Blinde Flecken im Lokaljournalismus

Nachrichtenwüste Nigeria

05:21 Minuten
Eine Illustration zur Folge 3 über Nigeria aus dem Sammelband »Unbias The News – Warum Journalismus Vielfalt braucht« von Hostwriter, das im CORRECTIV-Verlag erschienen ist.
Illustration aus dem Sammelband »Unbias The News – Warum Journalismus Vielfalt braucht« von Hostwriter, erschienen im CORRECTIV-Verlag. © Moshtari Hilal
Von Kolawole Talabi und Tabea Grzeszyk |
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Geschichten, die freie Journalisten mithilfe westlicher Stipendien erzählen, haben ihr klar definiertes Publikum. Was aber wird aus all den anderen Geschichten? Der Nigerianer Kolawole Talabi fordert bessere Bezahlung für freie Journalisten.
Mein Interview mit dem nigerianischen Investigativjournalisten Kolawole Talabi ist hart erkämpft. Erst gab es Stromausfälle und folglich kein Internet, dann scheiterte unser Gespräch an einem kaputten Handymikro. Doch schließlich kommt das WLAN zurück und die Verbindung zu einem Bauernhof im ländlichen Süden Nigerias steht! Endlich können wir darüber sprechen, was es heißt, sich als freier Journalist in Nigeria zu behaupten.
"Als Freiberufler zu arbeiten bedeutet leider, nie zu wissen, woher der nächste Gehaltsscheck kommen soll", berichtet Kolawole Talabi. "Deswegen bewerbe ich mich auf Recherchestipendien in Europa und den Vereinigten Staaten, zum Beispiel auf Ausschreibungen für afrikanische Reporterinnen und Reporter zu Themen wie Gesundheit oder Naturschutz. Das ist das 'Freelancer Dilemma': Du weißt nie, wann das nächste Stipendium oder Honorar kommt, deswegen musst du manchmal deine eigenen Ersparnisse benutzen, um Geschichten zu recherchieren, und dann auf das Beste hoffen."

Honorare nur für Festangestellte

Kolawole Talabi hat die Kunst des Anträgeschreibens perfektioniert. Seine Recherchen über Korruption bei der Wasserversorgung in zwei westafrikanischen Städten oder über illegale Industriefischerei vor Nigerias Küste werden von Stiftungen wie dem europäischen "Journalismfund" oder der amerikanischen "Bill and Melinda Gates Foundation" gefördert.
Ohne solche Stipendien könnte er nicht arbeiten, erzählt Kolawole Talabi, denn nigerianische Medienhäuser bezahlen in der Regel keine Kolleginnen und Kollegen, die nicht fest angestellt sind: "Meiner Erfahrung nach sehen die nigerianischen Verleger Freelancer nicht als wichtigen Teil des Mediensystems. Sie haben ihre eigenen Leute, ihre eigenen Journalistinnen und Reporter. Sie tun so, als würden sie dir einen Gefallen tun, wenn sie deine Geschichte veröffentlichen. Meistens sagen sie dir im Voraus, dass sie nichts bezahlen werden."

Stiftungen haben eigenen Vorstellungen

Kolawole Talabi hat grundsätzlich kein Problem damit, dass die meisten Stipendien von westlichen Stiftungen stammen. Je mehr Geld für Journalismus, desto besser! Doch die Unterstützung aus Europa und den USA kann für lokale Recherchen zum Problem werden, wenn sich die Förderkriterien nach den Bedürfnissen der Stiftungen richten, nicht denen der Reporterinnen und Reporter.
"Lokale Journalistinnen und Journalisten werden fast nie gefragt, welche Themen Aufmerksamkeit und Zeit bekommen sollten. Stattdessen haben Stiftungen ihre eigenen Vorstellungen - dazu gehört oft ein Publikationsplan für US-amerikanische oder europäische Medien. Das Problem dabei ist, dass manche Geschichten nur vor Ort relevant sind. Selbst wenn ich gute Kontakte zu amerikanischen oder europäischen Medienhäusern habe, kann es schwierig werden, ein Unterstützungsschreiben zu bekommen - einfach weil die Geschichte für ein US-amerikanisches Publikum keine Bedeutung hat."

Corona verschärft die Konkurrenz

Oft entscheidet so die Relevanz für ein westliches Publikum in reichweitenstarken Medien darüber, ob eine investigative Recherche in Nigeria stattfinden kann oder nicht. Die Konkurrenz um Fördergelder hat sich während der Coronapandemie noch verschärft, berichtet Kolawole Talabi.
Zugleich zeigt die Krise, wie fragil es um den Journalismus insgesamt steht: "Angesichts der digitalen Transformation gibt es bei vielen Redaktionen auf der Welt massive Entlassungen und Schließungen, auch in den USA. Die derzeitige Finanzierung von Journalismus ist nicht nachhaltig. Viele westliche Stiftungen sind auf Zuwendungen von Unternehmen oder der Regierung angewiesen und wir erleben gerade in der Coronakrise, dass die Gelder knapper werden."
Wenn nigerianische Journalistinnen und Journalisten die relevantesten Geschichten aus ihrem Land recherchieren wollen, braucht es für Kolawole Talabi nicht weniger als ein neues Finanzierungsmodell für freien Journalismus. Und das nicht nur in Nigeria.

Unsere Serie "Blinde Flecken des Journalismus weltweit" im Rahmen der Denkfabrik "Dekolonisiert euch!": Vom 7. bis zum 12. September senden wir jeden Tag um 8.40 Uhr in "Studio 9" einen Beitrag, der Journalismus und dessen Versäumnisse und "blinde Flecken" in jeweils einem anderen Land thematisiert.

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