Blümchen-Sex war gestern
Die französische Schriftstellerin und Filmemacherin Virginie Despentes forderte mit ihrem ersten Roman vor 18 Jahren die Zensur heraus - "Baise moi - Fick mich" hieß er und handelte von gewalttätigen Pornos. Auch in ihrem neuen Buch geht es wieder hart zur Sache.
Die französische Autorin und Filmemacherin Virginie Despentes hebt einmal mehr an zu einem furiosen Stück literarisch angewandter Gendertheorie. In "Apokalypse Baby" verwebt sie gekonnt Krimihandlung und Dekonstruktion von Geschlechterrollen.
Ihre Biografie darf auf keinem Klappentext ihrer Bücher fehlen: Virginie Despentes hat in einem Massagesalon und in Peepshows gearbeitet, betrieb einen Plattenladen, trat als Rapsängerin auf, bevor sie zu schreiben begann. Und ja: Ihr erster Roman, vor achtzehn Jahren veröffentlicht und von ihr selbst verfilmt, hieß dann ausgerechnet noch "Baise-moi", also "Fick mich".
In den folgenden fünf Romanen hat sie immer wieder Pornografie, Vergewaltigung, Rache und Geschlechterrollen thematisiert, und zuletzt mit "King Kong Theorie" einen furiosen Essay über Macht- und Unterdrückungsmechanismen zwischen Männern und Frauen vorgelegt.
Auch ihr sechster nun auf Deutsch erschienener Roman steht nicht abseits dieser selbstgebauten Chronique scandaleuse und Despentes ästhetisch-theoretischer Mission, aus dem Geiste des radikalen Feminismus die - zunächst einmal französische - Gesellschaft auf ihren Unzulänglichkeiten hin zu sezieren. Dabei spielt Despentes sicher auf ihrer erprobten Klaviatur von filmischem Erzählfluss, provokanter Figurenzeichnung und Verwirrung von Erwartungen.
Im Zentrum steht ein ungleiches Ermittlerpärchen: Der unscheinbaren Privatdetektivin Lucie ist ein 14-jähriger Schützling abhanden gekommen, und sie muss die berühmt-berüchtigte Hyäne um Hilfe bitten bei der Aufgabe, das aus dem Fokus verlorene Töchterchen aus gutem Schriftstellerhause wieder einzufangen. Jene junge Valentine macht es den beiden Frauen nicht leicht - hat sie sich doch schon längere Zeit vor ihrem Verschwinden aus allen mobilen und sozialen Netzwerken ausgeklinkt, ihr Handy in die Seine geworfen, die Myspace-Seite gelöscht, und auch ihre realen zwischenmenschlichen Kontakte verschleiert, wenn nicht gar abgebrochen.
Auf ihrer rasanten Suche tauchen Lucie und die Hyäne in diverse Subkulturen, von der jungen Neonazi-Szene in der Vorstadt über einen Migrantenhaushalt radikalislamischer Couleur bis in ein von der Sekte Opus Dei bewirtschaftetes Kloster in den spanischen Bergen. Zusehens beschleunigt sich die Handlung bis die Jägerinnen kurz vorm Finale erkennen müssen, dass sie Teil eines perfide Plans sind, dessen Ausführung opake höhere Mächte überwachen. Eine Krimihandlung, die in den moralischen Weltuntergang führt, viel davon sei hier nicht verraten.
Großen Spaß macht es, den seltsamen Charakteren zu folgen - vor allem der schönen grausamen Hyäne, die schon seit Schulzeiten offensiv lesbisch ist und ihr quasi-religiöses Diktum "mit Frauen ist alles besser" auslebt. Despentes Stärke ist ihre Figurenzeichnung, die immer einhergeht mit einer Dekonstruktion von Rollenklischees. Ihre erzählte Welt wird durchweg von versehrten aber starken Frauen bevölkert: Rabenmüttern, hypersexualisierten Teenagern, dealenden Motorradfahrerinnen.
Sex ist bei ihr eine entkuschelte Handlung, ein Gewaltakt zumeist. Ob sie nun die Exzesse der kleinen Valentine oder eine Orgie in einer spanischen Lesben-WG beschreibt: Sexualität wird als Macht wahrgenommen, derer man sich zu bedienen hat.
Für "Apokalypse Baby" hat Virginie Despentes 2010 den renommierten Prix Renaudot gewonnen. Was weniger für einen gewandelten Status vom enfant terrible zum Establishment steht als vielmehr für eine öffentlich wahrgenommene Tradition der Auflehnung. Gerade französischen Autorinnen wie hier Virginie Despentes gelingt es doch immer wieder in lesenswerter Weise angewandte Gendertheorie zu betreiben. Die Kraft der Literatur zu nutzen, um notwendige Explosionen herbeizuführen.
Besprochen von Katrin Schumacher
Virginie Despentes: Apokalypse Baby
Aus dem Französischen von Dorit Gesa Engelhardt und Barbara Heber-Schärer
Berlin Verlag, Berlin 2012
383 Seiten, 19,90 Euro
Ihre Biografie darf auf keinem Klappentext ihrer Bücher fehlen: Virginie Despentes hat in einem Massagesalon und in Peepshows gearbeitet, betrieb einen Plattenladen, trat als Rapsängerin auf, bevor sie zu schreiben begann. Und ja: Ihr erster Roman, vor achtzehn Jahren veröffentlicht und von ihr selbst verfilmt, hieß dann ausgerechnet noch "Baise-moi", also "Fick mich".
In den folgenden fünf Romanen hat sie immer wieder Pornografie, Vergewaltigung, Rache und Geschlechterrollen thematisiert, und zuletzt mit "King Kong Theorie" einen furiosen Essay über Macht- und Unterdrückungsmechanismen zwischen Männern und Frauen vorgelegt.
Auch ihr sechster nun auf Deutsch erschienener Roman steht nicht abseits dieser selbstgebauten Chronique scandaleuse und Despentes ästhetisch-theoretischer Mission, aus dem Geiste des radikalen Feminismus die - zunächst einmal französische - Gesellschaft auf ihren Unzulänglichkeiten hin zu sezieren. Dabei spielt Despentes sicher auf ihrer erprobten Klaviatur von filmischem Erzählfluss, provokanter Figurenzeichnung und Verwirrung von Erwartungen.
Im Zentrum steht ein ungleiches Ermittlerpärchen: Der unscheinbaren Privatdetektivin Lucie ist ein 14-jähriger Schützling abhanden gekommen, und sie muss die berühmt-berüchtigte Hyäne um Hilfe bitten bei der Aufgabe, das aus dem Fokus verlorene Töchterchen aus gutem Schriftstellerhause wieder einzufangen. Jene junge Valentine macht es den beiden Frauen nicht leicht - hat sie sich doch schon längere Zeit vor ihrem Verschwinden aus allen mobilen und sozialen Netzwerken ausgeklinkt, ihr Handy in die Seine geworfen, die Myspace-Seite gelöscht, und auch ihre realen zwischenmenschlichen Kontakte verschleiert, wenn nicht gar abgebrochen.
Auf ihrer rasanten Suche tauchen Lucie und die Hyäne in diverse Subkulturen, von der jungen Neonazi-Szene in der Vorstadt über einen Migrantenhaushalt radikalislamischer Couleur bis in ein von der Sekte Opus Dei bewirtschaftetes Kloster in den spanischen Bergen. Zusehens beschleunigt sich die Handlung bis die Jägerinnen kurz vorm Finale erkennen müssen, dass sie Teil eines perfide Plans sind, dessen Ausführung opake höhere Mächte überwachen. Eine Krimihandlung, die in den moralischen Weltuntergang führt, viel davon sei hier nicht verraten.
Großen Spaß macht es, den seltsamen Charakteren zu folgen - vor allem der schönen grausamen Hyäne, die schon seit Schulzeiten offensiv lesbisch ist und ihr quasi-religiöses Diktum "mit Frauen ist alles besser" auslebt. Despentes Stärke ist ihre Figurenzeichnung, die immer einhergeht mit einer Dekonstruktion von Rollenklischees. Ihre erzählte Welt wird durchweg von versehrten aber starken Frauen bevölkert: Rabenmüttern, hypersexualisierten Teenagern, dealenden Motorradfahrerinnen.
Sex ist bei ihr eine entkuschelte Handlung, ein Gewaltakt zumeist. Ob sie nun die Exzesse der kleinen Valentine oder eine Orgie in einer spanischen Lesben-WG beschreibt: Sexualität wird als Macht wahrgenommen, derer man sich zu bedienen hat.
Für "Apokalypse Baby" hat Virginie Despentes 2010 den renommierten Prix Renaudot gewonnen. Was weniger für einen gewandelten Status vom enfant terrible zum Establishment steht als vielmehr für eine öffentlich wahrgenommene Tradition der Auflehnung. Gerade französischen Autorinnen wie hier Virginie Despentes gelingt es doch immer wieder in lesenswerter Weise angewandte Gendertheorie zu betreiben. Die Kraft der Literatur zu nutzen, um notwendige Explosionen herbeizuführen.
Besprochen von Katrin Schumacher
Virginie Despentes: Apokalypse Baby
Aus dem Französischen von Dorit Gesa Engelhardt und Barbara Heber-Schärer
Berlin Verlag, Berlin 2012
383 Seiten, 19,90 Euro