Im Gespräch mit Moderator Philip Banse:
- Jutta Steiner, Mathematikerin und Mitgründerin von "Parity"
- Jürgen Geuter, Blogger, Autor und Informatiker
- Michael Seemann, Netzkulturtheoretiker und Autor
- Friedemann Brenneis, Journalist und Bitcoin-Blogger
Technologie zwischen Hype und Hohn
53:05 Minuten
Als vor einigen Jahren die Technologie der Blockchain erfunden wurde, erwarteten sich manche davon gewissermaßen die Lösung aller gesellschaftlichen Probleme. Ein radikal-demokratischer, libertärer Traum - doch der Hype scheint vorbei.
"Es ist so eine gewisse Müdigkeit bei diesem Begriff Blockchain einfach da", sagt der Journalist und Bitcoin-Blogger Friedemann Brenneis. Spürbar sei das etwa in den USA bei Präsentationen für potenzielle Investoren: "Da musste man die letzten zwei Jahre … das Wort Blockchain musste irgendwie auftauchen. Es gibt ja Unternehmen, die haben ihren Namen in Blockchain umgewandelt und haben dann 500 Prozent Wertsteigerung erfahren. Die sind jetzt mittlerweile von der Börse verschwunden."
Man dürfe sich auch nicht davon täuschen lassen, wenn jetzt etwa das Bundesgesundheitsministerium einen Blockchain-Wettbewerb ausrufe, so Brenneis. "Tatsächlich ist die Ernüchterung schon sehr, sehr groß in der Branche."
"Blockchain führt zu widerstandsfähigeren Systemen"
Jutta Steiner, die Mitgründerin von Parity, setzt allerdings nach wie vor Hoffnungen in die Blockchain:
"Es führt unter bestimmten Voraussetzungen auch zu deutlich widerstandsfähigeren Systemen, in denen ich als Nutzer viel klarer weiß: Was passiert gerade?", betont sie und verweist zum Beispiel auf die Daten-Skandale um Facebook und den nicht offengelegten Algorithmus. Wären diese Prozesse in einer Blockchain festgehalten, könnten solche Skandale möglicherweise vermieden werden.
"Die Blockchain bildet ab, was tatsächlich alle wissen müssen, und das ist, wie die Logik in diesem System, in diesem Service in Facebook funktioniert", so Steiner. "Ich kann mich darauf verlassen, weil dieses System nicht nur von Facebook betrieben wird, sondern dezentral und deshalb eben widerstandsfähiger betrieben wird." Also nicht einfach von oben geändert werden könne. "Das ist für mich das große Versprechen oder der Grund, warum ich das als einzige Alternative – tatsächlich aus Verzweiflung – sehe, wie wir uns davor bewahren, uns von Quasi-Institutionen abhängig zu machen."
"Das ist eben so ein typischer Nerd-Traum"
Der Informatiker Jügern Geuter und der Netzkulturtheoretiker Michael Seemann sehen gerade die starke Ablehnung von Institutionen der Blockchain-Szene sehr kritisch.
Natürlich seien Institutionen und Autoritäten immer auch Angriffspunkt, räumt Geuter ein. "Die könnten natürlich nicht in meinem Interesse handeln wollen, ich kann ihnen vielleicht nicht vertrauen, vielleicht haben die auch irgendwelche Motivationen, die meinen entgegenlaufen." Von daher könne er den institutionenkritischen Ansatz verstehen. Auf der anderen Seite:
"Institutionen tun natürlich aber auch sehr viele sinnvolle Dinge. Die Tatsache, dass wir demokratische Staaten als Institutionen aufbauen, bietet ja auch die Möglichkeit politischer Teilhabe in Recht zu gießen", sagt Geuter. Oder beim Geld: "Ein Staat gibt Geld raus, und quasi steht dieser Staat dafür, dass diese Papierzettelchen wirklich etwas wert sind."
Für Netzkulturtheoretiker Michael Seemann beruht der Hype um die Blockchain auch auf der Überzeugung, für alle Probleme ließen sich technologische Lösungen finden. "Das ist eben so ein typischer Nerd-Traum", sagt er. In Wahrheit seien die Probleme, die Blockchain zu lösen verspreche, aber sozialer Natur. "Es sind oft politische Probleme, es sind Probleme, dass man sich nicht einigen kann auf Standards, es sind Probleme, dass beispielsweise Künstler schlecht bezahlt werden." Für solche Probleme sei nicht Technologie die Lösung. Vielen Leuten aus der Blockchain-Szene gelinge es aber, die Probleme so umzuformulieren, als ob die Blockchain die Lösung wäre. "Und dann fangen Politiker an zu träumen, und dann glaubt man halt, alles klar, wir brauchen jetzt nur diese Blockchain einzusetzen und dann werden Künstler plötzlich besser bezahlt werden, dann werden Lieferketten besser kontrolliert werden, dann leben wir im Paradies."
Die Aufgabe von Blockchain neu definieren
Jutta Steiner von Parity findet es "ärgerlich", dass der Blockchain-Szene solche Naivität vorgeworfen wird. "Das ist den Leuten klar, dass das so nicht anwendbar sein wird und dass die eigentliche Aufgabe wahrscheinlich sein wird, mithilfe von Blockchain Institutionen auch einfach in gewisser Weise stärker und transparenter zu machen, besser arbeiten zu lassen, wenn sie in die richtige Weise in dieses System eingebunden werden, wo dann aber auch transparente Prozesse abgebildet werden."
(uko)