Unsere Serie "Blinde Flecken des Journalismus weltweit" im Rahmen der Denkfabrik "Dekolonisiert euch!": Vom 7. bis zum 12. September senden wir jeden Tag um 8.40 Uhr in "Studio 9" einen Beitrag, der Journalismus und dessen Versäumnisse und "blinde Flecken" in jeweils einem anderen Land thematisiert.
Vielfalt als Lippenbekenntnis
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Weiß, männlich, gebildet: Deutsche Medienhäuser sind oft wenig repräsentativ für die Gesellschaft, über die sie berichten. Die tunesische Journalistin Asma Laabidi will, dass sich Redaktionen endlich dieser Realität stellen.
"Hallo, ich heiße Asma und ich komme aus Tunesien. Ich wohne jetzt in Berlin, bin in Deutschland seit vier Jahren, ich bin Journalistin, aber auch Medientrainerin. Ich mache viel mit Sozialen Netzwerken, Fact-Checking und Medientraining."
Asma Laabidi hat "International Media Studies" an der Deutschen Welle Akademie in Bonn studiert. Das Masterprogramm richtet sich an Journalistinnen und Journalisten aus Entwicklungsländern und wirbt damit, seine Alumni für "Führungspositionen im internationalen Medienbetrieb" vorzubereiten. Führungspositionen in Deutschland sind dabei allerdings nicht gemeint.
94 Prozent der Chefs sind weiße Deutsche
"Das war für mich eine Überraschung, ich wollte hier in Deutschland was machen. Ich muss nicht unbedingt in Tunesien oder in Ägypten das machen. Ich habe gesagt: Ja, toll, ich will mitmachen, ich will von Deutschland über solche Länder berichten! Natürlich habe ich die Erfahrung, ich kenne die Sprache, ich kann alles koordinieren - und dann, das war ein bisschen eine Enttäuschung, ich habe entdeckt, Journalismus ist ein sehr geschlossener Bereich. Man braucht viele Kontakte, man braucht wirklich Zugang, das war ganz schwierig, reinzukommen."
Vielfalt ist in deutschen Redaktionen vor allem ein Lippenbekenntnis - zu diesem Schluss kommt eine Studie des Vereins Neue deutsche Medienmacher:innen.
"Viel Wille, kein Weg" titelte der Verein im Mai 2020 und legte erstmals Zahlen zu Führungskräften im Journalismus vor. Demnach sind 94Prozent aller Chefredakteurinnen und Chefredakteure der reichweitenstärksten Medien weiße Deutsche ohne Einwanderungsgeschichte. Unter den restlichen 6% mit Einwanderungsgeschichte sind keine Schwarzen Deutschen, keine Muslime und keine Angehörigen türkischer, polnischer oder russischsprachiger Communities vertreten, den größten Einwanderergruppen in Deutschland.
Migrantische Journalistinnen und Journalisten haben es schwer, egal, ob sie in Deutschland geboren sind, oder, wie Asma Laabidi, seit ein paar Jahren hier leben. Ihre erste Geschichte hat die Journalistin nicht bei einem etablierten Medienhaus veröffentlicht, sondern auf der Website "Alphabet des Ankommens".
Themenvorschläge bleiben unbeantwortet
"Das Alphabet des Ankommens war ein Projekt vom deutschen Comicverein mit Unterstützung der Bundeszentrale für politische Bildung. Wir haben verschiedene Comics, Features oder Geschichten entwickelt und das war eine ganz wichtige Erfahrung für mich, das war mein erster publizierter Artikel in Deutschland, das war auch auf Deutsch, das war in einem Buch und hatte viel Visibilität."
Das Projekt war ein Anfang, es folgten weitere, doch die Themenvorschläge, die Asma Laabidi an deutsche Redaktionen schickt, blieben ohne Antwort. Eigentlich würden ihre Sprachkenntnisse und Erfahrungen dringend gebraucht.
Zu Beginn der Coronakrise suchte ein deutsches Medienhaus über Twitter eiligst nach Unterstützung, erinnert sich Asma Laabidi. "Urgent! Wir brauchen jemanden, der Arabisch spricht, wir wollen unseren Corona-Content übersetzen! Es gab einen Shitstorm, die Leute haben gesagt: Äh, warum sucht ihr jetzt jemand? Habt ihr keinen Journalist, der Arabisch spricht? Ich glaube, das ist das Thema: Vielfalt ist wichtig, natürlich gibt es viel Diskussion über Vielfalt innerhalb Newsrooms oder Medienhäuser. Aber in Realität, Vielfalt war nicht eine Priorität und ich denke, es ist nicht, bis jetzt, eine Priorität."
Viele repräsentative Stimmen fehlen
Vielfalt ist eine Frage der Qualität. Wenn deutsche Redaktionen über Themen wie Migration oder #BlackLivesMatter berichten, brauchen sie keine migrantischen Hilfskräfte, sondern vielfältige Journalistinnen und Journalisten, die Zugang zu unterschiedlichen Communities haben.
Asma Laabidi hofft, dass sich deutsche Redaktionen dieser Realität stellen und Kolleginnen und Kollegen wie ihr eine Chance geben werden: "Wir leben in einer Welt, wo eigentlich solche Kompetenzen sind sehr wichtig. Wenn du eine Zeitung oder ein Medienhaus bist und du berichtest viel über manche Regionen oder Communitys hier in Deutschland, die vielleicht auch andere Sprachen sprechen und andere Geschichten haben, ich glaube, Vielfalt ist wichtig - das ist einfach Teil unserer Koexistenz in diesem Land. Wir brauchen das, unsere Berichte und unser Reporting ist nicht komplett und nicht repräsentativ, wenn viele Stimmen fehlen."