Für 500 Retweets ins Gefängnis
Der Druck der chinesischen Regierung auf kritische Internetnutzer nimmt zu. Internetfirmen müssen nicht genehme Einträge löschen, Accounts in sozialen Medien werden verfolgt und gesperrt. Noch mehr Sorgen machen Bloggern aber die Verhaftungen.
Entweder sitzt er in der Bibliothek oder im Café direkt nebenan – und arbeitet alleine vor sich hin. Qiao Mu ist Professor für Journalismus an der Peking Universität für Auswärtige Studien. Aber es ist jetzt fast anderthalb Jahre her, dass er das letzte Mal im Hörsaal vor seinen Studenten stehen durfte. Qiao Mu ist in China ein bekannter und kritischer Blogger. Das wurde ihm zum Verhängnis. Er hat seinen Job an der Uni zwar noch, aber unterrichten darf er nicht:
"Weil ich an der Universität arbeite, ist die Polizei bislang nicht zu mir gekommen – aber meine Chefs und Vorgesetzten. Ich bekomme dann Hinweise, dass ich auf bestimmten Veranstaltungen nicht reden soll. Wenn es zum Beispiel um die Internetseite geht, für die ich schreibe. Oder dass ich an akademischen Konferenzen nicht teilnehmen soll. Oder sie sagen: Pass auf, was Du dort sagst. Es ist eine Art weiche Kontrolle, wir nennen es die 'Kontrolle der sozialen Beziehungen'."
Doppelstrategie der chinesischen Regierung
Qiao Mu kann am akademischen Leben nur noch eingeschränkt teilnehmen. Weil er im Internet zu unbequem wurde. Zuviel über Themen wie Pressefreiheit und Demokratisierung geschrieben hat. Allein sein Konto im sozialen Netzwerk Weibo wurde zwölfmal gelöscht:
"Es gibt zwei Arten von Druck und Angst. Die eine kommt von der Überwachung des Internets in China: Es wird zensiert, Einträge werden gelöscht, Benutzerkonten gezielt verfolgt – oder entfernt. Aber man kann dem entkommen, mit neuen Benutzernamen und neuen Einträgen. Worüber ich mir am meisten Sorgen mache, ist der zunehmende Druck der chinesischen Führung auf die Internetnutzer. Menschen werden einfach verhaftet. Ihnen wird vorgeworfen, die Unwahrheit zu schreiben oder Gerüchte zu verbreiten, Unruhe zu stiften, die innere Stabilität zu gefährden. Dieser politische Druck ist das Schlimmste."
Die chinesische Regierung fährt seit jeher eine Doppelstrategie: auf der einen Seite kontrollieren und zensieren – auf der anderen Seite das Internet als eigene Plattform nutzen. Zensur und aktive Beeinflussung der öffentlichen Meinung.
"Trend zu noch mehr Überwachung der sozialen Medien"
Alex Ash lebt als Schriftsteller und Blogger seit acht Jahren in Peking. Er beobachtet Chinas Blogger-Szene und sagt: Die Überwachung schafft immer wieder neue Trends.
"Als die Blogs aufkamen, mit einigen Superstar-Bloggern wie Han Han – das war für junge Chinesen die Möglichkeit zu entdecken, was in ihrer Gesellschaft passiert. Aber das goldene Zeitalter der China-Blogs ist vorbei. Ab 2010 hat sich die Kommunikation ins Twitter-ähnliche Mikroblog-Netzwerk Weibo verschoben. Nachdem das seit 2011 immer heftiger zensiert und kontrolliert wurde, ist Wechat nun das soziale Netzwerk, in dem junge Chinesen kommunizieren – und auch ihre Nachrichten bekommen."
Rund 600 Millionen Internetnutzer gibt es derzeit in China. Die chinesische Regierung übt Druck auf die großen Internetfirmen aus. Internetriesen wie das Unternehmen Sina müssen mit viel Technik und Personal die Einträge aus ihren Diensten löschen, die der Regierung nicht genehm sind. Und seit Xi Jinping Staats- und Parteichef ist, hat sich die Situation für die Blogger noch verschlechtert:
"In den letzten zwei Jahren geht der Trend hin zu noch mehr Überwachung der sozialen Medien. Auf Weibo ist es nun illegal, Gerüchte zu verbreiten. Man kann ins Gefängnis kommen, wenn die sogenannten Gerüchte mehr als 500 Mal weiter getweetet wurden. Deshalb nutzen es immer weniger Leute. Und viele Mikroblogger der sozialen Netzwerke fühlen sich machtlos. Sie lassen zwar Dampf ab, sind wütend über das, was sie sehen – aber sie können in China nicht wirklich was ändern. Das ist ein Gefühl, das viele haben."