Blutkonserven aus Wattwürmern
In Deutschland werden pro Jahr rund 4,5 Millionen Blutkonserven gebraucht. Während die Zahl der Kranken steigt, werden die Blutspender aber immer weniger. Eine Lösung für das Dilemma könnte künstliches Blut sein.
Beim DRK-Blutspendedienst in Ratingen-Breitscheid steht das Telefon nicht still. Ständig rufen Kliniken und Praxen an und ordern Blutkonserven für ihre Patienten.
"Unser Ziel ist, dass wir nicht unter drei Tage Vorrat geraten", sagt Thomas Zeiler, ärztlicher Geschäftsführer des DRK-Blutspendedienstes West.
"Also für Nordrhein-Westfalen wollen wir in unseren Lagern ungefähr 12.000 Konserven haben. Das heißt, wir brauchen pro Tag 3–4.000 Spender in Nordrhein-Westfalen."
"Haben Sie die?"
"Nicht immer."
"Haben Sie die?"
"Nicht immer."
In den Ferien, an Feiertagen, während einer Grippewelle oder wenn es zu heiß, zu kalt oder zu nass ist, dann wird es überall in Deutschland eng mit der lebenswichtigen Blutversorgung. Dann müssen auch schon mal geplante Operationen verschoben werden. Obendrein sorgt unsere alternde Gesellschaft für weniger junge Spender, aber mehr Kranke. Blut ist ein rares und kostbares Gut. Ebenso wie Blutspender.
Mit 500 ml Blut kann ein Patient versorgt werden
Christina Stoffels liegt ganz entspannt auf einer Liege im Blutspendezentrum der Universitätsklinik Düsseldorf, während ihr linker Arm für die Blutspende vorbereitet wird. Durch einen durchsichtigen dünnen Schlauch läuft ihr Blut jetzt in einen kleinen Plastikbeutel. Blut der Gruppe B.
Nur rund elf Prozent aller Menschen haben diese Blutgruppe. Mit den 500 ml Blut kann ein Patient versorgt werden, der ebenfalls Blutgruppe B oder AB hat. Bei allen anderen Blutgruppen würde das Blut verklumpen, was lebensbedrohlich sein kann.
"Ein 0-Spender kann rote Blutkörperchen für alle Empfänger spenden", sagt Johannes Fischer, Leiter der Transfusionsmedizin an der Düsseldorfer Uniklinik.
"Deshalb ist der universelle Blutspender 0-Rhesus negativ. Der kommt aber leider nur zu 4,5 bis 6 Prozent vor. Ich brauche aber 12 bis 15 Prozent 0-negativ, einfach für die Notsituation, wo ich vorher die Blutgruppe vom Empfänger nicht weiß."
Die Lösung wäre ein Blutersatzstoff. Thomas Zeiler vom DRK gerät ins Schwärmen:
"Gehen wir mal von einem idealen Ersatzstoff aus. Der müsste nahezu unbegrenzt lagerbar sein, der müsste unbegrenzt verfügbar sein, man müsste ihn im Idealfall nicht im Kühlschrank aufheben, sondern könnte ihn im Rettungswagen mittransportieren bei Raumtemperatur. Man müsste nicht auf Blutgruppen Rücksicht nehmen. Das wäre sehr wichtig. Es müsste für alle passen. Wir träumen schon lange davon."
"Die Herstellung von 10 bis 20 ml Blut kostet eine halbe Million"
Seit Jahrzehnten wird in den Forschungslaboren weltweit nach genau diesem perfekten Blutersatz gesucht. Die meisten Wissenschaftler versuchen den natürlichen Sauerstoffträger, das Hämoglobin, das in den roten Blutkörperchen steckt, nachzubauen. Kommt das Hämoglobin jedoch außerhalb der schützenden Zellhülle vor, wird es heikel, erklärt der Transfusionsmediziner Johannes Fischer.
"Dadurch, dass sie nicht verpackt sind in eine Zellmembran, sind die giftig für diverse Organe, zum Beispiel die Niere oder führen auch zu Schäden an Gefäßen oder aber die binden nicht genügend Sauerstoff."
Bislang sind alle künstlich hergestellten Blutersatzstoffe bereits an der klinischen Vorprüfung gescheitert. Blut mit irgendwelchen Substanzen zu simulieren ist also unwahrscheinlich. Deshalb setzten andere Forscher – etwa aus Dresden – auf Blut, dass in der Petrischale gezüchtet wird. Und zwar aus Blutstammzellen der universell einsetzbaren Blutgruppe 0-negativ. Eine schlaue Idee – aber:
"Leider sehr aufwendig. Und das ist extrem teuer. Also die Herstellung von 10 bis 20 ml Blut kostet – round about – eine halbe Million."
Und für eine normale Bluttransfusion sind mindestens 500 ml notwendig. Also ist auch das unrealistisch.
Trotz Nobelpreis. Ein Durchbruch ist noch nicht in Sicht
Neuerdings versuchen japanische Forscher Blut aus Hautzellen herzustellen. Sie schleusen bestimmte Gene in die Hautzelle, programmieren sie in eine Stammzelle um, aus der sich dann wieder rote Blutkörperchen züchten lassen. Eine Entdeckung, für die es 2012 den Medizinnobelpreis gab.
"Da sind wir immerhin auf 20 ml Blut gekommen. Die sind auch tatsächlich schon im Menschen transfundiert worden. Der Hauptforscher war das Versuchstier. Hier ging es nur darum zu zeigen, dass die Zellen tatsächlich in Zirkulation bleiben und nicht sofort abgebaut werden. Das hat funktioniert. Aber wir erwarten für die nächsten 15-20 Jahre da noch nicht den Routinedurchbruch."
Blutersatzstoffe aus Wattwürmern
Der derzeit vielversprechendste Forschungszweig ist auch der kurioseste: Blutkonserven aus Wattwürmern! Ein französischer Forscher entdeckte im Blut des Wattwurms ein Hämoglobinmolekül, das rund 50 Mal größer ist, als das des Menschen.
"Das ist einer von den Blutersatzstoffen, der die meiste Perspektive im Augenblick hat. Die Wattwürmer."
Zumindest die Tierversuche seien vielversprechend, sagt Johannes Fischer von der Uniklinik Düsseldorf:
"Der Ersatzstoff aus den Wattwürmern hätte ja den Vorteil, dass man das sich zum Beispiel in der Anwendung wie ein gefriergetrocknetes Pulver vorstellen könnte. Transport, Lagerungslogistik, Haltbarkeit und so etwas würden dadurch deutlich vereinfacht."
Marktfähig vielleicht in zehn Jahren
Doch noch sind viele Probleme zu lösen und noch muss das Wattwurm-Ersatzblut aufwendige klinische Studien durchlaufen. Das allein dauert mindestens zehn Jahre. Und selbst dann geht Thomas Zeiler vom DRK-Blutspendedienst davon aus, dass die klassische Blutspende weiterhin im großen Stil notwendig sein wird.
"Bei den Gerinnungspräparaten haben wir schon genetisch hergestellte. Aber das sind Grammmengen und wir brauchen Tanklastzüge für Deutschland!"
Patienten sind also weiterhin auf ganz menschliche Blutspender angewiesen.