Blutspur des Christentums
Am Vorabend seines Todes hat Jesus nach der Überlieferung des Neuen Testaments mit seinen Jüngern das letzte Abendmahl gefeiert. Zum Gedenken an seinen Tod und seine Auferstehung zelebrieren Christen im Gottesdienst bis heute das Abendmahl beziehungsweise die Eucharistie.
Dort heißt es dann: "Jesus nahm den Kelch, reichte ihn seinen Jüngern und sprach: Nehmt, und trinkt alle daraus, das ist mein Blut, das für euch und für alle vergossen wird zur Vergebung der Sünden. Tut dies zu meinem Gedächtnis." Was bedeutet das? Trinken die Christen Blut, wie es ihnen jahrhundertlang vorgeworfen wurde? Nicht wirklich, sagen die christlichen Theologen. Aber was da während der Eucharistie passiert, bleibt letztlich "ein Geheimnis des Glaubens".
"Es gehört zu einem archaischen Erleben, Blut als etwas Unheimliches zu empfinden, nicht einfach, weil es der Träger des Lebens zu sein scheint, es dampft, wenn es draußen kalt wird, die rote Farbe selber wirkt auf die meisten Menschen schockierend, verbindet sich mit Gefahr, mit aufgerissenen Adern, mit Sterbeprozessen, kurz: mit Momenten, die zwischen Tod und Leben schwingen."
Wenn es ums Blut geht, dann verweist der Psychoanalytiker und katholische Theologe Eugen Drewermann auf das besondere Verhältnis, das frühere Gesellschaften zu Tieren hatten: Jene Menschen lebten von der Jagd; sie hatten aber zugleich Schuldgefühle, weil sie die Tiere töten mussten; Tiere wurden deshalb oft als etwas Besonderes verehrt. Das spiegele sich auch in der Bibel wider, sagt der Paderborner Theologe:
"Menschen werden mit Blut besprengt, um sich zu reinigen, im Mitraskult steht Paulus im Neuen Testament vor dem Problem, dass Blut einer verbrannten Kuh Menschen von Sünden reinigen soll. Das Christentum beginnt mit der rigorosen, engagierten Erklärung, dass die ganze Opferpraktik sich im Grunde widerlegt hat, das verbindet man mit dem, was Jesus wollte."
Eugen Drewermann betont: Jesus wollte mit der Opfertheologie Schluss machen. Gott müsse man nicht mit Opfern versöhnen:
"Solange Menschen Blut vergießen müssen, um mit Gott in ein rechtes Verhältnis zu kommen, erlebt man die Gottheit immer zwischen Angst und Furcht, Hoffnung und Vertrauen, zwischen Leben und Tod. Ein Gottesbild, das Opfer benötigt, bleibt immer ambivalent, man kann nicht jemanden lieben, den man derart fürchtet, dass man nur durch Rückschneiden von Glücksansprüchen, durch Unterwerfungsgebärden ihn versöhnen kann mit der eigenen Hypothek des Lebens."
"Heilige unsere Gaben durch deinen Geist, damit sie uns werden Leib und Blut deines Sohnes, unseres Herrn, Jesus Christus’ Geheimnis zu feiern."
Doch auch im Neuen Testament steht - nach Lesart der katholischen Kirche - das Blut vor allem für Sühne und Opfer - diesmal jedoch nicht für ein Tieropfer, sondern: Das geopferte Lamm Gottes ist Jesus - Mensch und Sohn Gottes zugleich. Brot und Wein, Leib und Blut - im Christentum taucht das Blut in jedem Gottesdienst spätestens bei der Eucharistie auf.
"So bringen wir dir mit Lob und Dank dieses heilige und lebendige Opfer dar, schau gütig auf die Gabe deiner Kirche, denn sie stellt dir das Lamm vor Augen, das geopfert wurde und uns nach deinem Willen mit dir versöhnt hat. Stärke uns durch den Leib und das Blut deines Sohnes und erfülle uns mit seinem heiligen Geist, damit wir ein Leib und ein Geist werden in Christus."
Wie im Alten Testament das Blut der Tieropfer den Bund zwischen Gott und seinem Volk besiegelte, so findet sich das Blut Christi nun im Kelch des neuen und ewigen Bundes:
"Ebenso nahm er nach dem Mahl den Kelch, dankte wiederum, reichte ihn seinen Jüngern und sprach: Nehmet und trinket alle daraus, das ist der Kelch des neuen und ewigen Bundes, mein Blut, das für euch und für alle vergossen wird zur Vergebung der Sünden. Tut dies zu seinem Gedächtnis."
"Der Sühnecharakter ist hier gemeint."
Sagt Franz-Wilhelm Thiele, Liturgie-Experte des Bistums Hildesheim.
"Das ist heute auch ein Problem für die Menschen zu verstehen, denn Voraussetzung ist ja, dass man anerkennt, dass es Sünde gibt, sonst muss ja nichts gesühnt werden. Aber natürlich ganz klar: Das Kreuzesopfer Jesus ist Sühneopfer für unsere Sünden."
Die katholische Eucharistie ist geprägt von dem Opfergedanken. Und es geht nicht lediglich um ein Gedenken an den Kreuzestod Jesu. Das Konzil zu Trient legte 1562 fest:
"Wer sagt, in der Messe werde Gott nicht ein wirkliches und eigentliches Opfer dargebracht, oder die Opferhandlung bestehe in nichts anderem, als dass uns Christus zur Speise gereicht werde, der sei aus der Kirche ausgeschlossen."
"Also im Grunde ist der Grundgedanke ja der, vom Neuen Testament aus, dass in Christus alle Opfer überwunden, aufgehoben und vollendet worden sind, das ist die Ablösung des Opferritus, der auch im Judentum geherrscht hat, durch dieses einmalige Menschenopfer."
Sagt Thies Gundlach, in der EKD, der Evangelischen Kirche in Deutschland, zuständig für theologischen Grundsatzfragen. Und das sieht auch Eugen Drewermann so:
"Im Tode Jesus sind alle Opfer überflüssig geworden, also gibt es keinen Grund mehr, auch das Opfer Christi immer wieder neu zu wiederholen."
Durch den Tod Jesu hat für die Christen das rituelle Schlachten ein Ende, keiner muss mehr aus religiösen Gründen mit Blut besprengt werden, keine Türpfosten mit Blut bestrichen werden. Ersetzt wurden die alten blutigen Opferriten durch das rituelle Mahl zu seinem Gedächtnis. Doch das - so Eugen Drewermann - hätten zuerst die Theologen der Reformation richtig erkannt. Die Eucharistiefeier solle man schlicht als Gemeinschaftsmahl feiern:
"Irgendwann sollte man mit dem Leben anfangen, dann ist die ganze Magie des Blutes überholt, die beste Anwendung, die wir für fließendes Blut haben könnten: Blut spenden beim DRK."
Zurecht hätten die Protestanten immer wieder betont, dass die Gegenwart Gottes vor allem im Wort liege:
"Der Mensch lebt nicht vom Brot, sondern von jedem Wort, dass aus dem Mund Gottes hervorgeht, das im Grunde ist das protestantische Abendmahl, das Brot zeigt sich als ein Bild für das Wort Gottes, dass lebendig macht. Und das ist weit entfernt von der Opfermagie, dem Ritual, das in der Sakramententheologie der katholischen Kirche gelehrt wird."
Der katholische Priester begießt während der Eucharistiefeier seine Hände mit Wasser, um sie von Schuld zu reinigen. Dann spricht er die Einsetzungsworte, während sich die Wandlung von Brot und Wein in Leib und Blut vollziehen soll. Er hält die Hostie in die Höhe, die Gemeinde kniet demütig in den Kirchbänken. Nach der Wandlung isst der Priester eine Hostie und trinkt einen Schluck Wein. Doch was nimmt er hier genau zu sich?
"Man beißt nicht auf Fleisch und trinkt auch kein Blut in dem Sinne, wie wir das im sonst menschlichen Bereich verstehen."
Der katholische Liturgie-Experte Franz-Wilhelm Thiele.
"Das ist eben die Schwierigkeit, die wir haben, und die den Christen in den ersten Jahrhunderten zum Vorwurf gemacht wurden, da man das Geheimnis der Eucharistie in der Arkandisziplin bewahrte, ging dann das Gerücht, die Christen essen kleine Kinder und trinken Blut."
Die Katholiken haben lange philosophiert über die sogenannte Transsubstantiation, über die Wandlung von Brot und Wein. Dabei geht es um die Substanz: Die bezeichnet in der Philosophie das Wesen eines Dinges. Seit Platon unterscheidet man das geistige Wesen von der äußeren Gestalt. Diese Unterscheidung griff die Kirche auf, als sie beim Konzil von Trient 1562 festlegte:
"Durch die Konsekration des Brotes und Weines geschieht eine Verwandlung der ganzen Substanz des Brotes in die Substanz des Leibes Christi, unseres Herrn, und der ganzen Substanz des Weines in die Substanz seines Blutes. Diese Wandlung wurde von der heiligen katholischen Kirche treffend und im eigentlichen Sinne Wesensverwandlung genannt."
Ein profanes Beispiel für eine Transsubstantiation:
Ein blaubedrucktes Stück Papier mit einem Brückenmotiv ändert sein Wesen, wenn es als 20-Euro-Banknote freigegeben wird. Äußerlich ändert sich nichts.
Bei der Wesensverwandlung von Brot und Wein in Fleisch und Blut ist nach Lehre der katholischen Kirche Gott der Handelnde - vertreten durch den katholischen Priester. Die Wesensverwandlung bleibt auch nach der Eucharistie erhalten - deshalb dürfen Hostien und Wein nach der Messe nicht weggeworfen werden.
Die Wesensverwandlung ist keine materielle Veränderung. Der Lehre der Kirche zufolge lässt sich das alles nicht naturwissenschaftlich erfassen.
"Geheimnis des Glaubens."
Bis heute gibt es unter den verschiedenen christlichen Bekenntnissen heftigen Streit um das rechte Verständnis von Fleisch und Blut, selbst unter den evangelischen Christen, sagt evangelische Theologe Thies Gundlach.
"Der lutherischen Frömmigkeit kommt es vor allem darauf an, die reale und ganze Gegenwart Jesu Christi in Brot und Wein zu beschreiben und bekenntnismäßig festzulegen, aus der Intention, die Heilsgewissheit, um die es ja immer geht, besonders intensiv beschreiben zu können; also nur wenn Christus ganz in Brot und Wein da ist, ohne Vorbehalt, Hintergedanken, mit Leib und Blut, nur dann kann er auch ganz befreien aus der Sünde."
Die Realpräsens dürfe aber nicht missverstanden werden als materielle Anwesenheit Gottes in Fleisch und Blut. Dennoch stoßen sich viele Christen an der Vorstellung, Christi Fleisch zu essen und Blut zu trinken. Deshalb wurde zum evangelischen Kirchentag 2001 eine neue Abendmahlsliturgie entworfen. Statt der traditionellen Einsetzungsworte sollte es nur heißen:
"Mein Leben für euch."
Doch die Kirchentagsleitung distanzierte sich vom Vorschlag, der sich auch in den Gemeinden nicht durchsetzen konnte.
An der Frage, ob das Brot Christi Leib, der Wein sein Blut ist oder es dies nur bedeutet, war bereits 1529 in Marburg der Einigungsversuch zwischen den Reformatoren Luther und Zwingli gescheitert. Für die Reformierten war und ist das Abendmahl eher ein Zeichen, ein Erinnerungsmahl. Immerhin einigten sich lutherische und reformierte Kirchen 1973 in Leuenberg auf eine Abendmahlsgemeinschaft - ohne die Differenzen ganz ausräumen zu können.
Die Bildhaftigkeit des Leidens Christi spiegelt sich auch in christlichen Liedern nieder. Im evangelischen Gesangbuch taucht das Blut gleich an 97 Stellen auf; besonders der Barock pflegte hier einen gewissen Blutkult. Vor allem die Liedertexte von Paul Gerhard aus der Mitte des 17. Jahrhundert widmen sich fast wollüstig dem Leiden des Gekreuzigten.
"Dann sind die Lieder befremdlich, weil sie auch sehr stark diesen Gedanken betonen, dass das Leiden Jesu Christi unsere Erlösung ist, nach dem Motto: Je weher ihm es tut, umso besser für uns. Das ist natürlich etwas, was man heute nur mit großer Mühe nachvollziehen kann."
Das Blut Christi fasziniert bis heute zahlreiche Christen. Immer wieder wurden - vor allem im Mittelalter - Geschichten von Blutwundern erzählt: Zum Beispiel von den sogenannten Bluthostien, die sich während einer Messe plötzlich rot färbten; später stellte man allerdings fest, dass es sich lediglich um Rostbakterien handelte.
Oder von dem vermeintlichen Blut Heiliger, das sich nach Jahrhunderten wieder verflüssigte; oder von Menschen, die angeblich ohne äußere Verletzungen die Wundmale Jesu aufwiesen. Oder von einem Altartuch in Walldürn: Dort soll um 1330 der Priester während der Wandlung den Kelch unachtsam umgestoßen haben. Der Wein, der sich auf dem Altartuch ausbreitete, zeichnete das Bild des gekreuzigten Jesu, umgeben von elf sogenannten Veronicae - so nennt man jene Abbildungen, die den dornenumkränzten Kopf Jesu zeigen. Pater Gebhard Maulhardt vom Augustinerorden berichtet, dass das Altartuch 1950 von Konservatoren genau untersucht worden sei. Zuerst habe man an dem grauen Tuch nichts Besonderes feststellen können, bis die Wissenschaftler es mit einer Quarzlampe durchleuchteten:
"Und dann kam die große Überraschung: Ich habe hier eine Kopie, ist ja auch nicht mehr die neueste. Sie können aber hier ganz klar die Gestalt des gekreuzigten Christus erkennen, ist auch erstaunlich, wie selbst die Gesichtszüge erkennbar sind."
Das Altartuch hängt noch heute - lichtgeschützt und hinter Panzerglas - in der Walldürner Basilika:
"Wir sehen darin lediglich ein Zeichen, ich nenne das nicht gern Wunder und hier sehe ich ein Zeichen darin, dass die Worte Christi, das ist mein Leib und mein Blut, eine Realität beinhalten, die natürlich auch nicht mit bloßen Auge oder unseren fünf Sinnen feststellbar ist, sondern einzig und allein durch den Glauben. Für mich ist das ein Zeichen, das ich auch für echt halte."
Jedes Jahr kommen über 100.000 Pilger zur Verehrung des Heiligen Blutes nach Walldürn, das am Ostrand des Odenwaldes liegt. Vor allem in den Wochen nach Pfingsten wird der kleine Ort mit Wallfahrern überschwemmt. Und in dem eucharistischen Wallfahrtsort begeht man noch einen Feiertag, der in der katholischen Kirche eigentlich abgeschafft wurde: den Blutfeiertag. Er wurde 1969 mit Fronleichnam zusammengelegt. Doch die Walldürner zelebrieren ihren Blutfeiertag noch immer am achten Tag nach Fronleichnam.
"Das Volk braucht für seinen Glauben auch immer einen äußeren Ausdruck, einen handfesten, sie wollen das anfassen können, aber wie sie das oft tun, wenn man zuschaut, da kann man nur sagen: alle Achtung vor solchem Glauben und Vertrauen."
Das Tuch selber dürfen die Pilger natürlich nicht berühren; aber damit die Bewunderer des heiligen Blutes dem Objekt ihrer Verehrung möglichst nahe kommen, haben die Walldürner hinter dem Altar einen hölzernen Durchgang gebaut: treppauf, treppab und in der Mitte steht man hinter dem verglasten Tuch:
"Da gehen Tausende durch im Laufe des Jahres, hier ist diese Öffnung, und hier stehen die Wandlungsformel: hoc est corpum meum, das ist mein Leib, und hier dann über den Kelch: hic est calix sanginis mei, dies ist der Kelch meines Blutes, das wird geöffnet und dann kann man unmittelbar den Schrein berühren, dies ist aber später gemacht worden, weil die Leute das Bedürfnis hatten, den Schrein zu berühren und die konnten ja schlecht da hochklettern auf den Altar."
Auch wenn jedes Jahr Tausende von Pilgern nach Walldürn kommen - es
scheint doch an der Zeit, den Blutkult vergangener Jahrhunderte abzustreifen. Und das gilt besonders für die Eucharistiefeier: Statt bei jeder Messe den Sühneopfergedanken in den Mittelpunkt zu rücken, sollte vielmehr daran erinnert werden, dass alle Christen beim Abendmahl zur gemeinsamen Gedenkfeier eingeladen sind.
"Es gehört zu einem archaischen Erleben, Blut als etwas Unheimliches zu empfinden, nicht einfach, weil es der Träger des Lebens zu sein scheint, es dampft, wenn es draußen kalt wird, die rote Farbe selber wirkt auf die meisten Menschen schockierend, verbindet sich mit Gefahr, mit aufgerissenen Adern, mit Sterbeprozessen, kurz: mit Momenten, die zwischen Tod und Leben schwingen."
Wenn es ums Blut geht, dann verweist der Psychoanalytiker und katholische Theologe Eugen Drewermann auf das besondere Verhältnis, das frühere Gesellschaften zu Tieren hatten: Jene Menschen lebten von der Jagd; sie hatten aber zugleich Schuldgefühle, weil sie die Tiere töten mussten; Tiere wurden deshalb oft als etwas Besonderes verehrt. Das spiegele sich auch in der Bibel wider, sagt der Paderborner Theologe:
"Menschen werden mit Blut besprengt, um sich zu reinigen, im Mitraskult steht Paulus im Neuen Testament vor dem Problem, dass Blut einer verbrannten Kuh Menschen von Sünden reinigen soll. Das Christentum beginnt mit der rigorosen, engagierten Erklärung, dass die ganze Opferpraktik sich im Grunde widerlegt hat, das verbindet man mit dem, was Jesus wollte."
Eugen Drewermann betont: Jesus wollte mit der Opfertheologie Schluss machen. Gott müsse man nicht mit Opfern versöhnen:
"Solange Menschen Blut vergießen müssen, um mit Gott in ein rechtes Verhältnis zu kommen, erlebt man die Gottheit immer zwischen Angst und Furcht, Hoffnung und Vertrauen, zwischen Leben und Tod. Ein Gottesbild, das Opfer benötigt, bleibt immer ambivalent, man kann nicht jemanden lieben, den man derart fürchtet, dass man nur durch Rückschneiden von Glücksansprüchen, durch Unterwerfungsgebärden ihn versöhnen kann mit der eigenen Hypothek des Lebens."
"Heilige unsere Gaben durch deinen Geist, damit sie uns werden Leib und Blut deines Sohnes, unseres Herrn, Jesus Christus’ Geheimnis zu feiern."
Doch auch im Neuen Testament steht - nach Lesart der katholischen Kirche - das Blut vor allem für Sühne und Opfer - diesmal jedoch nicht für ein Tieropfer, sondern: Das geopferte Lamm Gottes ist Jesus - Mensch und Sohn Gottes zugleich. Brot und Wein, Leib und Blut - im Christentum taucht das Blut in jedem Gottesdienst spätestens bei der Eucharistie auf.
"So bringen wir dir mit Lob und Dank dieses heilige und lebendige Opfer dar, schau gütig auf die Gabe deiner Kirche, denn sie stellt dir das Lamm vor Augen, das geopfert wurde und uns nach deinem Willen mit dir versöhnt hat. Stärke uns durch den Leib und das Blut deines Sohnes und erfülle uns mit seinem heiligen Geist, damit wir ein Leib und ein Geist werden in Christus."
Wie im Alten Testament das Blut der Tieropfer den Bund zwischen Gott und seinem Volk besiegelte, so findet sich das Blut Christi nun im Kelch des neuen und ewigen Bundes:
"Ebenso nahm er nach dem Mahl den Kelch, dankte wiederum, reichte ihn seinen Jüngern und sprach: Nehmet und trinket alle daraus, das ist der Kelch des neuen und ewigen Bundes, mein Blut, das für euch und für alle vergossen wird zur Vergebung der Sünden. Tut dies zu seinem Gedächtnis."
"Der Sühnecharakter ist hier gemeint."
Sagt Franz-Wilhelm Thiele, Liturgie-Experte des Bistums Hildesheim.
"Das ist heute auch ein Problem für die Menschen zu verstehen, denn Voraussetzung ist ja, dass man anerkennt, dass es Sünde gibt, sonst muss ja nichts gesühnt werden. Aber natürlich ganz klar: Das Kreuzesopfer Jesus ist Sühneopfer für unsere Sünden."
Die katholische Eucharistie ist geprägt von dem Opfergedanken. Und es geht nicht lediglich um ein Gedenken an den Kreuzestod Jesu. Das Konzil zu Trient legte 1562 fest:
"Wer sagt, in der Messe werde Gott nicht ein wirkliches und eigentliches Opfer dargebracht, oder die Opferhandlung bestehe in nichts anderem, als dass uns Christus zur Speise gereicht werde, der sei aus der Kirche ausgeschlossen."
"Also im Grunde ist der Grundgedanke ja der, vom Neuen Testament aus, dass in Christus alle Opfer überwunden, aufgehoben und vollendet worden sind, das ist die Ablösung des Opferritus, der auch im Judentum geherrscht hat, durch dieses einmalige Menschenopfer."
Sagt Thies Gundlach, in der EKD, der Evangelischen Kirche in Deutschland, zuständig für theologischen Grundsatzfragen. Und das sieht auch Eugen Drewermann so:
"Im Tode Jesus sind alle Opfer überflüssig geworden, also gibt es keinen Grund mehr, auch das Opfer Christi immer wieder neu zu wiederholen."
Durch den Tod Jesu hat für die Christen das rituelle Schlachten ein Ende, keiner muss mehr aus religiösen Gründen mit Blut besprengt werden, keine Türpfosten mit Blut bestrichen werden. Ersetzt wurden die alten blutigen Opferriten durch das rituelle Mahl zu seinem Gedächtnis. Doch das - so Eugen Drewermann - hätten zuerst die Theologen der Reformation richtig erkannt. Die Eucharistiefeier solle man schlicht als Gemeinschaftsmahl feiern:
"Irgendwann sollte man mit dem Leben anfangen, dann ist die ganze Magie des Blutes überholt, die beste Anwendung, die wir für fließendes Blut haben könnten: Blut spenden beim DRK."
Zurecht hätten die Protestanten immer wieder betont, dass die Gegenwart Gottes vor allem im Wort liege:
"Der Mensch lebt nicht vom Brot, sondern von jedem Wort, dass aus dem Mund Gottes hervorgeht, das im Grunde ist das protestantische Abendmahl, das Brot zeigt sich als ein Bild für das Wort Gottes, dass lebendig macht. Und das ist weit entfernt von der Opfermagie, dem Ritual, das in der Sakramententheologie der katholischen Kirche gelehrt wird."
Der katholische Priester begießt während der Eucharistiefeier seine Hände mit Wasser, um sie von Schuld zu reinigen. Dann spricht er die Einsetzungsworte, während sich die Wandlung von Brot und Wein in Leib und Blut vollziehen soll. Er hält die Hostie in die Höhe, die Gemeinde kniet demütig in den Kirchbänken. Nach der Wandlung isst der Priester eine Hostie und trinkt einen Schluck Wein. Doch was nimmt er hier genau zu sich?
"Man beißt nicht auf Fleisch und trinkt auch kein Blut in dem Sinne, wie wir das im sonst menschlichen Bereich verstehen."
Der katholische Liturgie-Experte Franz-Wilhelm Thiele.
"Das ist eben die Schwierigkeit, die wir haben, und die den Christen in den ersten Jahrhunderten zum Vorwurf gemacht wurden, da man das Geheimnis der Eucharistie in der Arkandisziplin bewahrte, ging dann das Gerücht, die Christen essen kleine Kinder und trinken Blut."
Die Katholiken haben lange philosophiert über die sogenannte Transsubstantiation, über die Wandlung von Brot und Wein. Dabei geht es um die Substanz: Die bezeichnet in der Philosophie das Wesen eines Dinges. Seit Platon unterscheidet man das geistige Wesen von der äußeren Gestalt. Diese Unterscheidung griff die Kirche auf, als sie beim Konzil von Trient 1562 festlegte:
"Durch die Konsekration des Brotes und Weines geschieht eine Verwandlung der ganzen Substanz des Brotes in die Substanz des Leibes Christi, unseres Herrn, und der ganzen Substanz des Weines in die Substanz seines Blutes. Diese Wandlung wurde von der heiligen katholischen Kirche treffend und im eigentlichen Sinne Wesensverwandlung genannt."
Ein profanes Beispiel für eine Transsubstantiation:
Ein blaubedrucktes Stück Papier mit einem Brückenmotiv ändert sein Wesen, wenn es als 20-Euro-Banknote freigegeben wird. Äußerlich ändert sich nichts.
Bei der Wesensverwandlung von Brot und Wein in Fleisch und Blut ist nach Lehre der katholischen Kirche Gott der Handelnde - vertreten durch den katholischen Priester. Die Wesensverwandlung bleibt auch nach der Eucharistie erhalten - deshalb dürfen Hostien und Wein nach der Messe nicht weggeworfen werden.
Die Wesensverwandlung ist keine materielle Veränderung. Der Lehre der Kirche zufolge lässt sich das alles nicht naturwissenschaftlich erfassen.
"Geheimnis des Glaubens."
Bis heute gibt es unter den verschiedenen christlichen Bekenntnissen heftigen Streit um das rechte Verständnis von Fleisch und Blut, selbst unter den evangelischen Christen, sagt evangelische Theologe Thies Gundlach.
"Der lutherischen Frömmigkeit kommt es vor allem darauf an, die reale und ganze Gegenwart Jesu Christi in Brot und Wein zu beschreiben und bekenntnismäßig festzulegen, aus der Intention, die Heilsgewissheit, um die es ja immer geht, besonders intensiv beschreiben zu können; also nur wenn Christus ganz in Brot und Wein da ist, ohne Vorbehalt, Hintergedanken, mit Leib und Blut, nur dann kann er auch ganz befreien aus der Sünde."
Die Realpräsens dürfe aber nicht missverstanden werden als materielle Anwesenheit Gottes in Fleisch und Blut. Dennoch stoßen sich viele Christen an der Vorstellung, Christi Fleisch zu essen und Blut zu trinken. Deshalb wurde zum evangelischen Kirchentag 2001 eine neue Abendmahlsliturgie entworfen. Statt der traditionellen Einsetzungsworte sollte es nur heißen:
"Mein Leben für euch."
Doch die Kirchentagsleitung distanzierte sich vom Vorschlag, der sich auch in den Gemeinden nicht durchsetzen konnte.
An der Frage, ob das Brot Christi Leib, der Wein sein Blut ist oder es dies nur bedeutet, war bereits 1529 in Marburg der Einigungsversuch zwischen den Reformatoren Luther und Zwingli gescheitert. Für die Reformierten war und ist das Abendmahl eher ein Zeichen, ein Erinnerungsmahl. Immerhin einigten sich lutherische und reformierte Kirchen 1973 in Leuenberg auf eine Abendmahlsgemeinschaft - ohne die Differenzen ganz ausräumen zu können.
Die Bildhaftigkeit des Leidens Christi spiegelt sich auch in christlichen Liedern nieder. Im evangelischen Gesangbuch taucht das Blut gleich an 97 Stellen auf; besonders der Barock pflegte hier einen gewissen Blutkult. Vor allem die Liedertexte von Paul Gerhard aus der Mitte des 17. Jahrhundert widmen sich fast wollüstig dem Leiden des Gekreuzigten.
"Dann sind die Lieder befremdlich, weil sie auch sehr stark diesen Gedanken betonen, dass das Leiden Jesu Christi unsere Erlösung ist, nach dem Motto: Je weher ihm es tut, umso besser für uns. Das ist natürlich etwas, was man heute nur mit großer Mühe nachvollziehen kann."
Das Blut Christi fasziniert bis heute zahlreiche Christen. Immer wieder wurden - vor allem im Mittelalter - Geschichten von Blutwundern erzählt: Zum Beispiel von den sogenannten Bluthostien, die sich während einer Messe plötzlich rot färbten; später stellte man allerdings fest, dass es sich lediglich um Rostbakterien handelte.
Oder von dem vermeintlichen Blut Heiliger, das sich nach Jahrhunderten wieder verflüssigte; oder von Menschen, die angeblich ohne äußere Verletzungen die Wundmale Jesu aufwiesen. Oder von einem Altartuch in Walldürn: Dort soll um 1330 der Priester während der Wandlung den Kelch unachtsam umgestoßen haben. Der Wein, der sich auf dem Altartuch ausbreitete, zeichnete das Bild des gekreuzigten Jesu, umgeben von elf sogenannten Veronicae - so nennt man jene Abbildungen, die den dornenumkränzten Kopf Jesu zeigen. Pater Gebhard Maulhardt vom Augustinerorden berichtet, dass das Altartuch 1950 von Konservatoren genau untersucht worden sei. Zuerst habe man an dem grauen Tuch nichts Besonderes feststellen können, bis die Wissenschaftler es mit einer Quarzlampe durchleuchteten:
"Und dann kam die große Überraschung: Ich habe hier eine Kopie, ist ja auch nicht mehr die neueste. Sie können aber hier ganz klar die Gestalt des gekreuzigten Christus erkennen, ist auch erstaunlich, wie selbst die Gesichtszüge erkennbar sind."
Das Altartuch hängt noch heute - lichtgeschützt und hinter Panzerglas - in der Walldürner Basilika:
"Wir sehen darin lediglich ein Zeichen, ich nenne das nicht gern Wunder und hier sehe ich ein Zeichen darin, dass die Worte Christi, das ist mein Leib und mein Blut, eine Realität beinhalten, die natürlich auch nicht mit bloßen Auge oder unseren fünf Sinnen feststellbar ist, sondern einzig und allein durch den Glauben. Für mich ist das ein Zeichen, das ich auch für echt halte."
Jedes Jahr kommen über 100.000 Pilger zur Verehrung des Heiligen Blutes nach Walldürn, das am Ostrand des Odenwaldes liegt. Vor allem in den Wochen nach Pfingsten wird der kleine Ort mit Wallfahrern überschwemmt. Und in dem eucharistischen Wallfahrtsort begeht man noch einen Feiertag, der in der katholischen Kirche eigentlich abgeschafft wurde: den Blutfeiertag. Er wurde 1969 mit Fronleichnam zusammengelegt. Doch die Walldürner zelebrieren ihren Blutfeiertag noch immer am achten Tag nach Fronleichnam.
"Das Volk braucht für seinen Glauben auch immer einen äußeren Ausdruck, einen handfesten, sie wollen das anfassen können, aber wie sie das oft tun, wenn man zuschaut, da kann man nur sagen: alle Achtung vor solchem Glauben und Vertrauen."
Das Tuch selber dürfen die Pilger natürlich nicht berühren; aber damit die Bewunderer des heiligen Blutes dem Objekt ihrer Verehrung möglichst nahe kommen, haben die Walldürner hinter dem Altar einen hölzernen Durchgang gebaut: treppauf, treppab und in der Mitte steht man hinter dem verglasten Tuch:
"Da gehen Tausende durch im Laufe des Jahres, hier ist diese Öffnung, und hier stehen die Wandlungsformel: hoc est corpum meum, das ist mein Leib, und hier dann über den Kelch: hic est calix sanginis mei, dies ist der Kelch meines Blutes, das wird geöffnet und dann kann man unmittelbar den Schrein berühren, dies ist aber später gemacht worden, weil die Leute das Bedürfnis hatten, den Schrein zu berühren und die konnten ja schlecht da hochklettern auf den Altar."
Auch wenn jedes Jahr Tausende von Pilgern nach Walldürn kommen - es
scheint doch an der Zeit, den Blutkult vergangener Jahrhunderte abzustreifen. Und das gilt besonders für die Eucharistiefeier: Statt bei jeder Messe den Sühneopfergedanken in den Mittelpunkt zu rücken, sollte vielmehr daran erinnert werden, dass alle Christen beim Abendmahl zur gemeinsamen Gedenkfeier eingeladen sind.