"Blutsauger - eine marxistische Vampirkomödie“ von Julian Radlmeier
Mit: Lilith Stangenberg, Alexandre Koberidze, Alexander Herbst, Corinna Harfouch
Deutschland 2021, 125 Minuten
Neu im Kino: "Blutsauger“
Szene aus "Blutsauger": goldener Käfig, aus Produktionsmitteln erschaffen. © Faktura Film
Linker Salonfilm mit sozialdarwinistischen Peitschenhieben
06:29 Minuten
Julian Radlmaiers neuer Film nimmt die Marxsche Metapher vom Kapitalisten als Blutsauger im spielerischen Sinne ernst. Mit eigensinniger Ironie wird eine Gesellschaftsschicht vorgeführt, die auf Kosten anderer einen dekadenten Lebensstil pflegt.
Um was geht es?
August 1928. Der russische Fabrikarbeiter Ljowuschka ist auf der Flucht vor den Bolschewiken. Er will nach Hollywood. In Sergej Eisensteins großem Revolutionsdrama „Oktober“ spielte er Leo Trotzki, seine Rolle wurde jedoch aus Zensurgründen herausgeschnitten.
Einsam steht Ljowuschka nun im schwarzen Anzug und mit Köfferchen an einem Ostseestand. Um Geld zu stehlen, gibt er sich als Baron aus und landet in den Armen der reichen gelangweilten Fabrikbesitzerin Octavia Flambov-Jansen. Deren Arbeiterinnen und Arbeiter studieren „Das Kapital“ von Marx zwischen Sanddünen und planen einen Aufstand.
Was ist das Besondere?
Julian Radlmaiers Film nimmt die Marxsche Metapher vom Kapitalisten als Blutsauger im spielerischen Sinne ernst. Hin und wieder sieht man in Großaufnahme die Abdrücke spitzer Zähne an Hälsen oder auf Handgelenken. Doch sind die Bisse nie tödlich, weil die Arbeiterinnen und Arbeiter noch in der Fabrik funktionieren müssen.
Mit eigensinniger Ironie wird hier eine Gesellschaftsschicht vorgeführt, die auf Kosten anderer ihren dekadenten Lebensstil mit Champagner am Morgen und Joint am Abend pflegt. In der geräumigen Villa wird Salonmarxismus betrieben.
Octavia (wunderbar überdreht von Lilith Stangenberg gespielt) liest Proust und bezeichnet ihren Diener als ihren Assistenten. Sie weiß um den goldenen Käfig, den sie sich mit ihren Produktionsmitteln selbst erschaffen hat, findet jedoch den Ausgang nicht. Den vermeintlichen russischen Baron hält sie sich wie einen exotischen Gast.
Auftritt von Corinna Harfouch als strenge Tante Erkentrud. Mit ihr betritt eine Vorbotin des Nationalsozialismus den Schauplatz. Jeder ihrer Sätze gleicht einem sozialdarwinistischen Peitschenhieb. „Blutsauger“ ist ein Film, der sich mit seinen literarischen Dialogen und seinen frühsommerlichen Ostseebildern selbst als linker Salonfilm vorführt.
Fazit
Schon in seinem DFFB-Abschlussfilm "Selbstkritik eines bürgerlichen Hundes" über einen Regisseur, der keine Förderung bekommt und als Erntearbeiter eine Revolution anzettelt, übte sich Radlmaier in humoristischer Systemkritik. Vielleicht ist es gerade der Unernst seines Kinos, der ins Schwarze trifft.