"Blue Valentine"

Von Hans-Ulrich Pönack |
Als sie sich kennenlernten, waren der Musiker Dean und die Medizinstudentin Cindy ein Traumpaar. Doch nach sechs Jahren Ehe ist von der einstigen Leidenschaft nicht mehr viel übrig. Der Film "Blue Valentine" ist aufregend, spannend, geradezu fiebrig nahegehend.
Als Werbe- und Dokumentarfilmer ist der 36-jährige Regisseur, Kameramann, Drehbuchautor und Cutter Derek Cianfrance in der Szene durchaus ein Begriff. Mit 23 Jahren drehte und schnitt er seinen ersten Spielfilm "Brother Tied", der 1998 seine Premiere auf dem renommierten "Sundance Festival" hatte, um dann auf über 30 internationalen Festivals vorgezeigt zu werden und insgesamt sechs internationale Awards einzuheimsen. Zu seinen bekannten Dokumentarfilmen zählen Porträts über Mos Def, Cassandra Wilson und Annie Lennox.

Mit seinem zweiten Spielfilm wandelt der Filmemacher auf den Spuren eines Ingmar Bergman. Der sezierte einst, 1973 in "Szenen einer Ehe", die Beziehung eines Ehepaares nach zehnjähriger Ehe. Das aufwühlende Drama-Protokoll eines auseinanderdriftenden Paares gilt als Meisterwerk und Legende.

Derek Cianfrance stellt heute das Ehepaar Cindy und Dean vor, samt bezaubernder kleiner Tochter Frankie. Nach sechs Ehejahren bröckeln Putz und Seele. Was einst so hoffnungsvoll, vielversprechend startete, läuft heute mehr und mehr aus dem emotionalen Verständigungsruder. Aus der einstigen Leidenschaft ist Gewöhnung und noch mehr Ernüchterung geworden. Was waren das aber für Anfänge? Zwischen der angehenden Medizinerin und dem talentierten Musiker, der in New York als Umzugshelfer jobbt? Romantik pur. Es blitzte, es funkelte, es kribbelte. Jahre später ist es vorbei. Oder doch nicht? Sie will wieder studieren, er tut als Handwerker Pflichtarbeit. Viele individuelle Träume sind auf der Strecke geblieben, doch man hatte ja sich. Was also sollte, konnte schief gehen?

Entfremdung zum Beispiel. Die nicht eingestandene Erkenntnis, doch nicht das Traumpaar zu sein, das sich auch im tristen Normalalltag bewährt. Der innere Frust. Obwohl man bemüht ist, dennoch weiterhin respektvoll, irgendwie halt liebevoll miteinander umzugehen, auszukommen. Derek Cianfrance beschreibt eindringlich, wie sich schleichend etwas entwickelt. Wie ein Beziehungsfundament pfuscht. Was aus Anziehungskraft und Gefühlen werden kann. Lauter Missverständnisse. Aber wie soll man dies alles anfangs denken?

Aufregend, spannend, geradezu fiebrig nahegehend, weil von zwei exzellenten Darstellern vehement wie überzeugend charaktertief dargeboten: Die 29-jährige Michelle Williams, aufgefallen in Filmen wie "Station Agent" von Tom McCarthy (neben Peter Dinklage), "Brokeback Mountain" (als Ehefrau von Heath Ledger, "Oscar"-Nominierung) und in "Shutter Island" von Martin Scorsese (neben Lenoardo DiCaprio), dampft hier attraktiv vor Intensität, als Gefühls-Löwin mit Power-Herz. Die diesjährige zweite "Oscar"-Nominierung dafür zielt klar in Richtung "besondere Aktrice". Der kanadische Schauspieler-Partner und Musiker Ryan Gosling, auch Jahrgang 1980, seit 2007 als kontaktscheuer Sonderling in "Lars und die Frauen" unvergessen ("Golden Globe"-Nominierung), trifft ebenso mit voller Wucht seinen Locker-Typen und dessen emotionale Wechselbäder. Ein phänomenales Hoch-Tief-Paar.

"Blue Valentine" betrifft, kommt bekannt vor, klatscht vorzüglich tief aufs Intim-Gemüt. Ein spannender Seelen- und Haut-Volltreffer!

USA 2010; Regie: Derek Cianfrance; Darsteller: Michelle Williams, Ryan Gosling, Faith Wladyka; ab 12 Jahren; 112 Minuten

Filmhomepage "Blue Valentine"