dann natürlich auch Farbe ab Mitte der 60er-Jahre, da haben wir natürlich ausgewählt: Was ist der ganz unbefangene Blick, was ist der Blick, der authentisch ist, was ist der Blick, der nicht nur touristisch ist – weil wir hatten natürlich auch Bilder von Leuten, die einfach als Touristen nach Berlin, Ost und West, gefahren sind, die auch an die Grenze gefahren sind?
Wir wollten so einen ganz unvermittelten Blick, einen Blick, der die Leute teilweise auch bewegt hat, wo dann die Kamera auch wackelt, wo wir nicht genau wissen: Vielleicht hat der Mensch, der das gedreht hat, in dem Moment auch gerade geweint oder war unfassbar von der Situation – sowohl am Tag des Mauerbaus, weil das unfassbar, glaube ich, war damals, als auch, als dann Jahre später, eben heute vor 23 Jahren die Mauer geöffnet wurde und dann später fiel.
Führer: Ja, der Tag des Mauerbaus sind eigentlich fast so die stärksten Aufnahmen, wo man diese winkenden und weinenden Menschen sieht, die sich da über den Stacheldrahtzaun, war es ja damals noch, zugewunken haben, viele weinende Menschen. Gab es Aufnahmen, die Sie besonders berührt haben, Herr Oppermann?
Oppermann: Ja, das sind natürlich diese Aufnahmen, weil die ganz unmittelbar bei den Leuten entstanden sind, bei den Verwandten, Bruder, Schwester, bei den Kindern auch, die geweint haben, bei den Erwachsenen, die ja gar nicht wussten, was passiert jetzt, sie wussten nur, es passiert etwas ganz Furchtbares, was Schreckliches. Und die haben dann draufgehalten und das dann so lange gefilmt, bis die Kassette, die Filmkassette – die waren ja nur drei Minuten lang – zu Ende war, und dann haben sie vielleicht noch mal nachgelegt. Und das hat uns sehr berührt, weil wir diese Trauer gesehen haben in den Menschen. Und eine Schülerin kam dann nach dem Film auf uns zu und sagte dann: "Ich glaube, ich habe das erste Mal gespürt, was Mauerbau und Teilung bedeutet hat durch Ihren Film."
Führer: Eine Schülerin, als Sie das jetzt vor einer Schulklasse gezeigt haben.
Oppermann: Genau, als wir das gezeigt haben. Und das sind natürlich die Aufnahmen, die uns bewegt haben, aber auch andere Aufnahmen, die sehr persönlich waren, wo … Klein-Omi kommt in den Westen ist so eine Sequenz, wo dann '63 die Oma – die Rentner, die durften ja rüber, weil sie den Staat dann nichts kosteten, der DDR – die kam dann rüber und wurde dann überschwänglich von der Familie begrüßt, und da ist ein kleines Mädchen, das auch im Bild zu sehen ist, und diese Frau haben wir dann 50 Jahre später kennenlernen dürfen. Das waren auch so bewegende Momente beim Sichten und später dann auch bei der Präsentation des Films.
Führer: Nun gibt es diese Aufnahme von den weinenden Menschen am Tag des Mauerbaus ja auch von Professionellen, also von Journalisten. Ich habe mich dann gefragt: Warum überhaupt so ein Film? Also was haben diese Amateurfilme für Sie, was diese professionellen Filme nicht haben?
Oppermann: Ja, es gibt natürlich sehr viele und sehr gute Dokumentarfilme, auch Spielfilme über diese Zeit, über den Mauerbau und Mauerfall. Unser Film unterscheidet sich insofern dadurch, dass es ein Blick ist, der eben von unten kommt. Es ist ein sehr authentischer Blick, eine unbekannte Perspektive, die Leute, sagen wir immer, standen direkt, ja, neben den Menschen, die die Emotionen hatten und waren dadurch auch näher an den Herzen der Menschen dran und waren dadurch auch unsichtbar für die. Ein Team baut sich auf, das fährt im Auftrag irgendwo hin und dreht das, und ist natürlich immer versucht, objektiv zu sein, wie das ein Journalist ja auch sein muss. Wir haben es aber eben … wir wollten eben diesen subjektiven Blick haben, diesen ganz persönlichen Blick mit diesen ganz, ganz vielen privaten Geschichten, die hinter diesen vielen, vielen Bildern und den vielen Filmen stehen.
Führer: Claus Oppermann, Autor des Films "Bis an die Grenze" im Deutschlandradio Kultur. Ihr Film, Herr Oppermann, setzt 1945 ein mit dem Satz: "Am Anfang war das Ende", und wir sehen, Deutschland liegt in Trümmern, wir sehen die Not, die herrschte. Ich habe so gedacht: War das wirklich der Anfang? Ehrlich gesagt habe ich wenigstens einen Satz vermisst, dass dieses Ende, dieses Elend von Deutschland selbst verschuldet war – der Anfang lag doch vielleicht etwas früher, 1933 nämlich.
Oppermann: Ja, so gesehen ja, der 9. November ist ja auch nicht nur der Tag des Mauerfalls, sondern Pogromnacht und ein wichtiges historisches Datum. Wir wollten aber nicht quasi noch mal die ganze Problematik des Kriegsdeutschlands erzählen. Klar war das natürlich bedingt durch den Krieg und war das natürlich auch eine Ursache des Krieges. Wir wollten aber quasi da ansetzen, wo eben sich Deutschland geteilt hat, wo man auch hätte andere Lösungen irgendwie konstruieren können, aber es ist dann ja leider so gekommen, wie wir alle wissen, dass dann wirklich das Land geteilt worden ist.
Manche sagen sogar, wir haben da viel zu früh angesetzt, wir hätten erst am 13. August ansetzen sollen, aber wir wollten auch, dass es für Schüler und für Jugendliche, die das gar nicht kennen, dass das für die verständlich ist: Warum wurde das geteilt und wie wurde Deutschland aufgeteilt, in welche Gebiete? Da haben wir dann angesetzt und wollten quasi nicht noch mal die ganze Geschichte, die vorher war, erzählen.
Führer: Hm, also Sie deuten es jetzt schon an, falls die Hörer jetzt denken, man sieht jetzt 90 Minuten lang Amateurfilmaufnahmen von der Mauer – das stimmt nicht. Also '45 geht’s los, die Berlinblockade '48 kommt vor, der 17. Juni '53, die Flucht vieler Menschen aus der DDR. Und es gibt dann auch neben diesen historischen Amateurfilm-Aufnahmen auch einige der damaligen Filmer selbst, die als Zeitzeugen durchgehend immer wieder zu Wort kommen. Einige haben Sie da ausgewählt. Wonach haben Sie diese Zeitzeugen ausgewählt?
Oppermann: Ja, wir haben alle ja besucht, die noch leben und die uns eingeladen haben, die Filme abzuholen und dann auch wieder zurückzubringen nach der Kopierung, und da haben wir dann gemerkt: Wer hat besondere Geschichten zu erzählen, wer hat – dann nach der Sichtung – besonderes Material mit Geschichten dahinter? Und da haben wir eben gesehen: Wir wollten natürlich so ein gleiches Verhältnis haben, Leute aus dem Osten, Leute aus dem Westen. Wir wollten natürlich auch Frauen im Film haben, denn Super-8-Film, Schmalfilm war eigentlich eine Männerdomäne.
Wir haben dann aber tatsächlich ganz hervorragende, tolle Schmalfilm-Amateurinnen gefunden, die auch ganz tolles Material gehabt haben und die trotz vieler Widerstände, auch innerhalb der Ehe oder der Partnerschaften, ihre Filme gedreht haben. Das war ja teuer. Und da haben wir natürlich immer geguckt: Wer kann da gute Geschichten erzählen und wer hat eben auch tolles Material, was er dann noch ein bisschen kommentieren kann? Wir wollten auch eben keinen Politiker haben oder keinen Historiker haben, der was drüber erzählt, sondern eben nur diese ganz … ja, die Leute von nebenan, die Leute, die ihre ganz privaten Geschichten erzählen.
Führer: Nach dem Bau der Mauer, also nach '61, wird eigentlich vor allem DDR-Geschichte erzählt, also einmal der Kennedy-Besuch in West-Berlin kommt vor, ansonsten aber der Bau des Fernsehturms, der Wechsel von Ulbricht zu Honecker, die Weltfestspiele 1973 in der DDR. Ich habe mich gefragt: Warum diese Aspekte, also warum sozusagen nur die DDR-Geschichte? Bundesrepublik taucht gar nicht mehr auf.
Oppermann: Ja, einige sagen, es ist zu viel Westgeschichte und zu wenig DDR-Geschichte. Wir haben eben das verarbeitet, was wir hatten oder was für uns auch eher als Westfilmemacher … Wir kommen ja aus Kiel, aus dem tiefsten nördlichen Westen quasi und sind ja eher weit weg von der Mauer, obwohl mein Kollege Gerald Grote in Berlin damals auch gelebt hat, aber wir wollten für uns diesen unbekannten Blick: Wie war damals eben Berlin und wie war das Leben in der DDR in den 70er-Jahren? Was hat sich da abgespielt? Was war da bei der Jugend los, was war da bei den Privatmenschen los?
Und da haben wir das Material, das wir hatten, versucht zu verarbeiten, weil man ja viele andere Bilder schon kennt, und da wollten wir eben das, was wir hatten, natürlich auch gerne zeigen oder so 'ne Geschichte wie die Tür in der Mauer, die für uns gänzlich unbekannt war. Das ist zwar jetzt eine Westgeschichte, aber das fanden wir so skurril, das kannten wir vorher nicht, das wollten wir dann zeigen. Wenn wir es nicht gehabt hätten, hätten wir die Geschichte auch nicht erzählt.
Führer: Es ist schon eine sehr westdeutsche Perspektive. Also ich war manchmal über den Ton erstaunt. Ich habe hier mal ein Zitat, Herr Oppermann: "West-Berlin, flirrend, strahlende Ikone des Wohlstands – Ostberlin, ein potemkinsches Dorf, mehr Fassade als Substanz, eine subventionierte Dekoration des Sozialismus." Das klang für mich Originalton Kalter Krieg.
Oppermann: Ja, das war natürlich auch mit einem Augenzwinkern, weil wir auch im Text …
Führer: Na, so spricht der Sprecher aber nicht. Also der hat auch diesen Duktus der 50er-Jahre, ja, das ist wirklich so der RIAS-Ton damals, der Sender am Stacheldrahtzaun.
Oppermann: Ja, aber ich denke trotzdem, dass man das auch so versteht, und Sie haben es glaube ich auch ganz … so gut dargestellt, dass es tatsächlich diese Unterschiede gab und dass aber auch die Bilder, die man zu diesem Text sieht – die sind ja auch so ein bisschen augenzwinkernd, und man sieht da eine Dame im Pelz und auch diesen etwas dekadenten Wohlstand ja auch, und man sieht im Osten dann ja auch diese merkwürdigen Plattenbauten und auch ein bisschen die, ja, wirklich bröckelnde Fassade. Und das war auch schon so gemeint, weil es einfach auch ein krasser Gegensatz war. Wir wollten auch nichts beschönigen. Und jetzt, bei den Filmvorführungen, werden wir da auch immer bestärkt, dass gesagt wird, ja, so war es, das ist authentisch. Wir hatten auch gedacht, die Leute in Leipzig oder in Plauen oder so hauen uns den Film um die Ohren, aber ganz im Gegenteil – die haben gesagt, das ist der beste Film, den es zu diesem Thema gibt.
Führer: Das sagt Claus Oppermann, er ist einer der beiden Autoren des Films "Bis an die Grenze", der anhand von Amateurfilmen die Geschichte der Mauer und der deutschen Teilung erzählt. Und unter www.bis-an-die-grenze.de erfahren Sie, wann und wo der Film zu sehen ist. Danke fürs Gespräch, Herr Oppermann.
Oppermann: Danke schön.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Claus Oppermann: Schönen guten Tag.
Führer: Ich habe gelesen, Sie hätten mehr als 50 Stunden Rohmaterial für diesen Film gesichtet. Wie sind Sie denn überhaupt an all diese Amateurfilme herangekommen?
Oppermann: Ja, an das Material sind wir über Zeitungsartikel herangekommen, auch über das Radio natürlich, über einige verschiedene Schmalfilmclubs, die wir angeschrieben haben und letztendlich auch über persönliche Kontakte, weil uns dann Leute empfohlen worden sind: Schaut doch mal da nach, ruft doch mal den an, der hat, glaube ich, noch was. Und als die Leute uns kennengelernt haben, weil wir die Filme alle persönlich abgeholt haben, da haben die gesehen: Ach, die sind glaube ich ganz in Ordnung, ich kann das meinem Kollegen Dieter und Hermann auch mal weitersagen. Und dann haben die sich teilweise auch bei uns gemeldet.
Führer: Einige Aufnahmen wirken ja wirklich sehr amateurhaft, andere wieder geradezu professionell, manche sind Schwarz-Weiß, andere in Farbe. Wonach haben Sie ausgewählt?
Oppermann: Ja, wir wussten ja erst mal gar nicht, was kommt, hatten so gesehen auch kein Drehbuch. Wir wollten natürlich von Mauerbau bis Mauerfall gerne den Film erzählen, wussten nicht, was kommt. Und als wir dann gesehen haben, was es für eine Fülle an Material gibt, sowohl Schwarz-Weiß in den ersten Jahren als dann natürlich auch Farbe ab Mitte der 60er-Jahre, da haben wir natürlich ausgewählt: Was ist der ganz unbefangene Blick, was ist der Blick, der authentisch ist, was ist der Blick, der nicht nur touristisch ist – weil wir hatten natürlich auch Bilder von Leuten, die einfach als Touristen nach Berlin, Ost und West, gefahren sind, die auch an die Grenze gefahren sind?
Wir wollten so einen ganz unvermittelten Blick, einen Blick, der die Leute teilweise auch bewegt hat, wo dann die Kamera auch wackelt, wo wir nicht genau wissen: Vielleicht hat der Mensch, der das gedreht hat, in dem Moment auch gerade geweint oder war unfassbar von der Situation – sowohl am Tag des Mauerbaus, weil das unfassbar, glaube ich, war damals, als auch, als dann Jahre später, eben heute vor 23 Jahren die Mauer geöffnet wurde und dann später fiel.
Führer: Ja, der Tag des Mauerbaus sind eigentlich fast so die stärksten Aufnahmen, wo man diese winkenden und weinenden Menschen sieht, die sich da über den Stacheldrahtzaun, war es ja damals noch, zugewunken haben, viele weinende Menschen. Gab es Aufnahmen, die Sie besonders berührt haben, Herr Oppermann?
Oppermann: Ja, das sind natürlich diese Aufnahmen, weil die ganz unmittelbar bei den Leuten entstanden sind, bei den Verwandten, Bruder, Schwester, bei den Kindern auch, die geweint haben, bei den Erwachsenen, die ja gar nicht wussten, was passiert jetzt, sie wussten nur, es passiert etwas ganz Furchtbares, was Schreckliches. Und die haben dann draufgehalten und das dann so lange gefilmt, bis die Kassette, die Filmkassette – die waren ja nur drei Minuten lang – zu Ende war, und dann haben sie vielleicht noch mal nachgelegt. Und das hat uns sehr berührt, weil wir diese Trauer gesehen haben in den Menschen. Und eine Schülerin kam dann nach dem Film auf uns zu und sagte dann: "Ich glaube, ich habe das erste Mal gespürt, was Mauerbau und Teilung bedeutet hat durch Ihren Film."
Führer: Eine Schülerin, als Sie das jetzt vor einer Schulklasse gezeigt haben.
Oppermann: Genau, als wir das gezeigt haben. Und das sind natürlich die Aufnahmen, die uns bewegt haben, aber auch andere Aufnahmen, die sehr persönlich waren, wo … Klein-Omi kommt in den Westen ist so eine Sequenz, wo dann '63 die Oma – die Rentner, die durften ja rüber, weil sie den Staat dann nichts kosteten, der DDR – die kam dann rüber und wurde dann überschwänglich von der Familie begrüßt, und da ist ein kleines Mädchen, das auch im Bild zu sehen ist, und diese Frau haben wir dann 50 Jahre später kennenlernen dürfen. Das waren auch so bewegende Momente beim Sichten und später dann auch bei der Präsentation des Films.
Führer: Nun gibt es diese Aufnahme von den weinenden Menschen am Tag des Mauerbaus ja auch von Professionellen, also von Journalisten. Ich habe mich dann gefragt: Warum überhaupt so ein Film? Also was haben diese Amateurfilme für Sie, was diese professionellen Filme nicht haben?
Oppermann: Ja, es gibt natürlich sehr viele und sehr gute Dokumentarfilme, auch Spielfilme über diese Zeit, über den Mauerbau und Mauerfall. Unser Film unterscheidet sich insofern dadurch, dass es ein Blick ist, der eben von unten kommt. Es ist ein sehr authentischer Blick, eine unbekannte Perspektive, die Leute, sagen wir immer, standen direkt, ja, neben den Menschen, die die Emotionen hatten und waren dadurch auch näher an den Herzen der Menschen dran und waren dadurch auch unsichtbar für die. Ein Team baut sich auf, das fährt im Auftrag irgendwo hin und dreht das, und ist natürlich immer versucht, objektiv zu sein, wie das ein Journalist ja auch sein muss. Wir haben es aber eben … wir wollten eben diesen subjektiven Blick haben, diesen ganz persönlichen Blick mit diesen ganz, ganz vielen privaten Geschichten, die hinter diesen vielen, vielen Bildern und den vielen Filmen stehen.
Führer: Claus Oppermann, Autor des Films "Bis an die Grenze" im Deutschlandradio Kultur. Ihr Film, Herr Oppermann, setzt 1945 ein mit dem Satz: "Am Anfang war das Ende", und wir sehen, Deutschland liegt in Trümmern, wir sehen die Not, die herrschte. Ich habe so gedacht: War das wirklich der Anfang? Ehrlich gesagt habe ich wenigstens einen Satz vermisst, dass dieses Ende, dieses Elend von Deutschland selbst verschuldet war – der Anfang lag doch vielleicht etwas früher, 1933 nämlich.
Oppermann: Ja, so gesehen ja, der 9. November ist ja auch nicht nur der Tag des Mauerfalls, sondern Pogromnacht und ein wichtiges historisches Datum. Wir wollten aber nicht quasi noch mal die ganze Problematik des Kriegsdeutschlands erzählen. Klar war das natürlich bedingt durch den Krieg und war das natürlich auch eine Ursache des Krieges. Wir wollten aber quasi da ansetzen, wo eben sich Deutschland geteilt hat, wo man auch hätte andere Lösungen irgendwie konstruieren können, aber es ist dann ja leider so gekommen, wie wir alle wissen, dass dann wirklich das Land geteilt worden ist.
Manche sagen sogar, wir haben da viel zu früh angesetzt, wir hätten erst am 13. August ansetzen sollen, aber wir wollten auch, dass es für Schüler und für Jugendliche, die das gar nicht kennen, dass das für die verständlich ist: Warum wurde das geteilt und wie wurde Deutschland aufgeteilt, in welche Gebiete? Da haben wir dann angesetzt und wollten quasi nicht noch mal die ganze Geschichte, die vorher war, erzählen.
Führer: Hm, also Sie deuten es jetzt schon an, falls die Hörer jetzt denken, man sieht jetzt 90 Minuten lang Amateurfilmaufnahmen von der Mauer – das stimmt nicht. Also '45 geht’s los, die Berlinblockade '48 kommt vor, der 17. Juni '53, die Flucht vieler Menschen aus der DDR. Und es gibt dann auch neben diesen historischen Amateurfilm-Aufnahmen auch einige der damaligen Filmer selbst, die als Zeitzeugen durchgehend immer wieder zu Wort kommen. Einige haben Sie da ausgewählt. Wonach haben Sie diese Zeitzeugen ausgewählt?
Oppermann: Ja, wir haben alle ja besucht, die noch leben und die uns eingeladen haben, die Filme abzuholen und dann auch wieder zurückzubringen nach der Kopierung, und da haben wir dann gemerkt: Wer hat besondere Geschichten zu erzählen, wer hat – dann nach der Sichtung – besonderes Material mit Geschichten dahinter? Und da haben wir eben gesehen: Wir wollten natürlich so ein gleiches Verhältnis haben, Leute aus dem Osten, Leute aus dem Westen. Wir wollten natürlich auch Frauen im Film haben, denn Super-8-Film, Schmalfilm war eigentlich eine Männerdomäne.
Wir haben dann aber tatsächlich ganz hervorragende, tolle Schmalfilm-Amateurinnen gefunden, die auch ganz tolles Material gehabt haben und die trotz vieler Widerstände, auch innerhalb der Ehe oder der Partnerschaften, ihre Filme gedreht haben. Das war ja teuer. Und da haben wir natürlich immer geguckt: Wer kann da gute Geschichten erzählen und wer hat eben auch tolles Material, was er dann noch ein bisschen kommentieren kann? Wir wollten auch eben keinen Politiker haben oder keinen Historiker haben, der was drüber erzählt, sondern eben nur diese ganz … ja, die Leute von nebenan, die Leute, die ihre ganz privaten Geschichten erzählen.
Führer: Nach dem Bau der Mauer, also nach '61, wird eigentlich vor allem DDR-Geschichte erzählt, also einmal der Kennedy-Besuch in West-Berlin kommt vor, ansonsten aber der Bau des Fernsehturms, der Wechsel von Ulbricht zu Honecker, die Weltfestspiele 1973 in der DDR. Ich habe mich gefragt: Warum diese Aspekte, also warum sozusagen nur die DDR-Geschichte? Bundesrepublik taucht gar nicht mehr auf.
Oppermann: Ja, einige sagen, es ist zu viel Westgeschichte und zu wenig DDR-Geschichte. Wir haben eben das verarbeitet, was wir hatten oder was für uns auch eher als Westfilmemacher … Wir kommen ja aus Kiel, aus dem tiefsten nördlichen Westen quasi und sind ja eher weit weg von der Mauer, obwohl mein Kollege Gerald Grote in Berlin damals auch gelebt hat, aber wir wollten für uns diesen unbekannten Blick: Wie war damals eben Berlin und wie war das Leben in der DDR in den 70er-Jahren? Was hat sich da abgespielt? Was war da bei der Jugend los, was war da bei den Privatmenschen los?
Und da haben wir das Material, das wir hatten, versucht zu verarbeiten, weil man ja viele andere Bilder schon kennt, und da wollten wir eben das, was wir hatten, natürlich auch gerne zeigen oder so 'ne Geschichte wie die Tür in der Mauer, die für uns gänzlich unbekannt war. Das ist zwar jetzt eine Westgeschichte, aber das fanden wir so skurril, das kannten wir vorher nicht, das wollten wir dann zeigen. Wenn wir es nicht gehabt hätten, hätten wir die Geschichte auch nicht erzählt.
Führer: Es ist schon eine sehr westdeutsche Perspektive. Also ich war manchmal über den Ton erstaunt. Ich habe hier mal ein Zitat, Herr Oppermann: "West-Berlin, flirrend, strahlende Ikone des Wohlstands – Ostberlin, ein potemkinsches Dorf, mehr Fassade als Substanz, eine subventionierte Dekoration des Sozialismus." Das klang für mich Originalton Kalter Krieg.
Oppermann: Ja, das war natürlich auch mit einem Augenzwinkern, weil wir auch im Text …
Führer: Na, so spricht der Sprecher aber nicht. Also der hat auch diesen Duktus der 50er-Jahre, ja, das ist wirklich so der RIAS-Ton damals, der Sender am Stacheldrahtzaun.
Oppermann: Ja, aber ich denke trotzdem, dass man das auch so versteht, und Sie haben es glaube ich auch ganz … so gut dargestellt, dass es tatsächlich diese Unterschiede gab und dass aber auch die Bilder, die man zu diesem Text sieht – die sind ja auch so ein bisschen augenzwinkernd, und man sieht da eine Dame im Pelz und auch diesen etwas dekadenten Wohlstand ja auch, und man sieht im Osten dann ja auch diese merkwürdigen Plattenbauten und auch ein bisschen die, ja, wirklich bröckelnde Fassade. Und das war auch schon so gemeint, weil es einfach auch ein krasser Gegensatz war. Wir wollten auch nichts beschönigen. Und jetzt, bei den Filmvorführungen, werden wir da auch immer bestärkt, dass gesagt wird, ja, so war es, das ist authentisch. Wir hatten auch gedacht, die Leute in Leipzig oder in Plauen oder so hauen uns den Film um die Ohren, aber ganz im Gegenteil – die haben gesagt, das ist der beste Film, den es zu diesem Thema gibt.
Führer: Das sagt Claus Oppermann, er ist einer der beiden Autoren des Films "Bis an die Grenze", der anhand von Amateurfilmen die Geschichte der Mauer und der deutschen Teilung erzählt. Und unter www.bis-an-die-grenze.de erfahren Sie, wann und wo der Film zu sehen ist. Danke fürs Gespräch, Herr Oppermann.
Oppermann: Danke schön.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.